So, und auch die zweite Proberunde des stärkeren donnerstäglichen Semis sei hiermit nachgereicht. Hier ballen sich die besseren Titel und Performances, und obschon nur 15 Qualifikanten auf zehn Slots für das Finale kommen, könnte es ein Hauen und Stechen geben. Prominenteste Teilnehmerin ist natürlich die Österreicherin Conchita Wurst, die mit einer rundweg genialen Inszenierung überzeugt. Für wen ihr Konzept zu queer ist, der fühlt sich sicherlich vom polnischen Auftritt angesprochen, der es schafft, das mittlerweile über 40 Millionen Mal (!) angesehene Youtube-Video adäquat auf die Bühne zu bringen. Beide Darbietungen eint, dass sie bisherige Grenzen übertreten, was die Inszenierung von Sexualität auf der Eurovisionsbühne angeht, sich dabei selbst spielerisch auf die Schippe nehmen und dennoch oder gerade deswegen nicht ins Vulgäre oder Lächerliche abdriften: ganz großes Eurovisionskino!
Großartiges Conchita-Interview mit Eurovision Ireland
Die Beiträge des zweiten Semis
1. Malta | Firelight | Coming home
Jesus, ist die Soundqualität bei diesem Mitschnitt miserabel! Und auch vor all zu vielen Nahaufnahmen von den Bandmitgliedern – insbesondere den weiblichen Teilen den Mumford-Familie – sollten die Macher Abstand nehmen. Das alles ändert aber nichts daran, dass das hier eine hübsche, schwungvolle, fröhlich stimmende Eröffnungsnummer abgibt, die so ins Finale durchwandert. Und zu Recht!
Aufrechtgehn.de-Wertung: 4 Punkte. Finale: natürlich.
2. Israel | Mei Feingold | Same Heart
Ähnlich wie bei der estnischen Tanja (erstes Semi) liefert Mei eine Performance, die im Kameraschnitt bedeutend bewegungsreicher aussieht, als sie in Wirklichkeit ist. Macht aber nichts: alleine ihre unübersehbare Attitüde und ihre Befähigung zum majestätischen Schreiten rechtfertigen bereits den Finaleinzug. Nicht zu vergessen die geile, rotzig-rauchige Stimme und der wirklich starke Song. Mei regiert!
Aufrechtgehn.de-Wertung: 6 Punkte. Finale: amtlich.
3. Norwegen | Carl Espen Thorbjørnsen | Silent Storm
Carls Outfit – das von einer Spange zusammengehaltene Jackett plus Hemd-über-Hose-Kombination – wirken ein bisschen unvorteilhaft. Gleichzeitig erinnern mich das Lederarmband und die Unterarmtatoos daran, warum ich mich ursprünglich in den norwegischen Maler und nebenberuflichen Sänger verliebt habe. Stimmlich war das nicht seine beste Performance, aber es ist schließlich nur ein Probe. Wenn er am Dienstag auf den Punkt liefert, ist alles gut. Noch immer mein Lieblingsbeitrag in diesem Semi.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 12 Punkte. Finale: aber sicher!
4. Georgien | The Shin + Mariko Ebralidze | Three Minutes to Earth
Mariko erinnert mich in ihrem froschgrünen, mit Glassteinen und Schleifen bestickten Kleid und den Wallehaaren an Bette Midler in Nichts als Ärger mit dem Typ, nach dem Zusammenstoß mit zwei großen Papageien, als sie sich mit Federn übersät auf der Flucht vor den bösen Jungs im Wäschetrockner versteckt. Ungefähr so fühlen sich auch die drei Minuten georgischer Experimentalmusik an: ein unfreiwilliger Schleudergang für die Sinne. Ich brauche Drogen, um das zu überstehen, schnell!
Aufrechtgehn.de-Wertung: 0 Punkte. Finale: sicher nicht, trotz der unvermeidlichen Ich-verstehe-es-nicht-also-muss-es-Kunst-sein-Bonuspunkte von der Jury.
5. Polen | Donatan & Cleo | My Słowianie
Die Nummer hat alles: zeitgemäße fette Beats, ein Akkordeon, eine Sängerin mit mehr Attitüde als eine Hundertschaft Transen auf Koks, traditionelle Kostüme, Haarkränze und Zöpfe, Titten bis zum Abwinken, die besten Stellen aus dem Clip auf der LED-Leinwand, eine verführerisch butternde Maid auf der Bühne, absolut fesselnden, auf den Punkt gelieferten Sprechgesang auf polnisch (mit lediglich einer Strophe am Schluss auf englisch) – das ist der absolute Kracher und wird neben der nachfolgenden Künstlerin DAS eurovisionäre Gesprächsthema 2014 sein. Und ich find’s geil, geil, geil!
