Konservative verhalten sich verlässlich wie Pawlowsche Hunde: hält man ihnen eine Wurst hin, beißen sie zu, ohne nachzudenken. Wie Wiwibloggs unter Bezugnahme auf die russische Newsseite Pravda berichtet, fordert eine russische Elterninitiative das staatliche Informationsministerium auf, die Ausstrahlung des Eurovision Song Contest 2014 zu unterbinden, da der Auftritt der österreichischen Dragqueen Conchita Wurst, vom ORF als Vertreterin des Landes nominiert, den Event zu einer “Brutstätte der Sodomie” mache. Was natürlich den Kindern nicht zugemutet werden könne. Da es anscheinend auch den sich sorgenden Eltern – 400 hätten die entsprechende Petition bislang mitgezeichnet – nicht zugemutet werden kann, ihre Augäpfel in eigener Verantwortung vom Anschauen des televisionären Sündenpfuhls abzuhalten, soll Russland ihrer Auffassung nach nun ganz auf den Wettbewerb verzichten. Nach Weißrussland, wo bereits im Oktober eine ähnliche Petition startete, laufen damit nun auch im Heimatland des bekennenden Schwulenhassers Putin Aktivisten Amok gegen westliche Ideen wie der freien Entfaltung der Persönlichkeit und dem spielerischen Hinterfragen festgeschriebener gesellschaftlicher Geschlechterrollen.
Lässt sich von den Anwürfen nicht unterkriegen: Conchita Wurst (Repertoirebeispiel).
Allerdings zeigt die auch hierzulande in vielen Artikeln festzustellende, hartnäckige Verwendung des Personalpronomens “er” für die vom oberösterreichischen Künstler Tom Neuwirth dargestellte Figur Conchita sowie die teilweise aggressiven, beleidigenden Youtube-Kommentare über die bärtige Frau, dass es auch bei uns um Akzeptanz und Toleranz nicht so gut bestellt ist, wie man es sich wünscht. Interessant dürfte nun werden, ob staatliche russische Stellen sich in irgendeiner Form zu der Petition verhalten, die voll auf Linie mit dem in Russland geltenden Gesetz gegen die “Propaganda nicht-konventioneller Lebensweisen” liegt. Denn zugleich schätzt die russische Führung bekanntlich die dem Eurovision Song Contest innewohnende Möglichkeit zur glanzvollen Darstellung des Landes auf europäischem Parkett, weswegen es wohl kaum zum Ausstieg des Landes vom Wettbewerb kommen dürfte. Ein Ausblenden des österreichischen Auftrittes während der Liveübertragung verstieße jedoch gegen die EBU-Richtlinien und hätte einen dreijährigen Ausschluss des Landes vom Wettbewerb zur Folge.
Zu Beginn seiner Eurovisionsteilnahme hatte Russland noch kein Problem mit Damendarstellern: Philipp Kirkorov.
So jedenfalls verfuhr man 2005 mit dem Libanon, der sich zum europäischen Wettsingen angemeldet hatte, dann aber nicht garantieren wollte, auch den israelischen Beitrag zu zeigen, weil dies gegen geltendes libanesisches Recht verstieße. Beirut meldete sich seither nicht mehr, Russland hofft hingegen auf den nächsten Grand-Prix-Sieg. Damit steckt Putin aber in der Zwickmühle, denn nähme er sein eigenes Gesetz ernst, dann müsste er aussteigen. So aber desavouiert Conchita mit ihrer bloßen Präsenz beim Wettbewerb, noch bevor sie den ersten Ton singt, Putin als bloßen populistischen Schwätzer. Und hat so schon ihr Ziel erreicht.
Langes, interessantes Interview der Kollegen von Eurovision Ireland.
Zuletzt aktualisiert: 15.10.2021
Zwickmühle? Die Russen müssen einfach nur ein technisches Problem vortäuschen. Die EBU wird sich doch nie und nimmer mit Russland anlegen. Wenn sie schon dem kleinen Aserbaidschan Schwäche zeigt, dann wird Russland erst Recht keinen Ärger kriegen, wenn sein Fernsehsender wegen Conchita aus der Übertragung aussteigen sollte.
Denn wenn die EBU dann doch die Russen für drei Jahre rausschmeißen sollte, dann wird Moskau mit seinem Einfluss sicherlich seine Freunde zum Rückzug bewegen. Und sowas will die EBU, die sich gerne vor Problemen drückt, nicht.
Ja, vielleicht. Seit der Aktion, die oben unter “Lesen Sie auch: 1. Dann ein Brief” verlinkt ist, bin ich da wieder vorsichtig optimistisch, dass sich die EBU doch nicht alles bieten lässt – auch, weil ich glaube, dass die Fans sie tatsächlich nicht mit allem durchkommen lassen. Conchita ist ja quasi Eine von uns – ich glaube, der Ansehensverlust für den Contest wäre zu einfach groß. Die Russen werden das nicht riskieren.
Gab es eigentlich damals bei Verka Serduchka ähnliche Schwierigkeiten? Ja, die russische Gesetzgebung gab es damals so noch nicht, aber die Einstellung dürfte ähnlich gewesen sein. Wo ist der Unterschied? Wo waren 2007 die Proteste der Russen und Weißrussen gegen den ukrainischen Transvestiten?
Vielleicht belegt das auch nur, dass Bigotterie keiner Logik folgt. Oder dass das Klima für LGBTQ-Leute in Osteuropa in den letzten Jahren deutlich kälter geworden ist.
Und wie ist das in Deutschland mit Zuwanderern und Flüchtlingen, wenn sie aus Richtung Osten kommen? Anders?
Genau so bigott und engstirnig. Jeder möge erst mal vor der eigenen Haustür kehren und dann auf andere zeigen.
Es gibt genug auch bei uns auszuräumen.