Jurys sind Wichser™ – es bewahrheitet sich immer wieder. So auch im heutigen ersten von drei Semifinalen des ungarischen Vorentscheidungsverfahrens A Dal. Zehn Acts stellten sich zur Bewertung durch vier Juroren, darunter die Bushaltestellenflennfrau Magdi Rúzsa (HU 2007). Das Publikumsvoting zählte nur zu einem weiteren Fünftel. Auf diese Weise sollten fünf der zehn Kombattanten für das A‑Dal-Finale am 28. Februar ausgesiebt werden (einen sechsten Titel durfte, wie schon in den Vorjahren, anschließend das Publikum retten). Eine schwierige Wahl, bestand das Feld doch aus zehn mehr oder minder gleich professioneller, gut gemachter und qualitativ beanstandungsfreier Songs, allesamt (!) mit stimmlichen Wacklern, aber doch überzeugend performt. Und so kam es, wie es kommen musste: am Ende der ersten Abstimmungsrunde lagen gleich drei Titel mit gleicher Punktzahl, nämlich 37 Zählern, auf Rang 4 (die drei Erstplatzierten schnitten mit 38, 39 und 43 Punkten kaum besser ab). Und jetzt?
Von der Jury gefickt: ‘Lügner’ Balázs Farkas-Jenser
Anstatt die einzig mögliche faire Entscheidung zu treffen, nämlich alle drei Viertplatzierten ins Finale durchzuwinken, durften die Juroren nun einen von ihnen rauswerfen: aus überhaupt nicht nachvollziehbaren Gründen traf es den durch eine Castingshow bekannt gewordenen Schnuckel Balázs Farkas-Jenser, dessen formatradiofreundlicher Poprocksong ‘Liar’ zwar sicher keinen Innovationspreis gewönne und den lediglich der virtuose Pianopart in der Mitte vor dem Urteil “langweilig” bewahrte, der aber dafür von mir die 12 Dödelpunkte als eindeutig attraktivster Vorentscheidungsteilnehmer der Eurovisionssaison 2015 kassiert. Der zweite hübsche Castingshow-Bube, Gergő Szakács, schaffte es mit seiner doch recht lahmen Klavierballade ‘Ősz utca’ nur auf den geteilten sechsten Rang. Ein fieses und unverdientes Aus somit für Balázs, der alleine schon für das anmutige Spiel seiner außergewöhnlich beweglichen Augenbrauen Extrapunkte verdient hätte!
Looks ten, Song three: Gergö Szakács
Denn auch das Publikum sorgte nicht für ausgleichende Gerechtigkeit: unter den von der Jury aussortierten Fünf wählte es (nun gut, die Ergebnisse der magyarischen Parlamentswahlen zeigen es ja: die Ungarn sind einfach der Demokratie unmündig) in der Zweitabstimmung ausgerechnet die schrill schreiende Sirenenquetsche Timi Antal mit dem Schlechte-Laune-Song ‘Woke up this Way’, einer zu Tode nervigen Rocknummer im Stile von Sinéad Mulvey & Black Daisy (IE 2009) weiter. Pfui! Im Gegensatz zu den eben genannten Gutaussehenden, aber Ausgeschiedenen, schaffte es zu meiner Freude zumindest die Band Karmapolis ins Finale: drei mittelalte und nun ganz und gar nicht ansehnliche Elektrorocker (augenscheinlich Onkel Fester von der Addams Family, Gonzo aus der Muppet Show und Jim Kerr von den Simple Minds), deren Depeche-Mode-Gedächtnissong ‘Time is now’ aber vor allem durch die treibenden Beats überzeugte.
Looks three, Song eight: Karmapolis
Verdienter Sieger dieses ersten Semis wurde der trotz englischer Sprache vielleicht ungarischste Song des Abends, das irgendwie verträumt-sphärische ‘Mesmerize’ des Quartetts Passed: ein fast schon scheu zu nennender, ziellos schwebender Gesang zu sanft mäandernden Harfenklängen, lebhaft konterkariert durch einen stolpernden Trip-Hop-Beat. Also ein bisschen so wie die fabelhafte MarieMarie (DVE 2014) auf Acid: wunderbar! Hinter ihnen platzierte sich Vera Tóth, die Schwester der 2012er Partizipantin Gabi Tóth und ebenfalls durch eine Castingshow bekannt geworden, figürlich ein wenig an Chiara Siracusa (MT 1998, 2005, 2009) erinnernd. Auch ihre Klavierballade ‘Gyémánt’ überzeugte durch musikalische und stimmliche Fülle. Insgesamt der erste Vorentscheidungsabend der Saison, der mir das Gefühl vermittelte, es ist noch nicht alles verloren und es könnten vielleicht doch noch ein paar Songs folgen, welche die Anreise nach Wien lohnen. Danke, Ungarn (aber bitte trotzdem weg mit der blöden Jury)!
Nur an MarieMaries Sinn für Mode und Frisur kommen sie nicht ran: Passed
Hmm, beim Mesmerize-Video habe ich den Eindruck, als würde die Dame da vorne ein völlig anderes Lied singen als das, was ihre Kollegen da hinten musizieren.
Und die Musik im Hintergrund gefällt mir wesentlich besser als das Gejaule da vorne.
Muss onlime zustimmen – in dem Video hört es sich so an, als würde die Sängerin von der ersten bis zur letzten Note falsch singen. Ist das in der Studioversion auch so?
Exakt mein Gedanke
Die Bushaltestellenfrau heißt Magdi Rúzsa. Da haben sich gleich zwei Buchstabendreher eingeschlichen. (Ich mochte den Song auch nicht sonderlich, aber Draufhauen macht doch viel mehr Spaß, wenn einem nicht irgendwelche irrelevanten Fehler nachgewiesen werden können. 😉 )
Mmmm… ich fürchte, dass mein ESC-Geschmack mittlerweile komplett den Bach runter geht. Für mich ist “Mesmerize” bislang einer der besten Songs der Saison 2015 🙂
Tja, die Ungarn drehen ja gerne Vor- und Nachnamen um, da dürfen sie sich über verdrehte Buchstaben nicht beschweren! (Herzlichen Dank für den Hinweis, ist korrigiert)