Sehr zügig: bereits wenige Tage nach Ende der Einreichungsfrist für die 37 Länderbeiträge gab die EBU heute die Startreihenfolge in den beiden Qualifikationsrunden am 6. und 8. Mai bekannt. Wie bereits 2012 wurden die Songs vom ausführenden Sender von Hand platziert, um “alle Beiträge glänzen zu lassen”, wie es in EBU-Prosa heißt. Fast alle: Aarzemniekis ‘Cake to bake’, einer meiner Lieblingslieder, leider jedoch in fast allen Fan-Umfragen regelmäßig weit hinten landend, dürfte zwischen den beiden hochprofessionellen Nummern aus Armenien und Estland noch kirchentagsmäßiger wirken als so schon und seinen handgemachten Charme kaum entfalten können. Es erstaunt außerdem, dass die neun Balladen des sechzehnteiligen ersten Semis nicht gleichmäßig zwischen die Uptempostücke verteilt wurden, sondern sich auf den Positionen sechs bis acht ein Dreierfeld ballt. Ein Versuch, den mittig in diesem Feld platzierten russischen Beitrag in einem kleinen Balladensee zu ertränken? Interessant übrigens auch, dass ausgerechnet Aserbaidschan als Trennmauer zwischen Russland und der Ukraine herhalten muss, während die EBU deren Erzfeind Armenien soweit wie möglich vom Land des Feuers entfernt als Eröffnungstitel setzte. Andererseits lassen sich die Russland umgebenden Songtitel nun als Kommentare zur Krimkrise lesen: ‘Undo’ – ‘No Prejudice’ – ‘One Night’s Anger’ sowie ‘Start a Fire’ und ‘Tick Tock’…
Profitiert sie vom Depri-Dreier davor? (PT)
Dumm könnte es auch für Suzy aus Portugal laufen: deren eher chancenloser Light-Lambada erhält zwar womöglich etwas Aufwind dadurch, dass er das erste fröhliche Stück nach drei aufeinanderfolgenden, eher dunkel gefärbten Titeln ist. Doch DR hat’s gegeben, DR hat’s genommen: nach derzeitiger Planung muss sie nach der Werbepause ran – da braucht sie erfahrungsgemäß erst gar nicht mehr antreten. Ein ähnliches Schicksal könnte die fabelhafte Conchita Wurst im zweiten Semi ereilen: sollte man auf den ersten Blick annehmen, dass es die Dänen gut mit ihr meinen, indem sie ihre große, klassische Bond-Ballade zwischen die krass bollernden Prollsongs aus Polen und Litauen packen, so macht auch hier die geplante Pinkelpause eventuell alles zunichte. Ein unglückliches Händchen bewies diesmal die Losfee bei der Zuteilung der Länder in das vordere oder hintere Feld des ohnehin sehr starken zweiten Semis: so ist DR gezwungen, alle Kracher[ref]Gilt nicht für Georgien![/ref] dieser Qualifikationsrunde Schlag auf Schlag in der ersten Hälfte zu zünden, während für den hinteren Part nur noch die Rohrkrepierer übrig bleiben. Glück für Griechenland, deren – für hellenische Verhältnisse – eher schwacher Beitrag ‘Rise up’ nun als einzige Ausnahme wie ein Solitär funkelt und dem so noch nicht mal der Klogang zuvor etwas anhaben dürfte.
