Kaum verkündete der ORF gestern die Auslosung der diesjährigen Teilnahmeländer auf das erste und zweite Semi, da öffneten auch schon die Wettbüros wieder ihre Pforten – und gaben die ersten Quoten bekannt. Dabei stehen erst eine Handvoll Beiträge fest, was Hardcore-Fans natürlich nicht davon abhält, sich einen frühen Favoriten herauszupicken. Derzeit führt Estland in den Rankings, basierend wohl vor allem auf einem Vorentscheidungslied, das viele Fans bereits für den sicheren Sieger der Eesti Laul, wenn nicht gar des Eurovision Song Contest 2015 halten: ‘Goodbye to Yesterday’ von Elina Born und Stig Rästa. Wenig überraschend, vereint die elegante Nummer gewissermaßen die Ingredienzen der beiden erfolgreichsten Beiträge von 2014 und veredelt die ruhig, intime Stimmung von ‘Calm after the Storm’ (NL 2014) mit dezenten James-Bond-Untertönen wie in ‘Rise like a Phoenix’ (AT 2014).
Die Besten der Esten? Elina & Stig
Nun gewinnen Songs, die in irgendeiner Form an das Konzept des Vorjahressiegers erinnern, beim Grand Prix seit der Einführung des Televoting ja eher selten. Und die Esten sind zudem für ungewöhnliche Entscheidungen bei ihrer Vorauswahl bekannt. Es bleibt also abzuwarten, ob es die Beiden tatsächlich nach Wien schaffen. Die schlechteste Wahl wäre es sicher nicht: auch, wenn mir persönlich zwei andere Eesti-Laul-Songs noch besser gefallen, so könnte ich mit ‘Goodbye to Yesterday’ sehr gut leben. An Boden verloren hat hingegen der bereits hier vorgestellte Punkrocksong ‘Unriddle me’ der Elephants from Neptun: der lebt halt schon sehr stark von seinem düster-bedrohlichen Video, live im ERR-Studio büßt er, wie ich es schon befürchtete, einiges an Faszination ein. Und dass noch eine lustige Inszenierung wie beim Kultknaller von Winny Puuh folgt, ist unwahrscheinlich.
Lenny Kuhr hat angerufen und will ihre Frisur zurück!
Genau so unwahrscheinlich, wie dass es einer meiner beiden Favoriten schafft: im Gegenteil rechne ich fest damit, dass für den verspielten Countryschlager ‘Saatuse Laul’ im Semifinale des Eesti Laul Schluss sein wird, auch wenn Airi Vipulkumar Kansar in Sachen rückwärtsgewandter Mode die gute Ilse de Lange noch toppt: als aparte Kreuzung aus Lenny Kuhr (NL 1969), Nicole (DE 1982) und Maite Kelly (DVE 2002) kommt sie auf die Bühne – und ich bin sofort hin und weg! Interessante Outfits wählten auch die Jungs von Kruuv: schwarze Jeans, weiße Hemden und Hosenträger in unterschiedlichen Farben – da liegt der Vergleich zu Pollapönk (FI 2014) natürlich nahe! Für ihren lustigen Folksong ‘Tiiu talu tütreke’ spricht neben dem Tautogramm die hübsche Instrumentierung mit Dudelsack und Maultrommel sowie der hicksende Gesang. Bislang mein Lieblingslied der aktuellen Saison und damit natürlich dem Untergang geweiht!
Jahn Teigen hat angerufen und will seine Hosenträger zurück!
Ich sehe Estland mit Chancen für ganz vorne mit “Goodbye to yesterday”. Stolperstein ist nicht unbedingt, sich an erfolgreichen Vorjahressongs zu orientieren, sondern sich zu stark daran zu orientieren. Man nehme zum Beispiel 2010, zwei Pop-Duette auf den Plätzen 3 und 4 und 2011 gewinnt dann ebenfalls ein Pop-Duo. Man muss einfach nur zur richtigen Zeit den richtigen Trend erwischen. Man wird sehen, ob die Esten das tun.