Einige neue (und einige bereits bekannte) Vorentscheidungsperlen bescherte uns der gestrige erste Supersamstag, abseits der bereits kommentierten Länder, wie meine heutige Nachschau ergab. Beginnen wir mit Ungarn, wo sich in der zweiten von drei Vorrunden von A Dal weitere zehn Kombattanten dem Urteil einer fünfköpfigen Jury und der Zuschauer stellten. Nicht in die Endrunde schaffte es die Band Belmondo: vier ganz kernige gestandene Kerle und, dem optisch-akustischen Eindruck nach, ein Transmann am Klavier (anders kann ich mir die Diskrepanz zwischen äußerer Erscheinung und Stimme nicht erklären). Ihre nette Rockballade ‘Miért ne higgyem?’ erfand das Genre nicht neu und wirkte insgesamt zu harmlos, um zu punkten, nervte aber im Gegensatz zum finnischen Rockseich von gestern wenigstens nicht.
Jean-Paul hat angerufen und will seinen Nachnamen zurück: Belmondo
Eine Cascada (DE 2013) pullte die Sängerin Bogi (Diminutiv von Boglárka): sie versuchte sich mit ‘We all’ an der magischen Erfolgsformel des letztjährigen ungarischen Überraschungstreffers ‘Kedvesem’ (das übrigens in allen Ausgaben von A Dal als Dauerschleife während der Juryansprachen läuft) – und lieferte ein platten, aber immer noch degustierbaren Abklatsch. Barfüßig, langhaarig und vor einem drogenbunten Comic-Hintergrund platziert, vermischen sich optischer Hippie-Flavour, treibender Housebeat und repetitive Lyrics zu einem zwar ziemlich billigen, dennoch in sich stimmigen und gefälligen Gesamtpaket. Dürfte in Kopenhagen, falls sie damit den ungarischen Vorentscheid gewinnt, als Kopie wahrgenommen werden – lässt man mal den Vergleich kurz beiseite, ist die Nummer aber gut.
Zoohacker hat angerufen und will seinen Beat zurück: Bogi
Wer, wie ich, bereits so steinalt ist, dass er sich noch an die US-Schauspielerin Daryl Hannah und ihren 1984er Erfolgsstreifen Splash! Eine Jungfrau hängt am Haken erinnern kann, den überfiel beim gestrigen ersten Söngvakeppni-Semifinale ein Déjà vu: Greta Mjöll Samúelsdóttir, neben einem unfasslich schlimmen Schleimtenor die zweite isländische Qualifikantin, trug nicht nur die meterlange blonde Mähne des Vorjahresvertreters EyþórIngi Gunnlaugsson auf, sondern verfügt auch über den für Daryl Hannah so kennzeichnenden meterbreiten Mund. Akkompagniert von drei weiteren Begleitelfen, einer selbst geklampften Ukulele und einem Akkordeon, gab sie mit ‘Eftir eitt lag’ einen wirklich zauberhaften Countryschlager zum Besten, der zu Recht ins Finale delegiert wurde, wo er hoffentlich den Sieg davontragen möge!
Hat mich am Haken: Meerjungfrau Hannah Greta
Nicht ins Finale schaffte es hingegen die mit einer, wie soll ich sagen: äußerst interessanten Kriegsbemalung verunzierte Ásdís María Viðarsdóttir mit ihrer, auch hier fällt mir keine passendere Umschreibung ein: äußerst interessanten Klangcollage ‘Amor’. Wobei: eine kleine Chance besteht noch, vergibt der Sender RÚV doch unter den in den beiden Semis Gestrandeten zwei Wildcards für das Finale des Söngvakeppni. Anders in Lettland, wo gestern das erste Semifinale der Dziesma mit gleich zwölf Kombattanten stattfand, von denen sechs ausschieden: für die ist definitiv Schluss. Und das ist durchaus schade im Fall von Sabīne Berezina, einer verhärmt wirkenden Discoschlampe mit fabelhaft billigem Discotrash. Allerdings ruinierte sie den Auftritt selbst, in dem sie DJ Dween mit auf die Bühne ließ, einen peinlichen Kasper mit wurstpellöser Clownshose, Fliege und vergoldeter Brillenkette, wie man sie noch von den gestrengen Beratungsdamen in den Textilabteilungen längst untergegangener Kaufhäuser aus den Achtzigerjahren kennt.
Julio Iglesias hat angerufen und will seinen Songtitel zurück: Ásdís María Viðarsdóttir
Ebenfalls ausgeschieden, aber sehr unterhaltsam: die Crazy Dolls, offensichtlich ein Act aus dem lettischen Kinderprogramm, die etwas von Mamas und Papas sangen und sich dazu, wie bereits die isländische Greta, auf der Ukulele, dem amtlichen Niedlichkeitsinstrument dieses Jahrtausends, selbst begleiteten. Ergänzend tanzte ein Plüschbär. Hübsch! Den Trash-Höhepunkt lieferte aber Dāvis Matskins, der offensichtlich eine Aufzeichnung des Eurovision Song Contests von 1978 gesehen und im legendären Jahn Teigen (‘Mil etter Mil’) sein großes Vorbild gefunden hatte: mit gegeltem Haupthaar und spießigen Klamotten vollführte er zu einem vergessenswürdig erbärmlichen Song die unglaublichsten Verrenkungen seit jenem unvergessenen ersten Nilpointer in der Grand-Prix-Geschichte. Großes Kino!