Die einzige echte Dame in ihrer Semi-Hälfte: Conchita Wurst (AT)
Doch geht die Kaffeesatzleserei in den diesjährigen Semis angesichts ihrer zahlenmäßigen Bestückung ohnehin fehl: jeweils zehn von sechzehn (Dienstag) bzw. gar nur fünfzehn (Donnerstag) Titel können sich für das Finale qualifizieren. Da dürften Startpositionen und Pausen kaum noch ins Gewicht fallen. Interessanter könnte der Jury-Televoting-Split werden, insbesondere da die EBU diesmal sämtliche Ergebnisse, einschließlich der Telefonanrufe, im Nachgang veröffentlichen will. Hier erwarte ich mir massive Differenzen bei Donatan & Cleo als Publikumsmagnet, den die Juroren angewidert links liegen lassen dürften, und der georgischen Experimental-Jazz-Gruppe, die vermutlich ausschließlich bei den Jurys abräumt. Im ersten Semi dürften The Common Linnets als von den Televotern weitestgehend ignorierter Juryliebling fungieren, während ich einen klaren Publikumsfavoriten nicht ausmachen kann. Für höchstes Spaltpotenzial dürfte indes Belgiens Axel Hirsoux sorgen, für den ich dennoch massenhaft Anrufe von Müttern und Muttersöhnchen aus ganz Europa erwarte – und sicher auch die ein oder andere milde Gabe aus Jurorenhand. Er könnte gar der (viele zum Kotzen bringende) Überraschungssieger des ersten Semis werden, um im Finale dann abzustinken. Warten wir’s ab!
Ruslana guckt jedenfalls schon mal ganz verklärt: Axel (BE)
ESC 1. Semifinale 2014
Eurovision Song Contest 2014 – Erstes Semifinale. Dienstag, 6. Mai 2014, aus den B&W‑Hallerne in Kopenhagen, Dänemark. 16 Teilnehmer, Moderation: Lise Rønne, Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk.# | LK | Interpret | Titel | Pkt gs | Pl gs | Pkt TV | Pl TV |
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01 | AM | Aram MP3 | Not alone | 121 | 04 | 096 | 04 |
02 | LV | Aarzemnieki | Cake to bake | 033 | 13 | 038 | 10 |
03 | EE | Tanja | Amazing | 036 | 12 | 013 | 14 |
04 | SE | Sanna Nielsen | Undo | 131 | 02 | 098 | 03 |
05 | IS | Pollapönk | No Prejudice | 061 | 08 | 043 | 09 |
06 | AL | Herciana Matmuja | One Night’s Anger | 022 | 15 | 006 | 15 |
07 | RU | Tolmachevy Twins | Shine | 063 | 06 | 057 | 07 |
08 | AZ | Dilarə Kazimova | Start a Fire | 057 | 09 | 015 | 13 |
09 | UA | Maria Yaremchuk | Tick Tock | 118 | 05 | 096 | 05 |
10 | BE | Axel Hirsoux | Mother | 028 | 14 | 031 | 11 |
11 | MD | Christina Scarlat | Wild Soul | 013 | 16 | 004 | 16 |
12 | SM | Valentina Monetta | Maybe | 040 | 10 | 049 | 08 |
13 | PT | Suzy | Quero ser tua | 039 | 11 | 065 | 06 |
14 | NL | The Common Linnets | Calm after the Storm | 150 | 01 | 130 | 01 |
15 | ME | Sergej Ćetković | Moj Svijet | 063 | 07 | 026 | 12 |
16 | HU | András Kállay-Saunders | Running | 127 | 03 | 103 | 02 |
ESC 2. Semifinale 2014
Eurovision Song Contest 2014 – Zweites Semifinale. Donnerstag, 8. Mai 2014, aus den B&W‑Hallerne in Kopenhagen, Dänemark. 15 Teilnehmer, Moderation: Lise Rønne, Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk.# | LK | Interpret | Titel | Pkt gs | Pl gs | Rkg TV | Pl TV |
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01 | MT | Firelight | Coming home | 063 | 09 | 016 | 14 |
02 | IL | Mei Feingold | Same Heart | 019 | 14 | 021 | 13 |
03 | NO | Carl Espen Thorbjørnsen | Silent Storm | 077 | 06 | 046 | 08 |
04 | GE | The Shin + Mariko Ebralidze | Three Minutes to Earth | 015 | 15 | 015 | 15 |
05 | PL | Donatan & Cleo | My Słowianie | 070 | 08 | 113 | 02 |
06 | AT | Conchita Wurst | Rise like a Phoenix | 169 | 01 | 149 | 01 |
07 | LT | Vilija Matačiūnaitė | Attention | 036 | 11 | 037 | 11 |
08 | FI | Softengine | Something better | 097 | 03 | 052 | 07 |
09 | IE | Can-linn + Casey Smith | Heartbeat | 035 | 12 | 040 | 10 |
10 | BY | Teo | Cheesecake | 087 | 05 | 072 | 06 |
11 | MK | Tijana Dapčević | To the Sky | 033 | 13 | 026 | 12 |
12 | CH | Sebalter | Hunter of Stars | 092 | 04 | 097 | 04 |
13 | GR | Freaky Fortune + RiskyKidd | Rise up | 074 | 07 | 088 | 05 |
14 | SI | Tinkara Kovač | Round and round | 052 | 10 | 044 | 09 |
15 | RO | Paula Seling + Ovidiu Cernăuţeanu | Miracle | 125 | 02 | 112 | 03 |
Eröffnet wird der ESC von einer Person, die im Schwulenviertel von Jerewan etwas stärker aufs Gas geht und in Kopenhagen der Conchita mit ihrem “nicht normalen Lebensstil” gerne bei der Entscheidung helfen würde, ob diese Person lieber als Mann oder doch eher als Frau leben würde.
