Türk­vi­zyon-Fina­le 2013: Brot­her­hood of Men

Beson­ders tosen­den Applaus durch das aser­bai­dscha­ni­sche Hal­len­pu­bli­kum erfuhr bekannt­lich der bis dato letz­te Euro­vi­si­ons­teil­neh­mer der Tür­kei, Can Bono­mo, bei sei­nem Auf­tritt 2012 in Baku. Die brü­der­li­chen Bezie­hun­gen funk­tio­nie­ren auch anders­her­um: Fərid Həsə­nov, der Ver­tre­ter Aser­bai­dschans, sieg­te heu­te im Fina­le der ers­ten Türk­vi­zyon, des Gegen-Grand-Prix des osma­ni­schen Kul­tur­krei­ses im ana­to­li­schen Eskişe­hir. Es war eine Jury, die ihm die­sen Sieg bescher­te, und man konn­te sich ange­sichts der Dis­kre­panz zwi­schen den dar­ge­bo­te­nen Songs und dem Punk­te­er­geb­nis nicht des Ein­dru­ckes erweh­ren, dass haupt­säch­lich poli­ti­sche Erwä­gun­gen bei der Ent­schei­dung der Juro­ren eine Rol­le spiel­ten. Für die gast­ge­ben­de Tür­kei, die auf einem Mit­tel­feld­platz lan­de­te, ist es auf­grund der engen Bin­dung der bei­den Län­der eine Art Stell­ver­tre­ter­sieg, was wenigs­tens nicht ganz so pein­lich wirkt, wenn auch die offen­sicht­li­che Schie­bung unüber­seh­bar bleibt.

Mit nur einem Ärmel zum Sieg: Fərid Həsə­nov (AZ).

Die im Vor­feld als Favo­ri­ten gesetz­ten Step­pen-Hip-Hop­per Rin’­Go aus Kasach­stan lan­de­ten trotz eines sen­sa­tio­nell guten Auf­trit­tes zu mei­ner gro­ßen Ent­täu­schung auf einem skan­da­lö­sen neun­ten Platz. Von die­sen unglaub­li­chen Ergeb­nis­sen mal abge­se­hen, gestal­te­te sich der Abend amü­sant: nach einem hüb­schen Bal­lett mit ana­to­li­schen Tän­zen zum Auf­takt und der Prä­sen­ta­ti­on der offi­zi­el­len Jin­gles für die Türk­vi­zyon und die Gast­ge­ber­stadt, die bei­de klan­gen, als sei­en sie um 1970 her­um für ein Fahr­ge­schäft in Dis­ney­land geschrie­ben wor­den, folg­ten erst mal staats­tra­gen­de Anspra­chen irgend­wel­cher Funk­tio­nä­re. Eine geschla­ge­ne hal­be Stun­de lang. Selbst die dies­mal zahl­rei­chen Zuschau­er in der Sport­hal­le auf dem Cam­pus einer der bei­den Uni­ver­si­tä­ten von Eskişe­hir, einem vor Ort anwe­sen­den Freund zufol­ge haupt­säch­lich mit Bus­sen ange­karr­te Stu­den­ten, die man mit kos­ten­lo­sen Wurst­bro­ten lock­te, schau­ten schon ver­zwei­felt auf die Uhr.

Mein per­sön­li­cher Sie­ger­ti­tel: Bir­lik­pen Alğa (KZ).

Doch dann ging es zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung doch noch los, dies­mal mit der tür­ki­schen Rock­band Man­ev­ra, die heu­te irgend­wie unbe­schwer­ter rock­te als noch am Don­ners­tag. Wuss­te sie bereits um das abge­spro­che­ne Ergeb­nis? Gunesh Aba­so­va aus Weiß­russ­land mach­te mit ihrer hoch­dra­ma­ti­schen Bal­la­de ‘Son hati­ra­lar’ ganz auf letz­te Anstren­gung und wur­de für ihre Mühen, durch geschick­tes Wedeln mit dem Hand­mi­kro das bei Juro­ren all­ge­mein belieb­te Whit­ney-Hous­ton-Jodeln zu erzeu­gen, mit einem Bron­ze­platz ent­lohnt. Ergin aus dem Koso­vo bleibt vor allem für sein “most slappable Face”, wie der Bri­te sagen wür­de, in Erin­ne­rung und wur­de zu Recht Letz­ter. Als wei­te­re Fehl­ent­schei­dung muss hin­ge­gen der sechs­te Platz für die bos­ni­sche Rock­band Emir & the Fro­zen Camels und ihr rund­weg gutes ‘Ters Bosan­ka’ gel­ten. Kann bit­te mal jemand für deren Teil­nah­me am Euro­vi­si­on Song Con­test sam­meln? Ich wür­de was dazu geben!