Aufrechtgehn.de-Wertung: 8 Punkte. Finale: auf jeden Fall, und zu Recht.
6. Österreich | Conchita Wurst | Rise like a Phoenix
Der Hallenmitschnitt belegt die geniale Idee der Österreicher: Conchita steht die ersten dreißig Sekunden im Dunkeln, so dass die musikalisch astreine Bond-Ballade und ihre hervorragende Stimme wirken können und die (bis dato ahnungslosen) Zuschauer eine gefühlsmäßige Bindung zum Song aufbauen können, bevor der visuelle Frau-mit-Bart-Schock einsetzt. Etliche Europäer, die den Beitrag sonst in Bausch und Bogen abgelehnt hätten, könnten ihn bis dahin schon mögen – und so ins Nachdenken über ihre eigenen Vorurteile geraten. Was für ein cleverer Schachzug! Wie auch der, die restliche Darbietung zurückhaltend und edel zu gestalten: warme Farben, eine ruhig in der Mitte der Bühne stehende und nicht gestikulierende Conchita im goldenen Abendkleid, per LED-Wand applizierte Feuerschwingen, leichtes Feuerwerk zum Finale und kein weiterer Schnickschnack. Man merkt: das ist kein Spaßbeitrag, die meint es ernst.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 10 Punkte. Finalchancen: Unbedingt!
7. Litauen | Vilija Matačiūnaitė | Attention
Ich muss zugeben, dass der in Leder eingepackte, bärtige, glatzköpfige Tänzer aus dem Tom-of-Finland-Lehrbuch meine komplette Aufmerksamkeit derartig stark beansprucht, dass man zwischenzeitlich Vilija und ihr schwarzes Reifröckchen – mit dem sie aussieht wie ein lebendiger Pfeifenreiniger – gegen Helene Fischer austauschen könnte und den Song gegen ‘3 Minutes to Earth’: ich würde es nicht bemerken. Wobei seine Choreografie natürlich schon besser zum aggressiv bretternden Schrei nach Aufmerksamkeit passt. Meine hat er. Schade, dass ich ihn am Samstag nicht wiedersehen werde. Kann Mei ihn nicht noch irgendwie einbauen?
Aufrechtgehn.de-Wertung: 2 Punkte. Finale: leider nein.
8. Finnland | Softengine | Something better
Gut, ich gebe zu: der Song hat so etwas wie eine Melodie. Vielleicht kann ja jemand einen Dance-Remix davon machen und bei dieser Gelegenheit diesen schrecklichen Gitarrenlärm eliminieren. Wenn wir dann noch die kastratenartig schreienden Milchbübchen mit ihren kryptofaschistischen Haarschnitten gegen, sagen wir mal, die Scissor Sisters austauschen, könnte ich mich vielleicht sogar damit anfreunden. Aber nur ein kleines bisschen.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 0 Punkte. Finale: leider ja.
9. Irland | Can-linn + Kasey Smith | Heartbeat
Erneut ein Song, der im 30-Sekunden-Clip besser wirkt als in voller dreiminütiger Länge. Vor allem, da er so repetitiv daher kommt. Es nervt auch ein wenig, dass sowohl die Schottenrock tragenden Riverdancer als auch die mit keltischen Motiven bestückte LED-Wand laut und vernehmlich “DIES IST DER IRISCHE BEITRAG!” schreien. Kasey klang auch in diesem Mitschnitt grauenvoll, aber das schreibe ich mal der schlechten Abmischung zu. Das Kleid scheint sie bei Conchita geklaut zu haben, nur, dass es an der Österreicherin edler aussieht.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 1 Punkt. Finale: ich hoffe nicht.
10. Weißrussland | Teo | Cheesecake
Auch hier wieder ein entsetzlicher Sound im Probenmitschnitt, der den Song zu einem dem georgischen Beitrag nicht unähnlichen Klangbrei zermanscht. Zu Teos Gunsten nehme ich einmal an, dass es in Realität gut klang und er mit seinen Tänzern synchron war – auch das konnte man nicht so gut erkennen. Die Frage bleibt, ob sein leicht schmieriger Charme sich auf die Zuschauer überträgt. Nach heute bin ich da wieder etwas unsicherer.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 5 Punkte. Finalchancen: ich hoffe doch.