http://sosogay.co.uk/2014/eurovisual-armenian-singer-causes-controversy/
Hm. Ich bin mir nicht ganz sicher, nach welchem Maßstab hier arrangiert wurde. Armenien wird sich jedenfalls nicht besonders freuen, auf die 1 gesetzt worden zu sein – aber bevor hier Verschwörungstheorien von wegen aserischer Bestechung aufkommen (die gibt es, ebenso wie die Behauptungen, das von deutscheland angesprochene Interview sei falsch übersetzt und überhaupt eine Lüge der Aseris, um Armeniens Chancen zu schmälern), auch Aserbaidschan kann mit seinem Startplatz wirklich nicht zufrieden sein.
Und bevor ich das hier gesehen habe, war mir gar nicht bewusst, wie viele Zählkandidaten das zweite Semi in Hälfte 2 hat. Ohne die Lieder zu beurteilen – das kann ich im Moment gar nicht, weil ich meine ESC-Funkstille bis zum Erscheinen des Albums diesmal beinahe durchgehalten habe und deshalb bislang nur die Songs aus Armenien und Deutschland kenne -, aber von den Wettchancen her ist da ja gar nichts dabei, was auch nur halbwegs Chancen hätte.
Okay, inzwischen sind ja die Videoplaylists auf Youtube (die sogar reibungslos funktionieren; wer hätte das gedacht?), und oh Himmel. Was für ein mittelmäßiges Jahr. Schlechtester ESC-Jahrgang seit mindestens 2008, vielleicht sogar seit 2002. Es sind nicht mal wirklich auf interessante Art schlechte Songs dabei (wie Rumänien letztes Jahr); fast alles ist einfach nur grützlangweilig. Wenn mir Lettland und die Schweiz in ihren jeweiligen Semis wie Leuchtfeuer der guten Laune vorkommen, dann ist irgendwas schiefgelaufen.
Andererseits scheint dieses Jahr kein Topfavorit in den Startlöchern zu stehen, so wie Dänemark 2013 oder gar Schweden 2012. Ich könnte damit leben, wenn Armenien das Ding holt, Norwegen wäre auch okay, Ungarn würde mich bass erstaunen (wenn man die Thematik des Songs bedenkt), aber freuen. Bitte, bitte nicht schon wieder Schweden (der Song ist ganz nett, aber kein Siegermaterial) oder Aserbaidschan (der Song will so hart “When the Music Dies” sein, dass es keinen Spaß mehr macht). Über Russland muss ich mich hoffentlich nicht weiter äußern. 2014 verspricht interessant zu werden, und es hat uns nur (beinahe) jegliche interessante Lieder gekostet. War es das wert?
Abwarten. Man kann sich vieles schönhören (auch wenn ich laut lachen werde, wenn San Marino mit diesem “Crisalide” für Anfänger tatsächlich zum ersten Mal das Finale knacken sollte), und vielleicht kristallisiert sich bis Mai ja doch noch ein anderer Lieblingssong für mich heraus. Für den Moment: my 12 points go to Switzerland!