Gäbe beim ESC sicher eine bes­se­re Plat­zie­rung: die ‘Ters Bosan­ka’ (BA)

Ali­na Sha­ripzha­no­va aus Tatar­stan ersang sich mit einem bei Jurys eben­falls sehr belieb­ten Trick einen vier­ten Rang: der gro­ßen hohen Schluss­no­te. Ansons­ten blieb ihre Bal­la­de vor allem zäh. Ob es sich bei ‘Cevedzhem’, dem Bei­trag der Ukrai­ne, um einen Eman­zi­pa­ti­ons­song han­delt? Jeden­falls könn­te Fazi­le Ibrai­mo­vas Show mit einem Sei­den­tuch, das sie zunächst als Bur­ka vor dem Gesicht trug, dann nach und nach abstreif­te und schließ­lich zu Boden fal­len ließ, wo es einer ihrer bei­den Harems­wäch­ter auf­hob und mit fei­er­li­cher Mie­ne an den zwei­ten über­reich­te, dar­auf hin­wei­sen. Wobei: wenn die­se Theo­rie zuträ­fe, wäre sie sicher­lich nicht Zwei­te geworden.

Fie­le bei uns unter das Ver­mum­mungs­ver­bot: Fazi­les Auf­tritt (UA)

Was die nord­zy­pri­sche Kla­ge­wei­se angeht, so klang sie für mei­ne Ohren zwar, wie bereits am Don­ners­tag, schmerz­brin­gend und depres­si­ons­för­dernd, aller­dings moch­te ich die Ernst­haf­tig­keit des Duos Gam­ma­lar und ihre deli­kat zu nen­nen­den Hand­be­we­gun­gen. Sehr lus­tig nach wie vor die kir­gi­si­sche Boy­band Çoro und ihr auf dem Ban­jo rocken­der Gitar­rist mit den buschi­gen Augen­brau­en! Einen wun­der­hübsch tra­shi­gen Schluss­punkt setz­te die usbe­ki­sche C.C.Catch, Nilü­fer Usma­no­va, deren Acht­zi­ger­jah­re-Auf­guss ‘Unut­gin’ sich bei mir mitt­ler­wei­le als Ohr­wurm fest­ge­setzt hat. Dass sie nicht für fünf Cent sin­gen konn­te, stei­ger­te den Camp-Fak­tor ihrer Dar­bie­tung nur noch weiter.

Schon ihre Mut­ter ist in der Hei­mat ein Star: Nilü­fer (UZ)

Und der Sie­ger­ti­tel? Das in allen Belan­gen ein­fach nur durch­schnitt­li­che ‘Yaşa’ litt für mei­nen Geschmack heu­te beson­ders dar­un­ter, dass Farids ker­ni­ger Begleittän­zer sich den strunz­gei­len Ter­ro­ris­ten­voll­bart abra­siert hat­te. Zudem sang der durch­aus schmu­cke, wenn auch etwas büb­chen­haf­te Aser­bai­dscha­ner dies­mal stets eine Sekun­de vor dem Back­ing Tape. Das war nix – was mich in mei­ner Wut auf die Jurys bestärkt, zumal ursprüng­lich zumin­dest für das Fina­le ein SMS-Voting ange­kün­digt war. Nach­dem die rich­tig guten Songs aber schon im Semi raus­ge­siebt wur­den und ins­be­son­de­re die fern­öst­li­chen Repu­bli­ken und Län­der durch­weg schlecht abschnit­ten, bin ich mal gespannt, ob nächs­tes Jahr über­haupt noch jemand bei die­ser Ver­an­stal­tung mit­ma­chen will.

Das Fina­le in vol­ler Länge.

