Mit übereinstimmenden Höchstwertungen aus dem Televoting (das absurderweise mal wieder nur zu einem Sechstel zählte) und aller fünf Juroren gewann gestern Abend die Sängerin Amber Bondin, 2012 noch als Chorsängerin für Kurt Calleja (‘This is the Night’) im Eurovisionseinsatz, die maltesische Vorentscheidung. Und die erklärt uns den Krieg: “ich bin eine Kriegerin, ich muss erobern,” teilt sie uns in ihrem Beitrag ‘Warriors’ mit, der auch musikalisch als Angriff auf die Geschmacksnerven gelten muss: sie schreit mit schmerzhaft disharmonischer, metallener Stimme falsch zu einem Stakkato aus Tönen, aus dem es mir jedenfalls nicht gelingt, so etwas wie eine Melodie herauszuhören. Von einem annehmbaren Refrain gar nicht erst zu reden. Dazu steht die optisch ein wenig an eine füllige Juliane Werding erinnernde Amber böse blickend im Sturm der Windmaschine und schneidet bedeutungsvolle Grimassen: sie scheint es irgendwie ernst zu meinen. Mir wird um Europa bange.
Bringt die großen Waffen mit: Amber Bondin (MT)
Der dauergrinsende Doktor Gianluca Bezzina (MT 2013) brachte diesmal seine gesamte Verwandschaft mit, konnte mit ‘Beautiful to me’ aber nicht punkten – gar all zu harmlos-niedlich kam der Familengesang daher. Auch andere Eurovisionsprominenz blieb erfolglos, so das Discobunny Glen Vella (MT 2011), der trotz knackiger Tänzer und Hula-Hoop-Reifens mit dem Schwedenschlager ‘Breakaway’ ebenso wenig reüssierte wie Ludwig Galea (MT 2004, Julie & Ludwig) als Drittel des Trios Trilogy. Nur im Mittelfeld landeten die von mir – was weiß ich schon? – vorab als sichere Siegerinnen getippten singenden Nonnen Ekklesia mit ihrem vor Kitsch triefenden Gutmenschenschlager ‘Love and let go’. Es wird nicht an den klobigen Arbeitsschuhen gelegen haben, welche die Schwestern zu ihren unschuldsweißen Ordenstrachten trugen, sondern an den erschütternd schiefen Katzengesängen: da lagen wohl die Nerven blank.
Wenn’s vorne drückt und hinten beißt, ist’s Klosterfrau Melissengeist!
Einen wundervoll trashigen Discoschlager, wie ich ihn aus Malta liebe, lieferte die rothaarige Jessika ab, begleitet von einem Harfespieler, zwei von den Kameras konsequent verfolgten vollbärtigen Tänzern in schlimmen Goldbrokatjäckchen mit nichts drunter (noch nicht mal Brustbehaarung!), wild umhergeschwungenen Tülltüchern und einem lustigen Seitenspoilerröckchen. Ein klassischer Sieg der Show über die Substanz also: bravo! Ganz schlimm hingegen der kleine Franklin, der vor Jahren wohl mal beim Junior-ESC dabei war und rein optisch auch immer noch dort hingehört, sah er doch keinen Tag älter aus als elf. Wie er im Einführungsvideo mindestens drei mal erwähnte, stammte seine mit enervierender Fistelstimme geschmachtete Ballade aus der Feder des Eurovisionssiegers Alexander Rybak (NO 2009). ‘Still here’ ist denn wohl auch vom Titel her als verzweifelte Bitte des Geigentrolls zu verstehen, das längst abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum seiner popkulturellen Bedeutung gnädig zu übersehen. Ähm: nein.
Bree van der Kamp als Discoflittchen: Jesska
Einen weiteren fabelhaften Euroclub-Tanzflächenfüller lieferte Christabelle Borg mit ‘Rush’ (eine Anspielung auf die Lieblingsmarke des von der Hauptzielgruppe gerne mal zur Stimulation konsumierten Amylnitrits?). Ihre vier Tänzerinnen trugen knappe schwarze Aerobic-Anzüge mit kaschierenden Arschläppchen, die etwas fülligere und vollkommen kinnlose Christabelle hingegen steckte in einem Midi-Lederröckchen. In die deutlich aggressivere Stimmung dieses Maltasongs fügten sich auch die Vorjahresvertreter Firelight ein, die (neben Kaiserin Conchita) im Rahmenprogramm nicht nur ihren Weltkrieg-Eins-Schlager ‘Coming Home’ zu Gehör brachten, sondern auch ihre neue Single mit dem für maltesische Verhältnisse schlichtweg unfassbaren Titel ‘Talk dirty’. Angriffslustige Walküren anstelle von aufopferungsbereiten Nonnen, poppersschnüffelnde Discoschlampen und jetzt auch noch schmutziger Sex in der Familienbande? Welche finsteren Mächte haben da von dem einst so katholisch-keuschen Malta Besitz ergriffen?
Kein Kinn, kein Keks: Christabelle Borg
Deine Einschätzung: kann Kriegerin Amber sich ins Finale durchkämpfen?
- Auf keinen Fall: das klingt ja grausam! (29%, 18 Votes)
- Klar: das ist ein guter Popsong, und sie hat den nötigen Siegeswillen. (27%, 17 Votes)
- Erst die anderen Songs hören… (24%, 15 Votes)
- Wenn die Malteser noch ein wenig an dem Song feilen, ja. (19%, 12 Votes)
Total Voters: 62
Eine bessere Sängerin könnte aus dem Lied sicher mehr machen. Dennoch bleibt Warrior eine zeitgenössische, starke und international klingende Pop-Ballade.
Wenn ich die merkwürdigen Regularien in Malta jetzt richtig verstanden habe, wird es ja auf jeden Fall bei Amber bleiben, allerdings kann sie das Lied noch tauschen oder ändern. Ich fand ja das Voting immer schon bekloppt, aber diese weißrussische Variante mit dem Getausche ist ja noch mysteriöser 🙂 Kann man da denn überhaupt noch von Vorentscheid sprechen?
Hach is dat schön! Die Saison hat begonnen – und der Hausherr hat den Dolch schon gespitzt. Selbst wenn man keine Ahnung hat, wovon die Rede ist (ich werde selbstverständlich, wie es mir liebe und teure Tradition ist, erst bei Feststehen der Startreihenfolgen ins Geschehen einsteigen), macht es immer wieder wahnsinnig Spaß, Deine Sottisen zu lesen! More of dat, purleaze!
Ist das nicht einfach nur großartig? Die Beschreibung Ambers als “füllige Juliane Werding” ist ja wohl die Formulierung des Monats! 🙂
Ich würde den Song in die Kategorie Mas von Brequette einordnen. Wenn es nur halbwegs so chaotisch und von einer sichereren Interpretin präsentiert würde, könnte es eine entsprechende Entschädigung dafür sein, das Brequette uns im letzten Jahr vorenthalten wurde.
Mir persönlich hat der kleine Franklin ja am Besten gefallen, o.k. an Optik und Stimme muss man sich kurz gewöhnen – aber dann überrascht er doch durch eine unerwartete permanente Steigerung und mit einem endlich mal wieder klassischen und für mich tollen und perfekten Grand-Prix-Song mit Steigerung und Herzschmerz und viel Gefühl.
Letztendlich bin ich einfach nur froh das mir dien Schwestern erspart bleiben.