11. Mazedonien | Tijana Dapčević | To the Sky
Tijuana, diesmal im schwarzen Lesbenschick-Anzug mit weiß abgesetztem Revers (das sah schon in den Achtzigern scheiße aus), befindet sich in Begleitung eines Tänzers im weißen Hoodie und von vier Backings. Sie performt sich den Arsch ab und greift zum Schluss sogar zu der von Texas Lightning patentierten lassoschwingenden Handbewegung, um ihren Refrain zu illustrieren. Vergebene Liebesmüh: ihr blutleerer Discostampfer stammt aus der selben Remittentenabteilung wie die slowenische Nummer vom letzten Jahr. Und von diesem Jahr.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 0 Punkte. Finale: sie hätte es verdient, ihr Song nicht.
12. Schweiz | Sebalter | Hunter of Stars
Aufrechtgehn.de-Wertung: 3 Punkte. Finale: jepp, kein Vertun.
13. Griechenland | Freaky Fortune + RiskyKidd | Rise up
Interessantes Outfit: schwarze Jeans, kurze schwarze Lederjacke und darunter ein langes, weißes Hemd. Interessant auch, dass DJ Freaky (oder ist es DJ Fortune?) nur hinter seinen (nutzlosen, da der Sound vom Band kommt) Reglern steht und dennoch am wenigsten hüpft und springt, obschon er seinen Atem nicht zum Singen oder Rappen braucht, wie die beiden Anderen. Auf dem LED-Schirm läuft dazu eine Art Kästchentetris, an passender Stelle taucht das die Halle in schneeblindheitsweißes Licht wie weiland bei Malena Ernmann. Visueller Höhepunkt bleibt natürlich das beim Schlußrefrain zunächst von einem Athleten und dann gemeinsam von Fortune (oder ist es Freaky?) und Riskykidd besprungene Trampolin. Ein großartiger, Spaß bringender Energieschub! Und dank der im Bühnenhintergrund versteckten Backings klingt das alles auch noch gut.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 7 Punkte: Finale: dürfte sich mit Polen um den Publikumssieg streiten. Und zu Recht.
14. Slowenien | Tinkara Kovač | Round and round
Tinkerbelle tritt in einem nachtblauen Abendkleid mit schwarzem Paillettenkragen und spitzen Achtzigerjahre-Schulterpolstern auf, das sie, offen gestanden, fünfzehn Jahre älter macht. Da der Bühnenhintergrund im selben nachtblau schimmert, geht sie zudem ziemlich darin unter. Die von Frau Kovač die meiste Zeit lippensynchron gefakte Flöte nervt, dürfte aber für ein paar Jurypunkte gut sein. Dennoch kann ich nicht erkennen, wer hierfür anrufen sollte.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 0 Punkte. Finale: hoffentlich nicht – steht allerdings an erster Nachrückerposition, falls Teo strauchelt.
15. Rumänien | Paula Seling + Ovidiu Cernăuţeanu | Miracle
Ovi scheint ja mächtig stolz auf seinen fahrbaren riesigen Rimmstuhl zu sein… – was? Ja, klar, kreisrundes Keyboard. Sicher das! So oder so: es sieht einfach nur lächerlich aus. Dass Paula (hier nicht zu sehen) zunächst als Hologramm erscheint, dann wieder verschwindet und schließlich in echt aus dem Hintergrund aufkreuzt, ist ein weiterer Gimmick, der die halbgare Nummer in Richtung des Labels “Comedy-Beitrag” schiebt. Wobei, lustig ist an ‘Miracle’ nix. Spätestens, wenn die bei Paula & Ovi obligatorischen Flammen erscheinen, rollen meine Augen ganz von selbst. Dass Frau Seling ihren Guinness-Buch-Ton nicht hält, verwundert nicht: es ist nur die Probe. Sie braucht die Stimmbänder noch für das Juryfinale.
Aufrechtgehn.de-Wertung: 0 Punkte. Finale: Selbstredend, denn Paula hat nun mal den längsten. Ton.