Türk­vi­zyon 2013, Finale

Song Con­test des tür­ki­schen Kul­tur­rau­mes. 21.12.2013 in Eskişe­hir, Türkei.
#Land / Repu­blikInter­pretSongPkt.Platz
01Tür­keiMan­ev­raSen, Ben, Biz18707
02Weiß­russ­landGunesh Aba­so­vaSon hati­ra­lar19503
03Koso­voErgin Karaha­sanŞu Pri­zen15112
04Kasach­stanRin’­GoBir­lik­pen Alğa17809
05Bos­ni­enEmir & the fro­zen CamelsTers Bosan­ka18706
06Tatar­stan (RU)Ali­na ŞaripjanovaÜpkel­emim19204
07Ukrai­neFazi­le IbraimovaElmalım20002
08Altai (RU)Artur Mar­lu­jo­kovAltayım Menin18905
09Aser­bai­dschanFərid Həsə­novYaşa21001
10Nord­zy­pernGom­ma­larHavalanıyor17510
11Kir­gi­si­enÇoroKay­gır­ba18308
12Usbe­ki­stanNilü­fer UsmanovaUnut­gin17311

Was meinst Du? Wird es eine zwei­te Türk­vi­zyon geben?

  • Ist mir so egal wie Tram­bahn­schie­nen. (33%, 14 Votes)
  • Ich hof­fe doch sehr! Das war schö­nes Enter­tain­ment und musi­ka­lisch mal was ande­res! (26%, 11 Votes)
  • So offen­sicht­lich, wie da heu­te gescho­ben wur­de, glaub ich nicht, dass da noch vie­le mit­ma­chen wol­len. (23%, 10 Votes)
  • Ich hof­fe doch nicht! Die­se pein­li­che Selbst­be­weih­räu­che­rungs­show der Tür­ken braucht kein Mensch! (19%, 8 Votes)

Total Voters: 43

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7 Comments

  • Gibt es irgend­wo ein Video von der Punk­te­ver­ga­be? Oder wur­de die­ses Ergeb­nis ein­fach nur bekannt­ge­ge­ben, und das wars dann? Ich wür­de ja selbst danach suchen, aber dafür ist mein Tür­kisch nicht gut genug. Die Punkt­zah­len sehen jeden­falls abso­lut fas­zi­nie­rend aus, auch wenn der Wett­be­werb an sich mich nicht für fünf Kurus interessiert.

  • Okay. Viel zu ler­nen sie noch haben – das wäre auch deut­lich span­nen­der gegan­gen, wenn man sich das End­ergeb­nis mal ansieht – wenn je wie­der ein ESC-Fina­le so aus­gin­ge, wäre das jeden­falls ein Herz­schlag­fi­na­le, gegen das 2003 harm­los aus­sä­he. (Und wie­so eigent­lich Jury­punk­te? Ich dach­te, im Fina­le wur­de nur SMS-Voting gemacht.)

  • Die Sym­pa­thie für Aser­bai­dschan ist ja nicht zu übersehen!

    Weiß jemand, wie die­se Punk­te­ver­tei­lung zustan­de gekom­men ist? Für mich sieht es ganz stark danach aus, als ob man ein Sys­tem ange­wandt hät­te, das dem ESC-Abstim­mungs­sys­tem der Jah­re 1971 bis 1973, als jeder Juror (zwei pro Land) jedem Bei­trag Punk­te in einer Ska­la von 1 bis 5 gab, ähnelt. Und da gab es ja anschei­nend auch gewis­se Kungeleien.

  • Es gab 24 Juro­ren (einer pro Teil­neh­mer­land inklu­si­ve der Semi­fi­na­lis­ten), wenn ich das rich­tig ver­stan­den habe. Bei maxi­mal 5 Punk­ten wären das maxi­mal 120 Gesamt­punk­te pro Song. Da Farid 210 Punk­te abge­räumt hat, ver­mu­te ich, dass eher nach dem klas­si­schen Euro­vi­si­ons­sche­ma gewer­tet wurde.

  • Nor­ma­le ESC-Punk­te­ver­tei­lung kann es auch nicht sein. Ich habe das mal nach­ge­rech­net: 828 Punk­te sind mehr ver­teilt wor­den als es nach ESC-Sys­tem mög­lich gewe­sen wäre. Dann hät­te jedes Land mit einem Sockel in Höhe von 69 Punk­ten star­ten müs­sen. Und wenn auch 9 und 11 ver­teilt wor­den wären, hät­te jedes Land mit einem Sockel aus 40 Punk­ten star­ten müssen.

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