Eine durchaus mutige und interessante Wahl, die das georgische Fernsehen mit der gestrigen Nominierung der Eurovisionsvertreter des Landes traf: abweichend von bereits lieb gewonnenen Traditionen entsendet es erneut keine stimmstarke Sopho, sondern ein Ethno-Jazz-Trio mit Verbindungen nach Deutschland. Zwei in Stuttgart lebende Exilkaukasier, davon einer mit dem interessanten Vornamen Zaza, gründeten dort nämlich im Jahre 1998 The Shin, die nach Eigenbeschreibung für “archaische Männergesänge in Verbindung mit quirligem, hochvirtuosem Jazz” stehen und schon auf Festivals in 30 Ländern auftraten. Der archaische Part dürfte für den Eurovision Song Contest weitestgehend entfallen: weibliche Unterstützung erhält das Herrentrio nämlich in Gestalt der nach meinem ersten Eindruck nicht ganz so hochvirtuosen Pop-Sängerin Mariko Ebralidze.
Moves like Jagger: der kaukasische Tanz (ab Minute 3:30)
Und so sehr ich das Verlassen ausgetretener musikalischer Pfade durch die Georgier im Sinne der Vielfalt des Wettbewerbs begrüße, so skeptisch bin ich doch, ob das funktionieren kann. Erstens dürfte The Shins Fusion-Jazz, diese Mischung aus “sakral aufgeladenen Polyphonien” und “plappernder folkloristischer Ausgelassenheit” (ebenfalls Eigenbeschreibung), den die Band pflegt, zwar vielleicht den ein oder anderen Juroren ansprechen, dafür aber um so weniger den durchschnittlichen Grand-Prix-Zuschauer. Vor allem aber will mir scheinen, dass sich der Zauber einer solchen Weltmusik nur richtig entfalten kann, wenn die Musiker live spielen und improvisieren dürfen – in dem starren Drei-Minuten-Rahmen und mit der Pflicht zur Nutzung eines fertig produzierten Backing Tapes, wie sie beim ESC herrscht, ein schwieriges Unterfangen. Aber lassen wir uns überraschen – der Titel steht ohnehin noch nicht fest.
Mariko kann gut lustige Brillen tragen, mit dem Singen hapert’s ein wenig
The Shin für Georgien.
- Super, endlich mal Abwechslung vom Pop-und-Balladen-Einheitsbrei. (47%, 21 Votes)
- Mal den Song abwarten, aber skeptisch bin ich schon. (42%, 19 Votes)
- Oh Gott. Drei Minuten Experimental-Jazz-Folter. Das wird die Klopause. (11%, 5 Votes)
Total Voters: 45
Ich vermute ja, dass es eher umgekehrt ist und dass die Juroren etwas zu ethnisches/traditionelles abstrafen. Man denke an die kroatische Klapa, die zwei blonden Finninnen und die slowakische Ode an den Wald. Ansonsten sehe ich allerdings nicht ganz so schwarz, immerhin haben auch Elnur & Samir und Inga & Anush trotz etwas sperriger traditionsbeeinflussten Titel Top-Ten-Ergebnisse erzielt. Also warten wir erst mal den Song ab. Alles ist besser als das Schmalzduett vom letzten Jahr.
+1 für den letzten Satz.
Das wird dieses Jahr für Georgien alles andere als ein Selbstläufer – fast ohne Freunde in der ersten Hälfte ihres Semis werden sie sich schon ein bisschen anstrengen müssen. Und wenn ich die Selbstbeschreibung der Band so lese, frage ich mich (wie schon der Hausherr), warum eine Truppe, die so auf Instrumenten-Virtuosität ausgelegt ist, überhaupt zum ESC fährt. Mal schauen – bei Raphael Gualazzi hat das mit dem Jazz ja auch geklappt.
Ich finde es wirklich klasse, dass Sie sich all diese Mühe machen und die Informationen aufbereitet für uns präsentieren. Weiter so!
[…] präsentierten heute ihren Beitrag ‘Three Minutes to Earth’, dargeboten vom schon seit längerem feststehenden Fusion-Jazz-Trio The Shin und von der Popsängerin Mariko Ebralidze. Das […]