ESC 2. Semifinale 2014
Eurovision Song Contest 2014 – Zweites Semifinale. Donnerstag, 8. Mai 2014, aus den B&W‑Hallerne in Kopenhagen, Dänemark. 15 Teilnehmer, Moderation: Lise Rønne, Nikolaj Koppel und Pilou Asbæk.# | LK | Interpret | Titel | Pkt gs | Pl gs | Rkg TV | Pl TV |
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01 | MT | Firelight | Coming home | 063 | 09 | 016 | 14 |
02 | IL | Mei Feingold | Same Heart | 019 | 14 | 021 | 13 |
03 | NO | Carl Espen Thorbjørnsen | Silent Storm | 077 | 06 | 046 | 08 |
04 | GE | The Shin + Mariko Ebralidze | Three Minutes to Earth | 015 | 15 | 015 | 15 |
05 | PL | Donatan & Cleo | My Słowianie | 070 | 08 | 113 | 02 |
06 | AT | Conchita Wurst | Rise like a Phoenix | 169 | 01 | 149 | 01 |
07 | LT | Vilija Matačiūnaitė | Attention | 036 | 11 | 037 | 11 |
08 | FI | Softengine | Something better | 097 | 03 | 052 | 07 |
09 | IE | Can-linn + Casey Smith | Heartbeat | 035 | 12 | 040 | 10 |
10 | BY | Teo | Cheesecake | 087 | 05 | 072 | 06 |
11 | MK | Tijana Dapčević | To the Sky | 033 | 13 | 026 | 12 |
12 | CH | Sebalter | Hunter of Stars | 092 | 04 | 097 | 04 |
13 | GR | Freaky Fortune + RiskyKidd | Rise up | 074 | 07 | 088 | 05 |
14 | SI | Tinkara Kovač | Round and round | 052 | 10 | 044 | 09 |
15 | RO | Paula Seling + Ovidiu Cernăuţeanu | Miracle | 125 | 02 | 112 | 03 |
Meine Tipps für die Qualifikanten aus dieser Runde bleiben unverändert:
- Malta
- Israel
- Norwegen
- Polen
- Österreich
- Finnland
- Weißrussland
- Schweiz
- Griechenland
- Rumänien
Welche Titel des zweiten Semis 2014 qualifizieren sich für das Finale? (max. 10 Stimmen)
- Norwegen: Carl Espen Thorbjørnsen – Silent Storm (10%, 169 Votes)
- Österreich: Conchita Wurst – Rise like a Phoenix (10%, 165 Votes)
- Griechenland: Freaky Fortune + RiskyKidd – Rise up (10%, 165 Votes)
- Israel: Mei Feingold – Same Heart (10%, 163 Votes)
- Rumänien: Paula Seling + Ovi – Miracle (9%, 154 Votes)
- Malta: Firelight – Coming Home (8%, 140 Votes)
- Polen: Donatan & Cleo: My Słowianie (8%, 131 Votes)
- Finnland: Softengine – Something better (7%, 126 Votes)
- Irland: Can-linn + Casey Smith – Heartbeat (7%, 119 Votes)
- Schweiz: Sebalter – Hunter of Stars (6%, 108 Votes)
- Weißrussland: Teo – Cheesecake (5%, 82 Votes)
- Slowenien: Tinkara Kovač – Round and round (5%, 77 Votes)
- Mazedonien: Tijana Dapčević – To the Sky (2%, 42 Votes)
- Litauen: Vilija Matačiūnaitė – Attention (2%, 37 Votes)
- Georgien: The Shin + Mariko Ebralidze – Three Minutes to Earth (2%, 27 Votes)
Total Voters: 180

Natürlich weiß ich, dass ich mich jetzt beim Hausherren unbeliebt mache, aber wenn es nach mir ginge (geht es aber nicht *grmpf*) kämen weiter:
Griechenland, Irland, Israel, Malta, ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweiz, Slowenien
Unter den Genannten befindet sich auch mein persönlicher 12er für das Finale (den die Bookies leider nicht so entsetzlich weit vorne sehen).
Wow, ich dachte schon ich wäre der einzige Mensch auf Erden der Polen UND Österreich gleich gerne mag! Danke für deinen tollen, unterhaltsamen Schreibstil!
Ganz exakt gleich gern mag ich sie nicht (kann mich für Polen etwas mehr erwärmen), aber halte beide für sehr gut. Insofern willkommen im Club!
Verrätst Du uns auch, welcher das ist?
Ich werde bis zum Schluss mein Fünkchen Hoffnung in mir tragen, dass Litauen doch noch den Einzug ins Finale schafft. Total unverstanden, diese großartige Nummer.
“Conchita steht die ersten dreißig Sekunden im Dunkeln, so dass die musikalisch astreine Bond-Ballade und ihre hervorragende Stimme wirken können und die (bis dato ahnungslosen) Zuschauer eine gefühlsmäßige Bindung zum Song aufbauen können, bevor der visuelle Frau-mit-Bart-Schock einsetzt.”
Nee, man sieht sie schon in der Postcard ‑mit Bart natürlich. So kann es zu keinem Schock während des Liedes kommen, sondern (eher) vorher.
Ganz zu schweigen davon, dass die Kommentatoren sich vermutlich auch zu diesem Thema äußern werden, bevor Österreich drankommt…
Hoppala, ganz vergessen.
My twelve points go to: Israel