Ruslana hat angerufen und will ihre Fellweste zurück: DJ Dween & Sabīne Berezina
Musiqq (LV 2011) haben angerufen und wollen ihren Pony-Galopp-Rhythmus zurück: Crazy Dolls
Jahn Teigen hat angerufen und will seine Moves zurück: Dāvis Matskins
Bleiben noch die Dziesma-Finalisten: da ist zunächst Niko zu nennen, Lettlands sehr offensichtliche (und angesichts dessen Ergebnisses sehr überflüssige) Antwort auf Tooji (NO 2012). Ob Hautfarbe, Statur, aufgemalte Augenbrauen, Hoodie-Outfit, Dancemoves oder Stimme: alles scheint eins zu eins bei Norwegens Letztplatziertem abgekupfert. Bis auf den Song: den schrieb Niko von ‘Shout it out’ (Mello 2013) ab. Einzig das witzige Robocop-Ballett hebt sich als eigenständige Idee hervor. Sehr viel besser gefallen mir da Olga & Līgo, gewissermaßen die lettischen Großmütter der fabelhaften finnischen Kuunkuiskajat (2010). Sie bieten einen sensationellen Turbofolkschlager – eine musikalische Stilrichtung, für die der Grand Prix meines Erachtens erfunden wurde (oder wegen der ich ihn zumindest regelmäßig schaue) – und tanzen dazu lustige Ringelreihen und Hebefiguren. Das hat Charme, Originalität und Schwung: super!
David Lindgren hat angerufen und will seinen Song zurück: Niko
Riverdance haben angerufen und wollen ihre Choreo zurück: Olga & Līgo
Bleibt noch mein aktueller Lieblingstitel der Eurovisionssaison 2014: ‘Cake to bake’ von Aarzemnieki (Ausländer)! Das Duo, bestehend aus dem im Ruhrgebiet geborenen Jöran Steinhauer und einem britischen Bekannten, den er beim Zivildienst in Lettland kennen lernte, und das dort mit einem angesichts der zum 1. Januar erfolgten Euro-Einführung spontan geschriebenen Abschiedslied auf die lettische Währung Lat über Nacht zum Phänomen wurde, erhielt den mit Abstand stärksten Saalapplaus. Und das mit Recht! “Backen ist Liebe” lautete mal ein Werbeclaim eines Margarineherstellers – und auch, wenn man Kuchen natürlich nur mit guter Butter zubereitet, strahlte der Auftritt von Jöran und seinen Freunden genau das aus. Den superfröhlichen, simplen und eingängigen Song mochte ich vorher schon – nach der Dziesma-Performance gestern habe ich Aarzemnieki aber um so fester ins Herz geschlossen. Das muss nach Kopenhagen und dort gewinnen!
Ich hab dafür nur ein Wort: awwwwwwwwwwww! Aarzemnieki
Da stimme ich dem veehrten Blogger aber sehr zu – sowohl was Cake to bake als auch die isländische Fee mit dem großen Mund angeht… Beides sollte nach Kopenhagen! Bitte, bitte, bitte.… un-be-dingt!!! 🙂
Die isländische Elfe hätte ich auch gerne in Kopenhagen. Aber Cake to Bake wird international doch nie funktionieren und eher wie ein amateurhafter Fun-Act wahrgenommen werden.
Ich revidiere meine Aussage und würde gerne Sigríður Friðriksdóttir – Lífið kviknar á ný in Kopenhagen wiedersehen. Ich mag solche Cabaret-Showtunes. Wird endlich Zeit, sowas auch mal beim ESC zu haben: http://www.youtube.com/watch?v=nkHfxBK4Rqk
Überdies beanspruche ich schon mal ein Wortspiel über einen weiteren Teilnehmer für mich: Wenn man in Island gegen einen Poller fährt, macht es natürlich Pönk. 😉
Ich nehme Bogi für Ungarn, Greta für Island und tausche Cake to bake gegen Olga un Ligo. Wo kann ich meine Bestellung aufgeben?
[…] Laune und könnte im Söngvakeppnin-Finale eine ernsthafte Konkurrenz zur blonden Meerjungfrau vom letzten Samstag […]
Coole Zusammenfassung, aber in einem Punkt muss ich leicht widersprechen: Brillenketten im Allgemeinen sind wieder auf dem Vormarsch. Natürlich nicht die scheußlichen aus den 80ern, sondern die schönen, modernen, die ein tolles Accessoire abgeben 🙂