Arme­ni­sche Ahnen­for­schung in Wien

Wäh­rend der ein oder ande­re Lord­sie­gel­be­wah­rer des gro­ßen Grand-Prix-Regel­werks noch auf gera­de­zu rüh­ren­de Wei­se damit kämpft, dass sich die EBU zum sech­zigs­ten Jah­res­tag der geils­ten TV-Show der Welt auf sym­pa­thi­sche Wei­se locker macht und den (auf­grund ihrer Geschich­te als ehe­ma­li­ge bri­ti­sche Kolo­nie kul­tu­rell ja durch­aus mit Euro­pa ver­bun­de­nen) Aus­tra­li­ern ein­ma­lig den lang geheg­ten Her­zens­wunsch erfüllt, auch mal offi­zi­ell mit­fei­ern zu dür­fen (will­kom­men!), grei­fen die Arme­ni­er sehr geschickt das dies­jäh­ri­ge Mot­to “Brü­cken bau­en” auf, um sub­til die Anti-Poli­tik-Regel der EBU zu unter­lau­fen. Wie eurovision.tv heu­te Abend berich­te­te, will das Kau­ka­sus­land eine sechs­köp­fi­ge Grup­pe nach Wien schi­cken, die sich aus (bis­lang unge­nann­ten Exil-)Armeniern von allen fünf Kon­ti­nen­ten der Erde zusam­men­setzt. Name der Band: Genea­lo­gy (Ahnen­for­schung). Ange­kün­dig­ter Song­ti­tel: ‘Don’t deny’ (‘Leug­ne nicht’). Und das zum hun­derts­ten Jah­res­tag des his­to­ri­schen Geno­zids von 1915, um des­sen Aner­ken­nung als Völ­ker­mord zwi­schen den Tür­ken und den Apri­ko­sen­kern-Länd­lern bis heu­te ein erbit­ter­ter Streit herrscht. Zufall?

Angeb­lich wie­der dabei: Inga  Arshakyan

Ich glau­be nicht! Dazu liegt ‘Don’t deny’ – Genea­lo­gy ein­fach zu nahe an “Don’t deny (the) Geno­ci­de” (des­sen Exis­tenz oder Nicht­exis­tenz oder Umfang mir übri­gens völ­lig wum­pe ist, bevor hier jemand anfan­gen will, zu dis­ku­tie­ren: es liegt hun­dert Jah­re zurück, schlagt Euch ein Ei drü­ber und küm­mert Euch um die Gegen­wart, da gibt’s genug zu tun!). Offi­zi­ell steht hin­ter der Band natür­lich der Gedan­ke der Völ­ker­ver­bin­dung: “Den vie­len Nach­fra­gen der arme­ni­schen Dia­spo­ra fol­gend, wer­den fünf Musi­kan­ten aus Euro­pa, Asi­en, Ame­ri­ka, Afri­ka und Aus­tra­li­en – alle arme­ni­scher Abstam­mung – Teil der Band Genea­lo­gy sein. Die Idee ist es, eine neue Gene­ra­ti­on Arme­ni­er auf der Büh­ne zu ver­ei­nen, deren Fami­li­en sich seit 1915 auf der gan­zen Welt ver­teilt haben,” so zitiert eurovision.tv die arme­ni­sche Sen­der­pro­sa. Ein(e) sechs­te® Künstler(in) direkt aus dem Mut­ter­land kom­plet­tiert das musi­ka­li­sche “Ver­giß­mein­nicht”, das Gan­ze selbst­re­dend im Auf­trag von “Frie­den, Einig­keit und Tole­ranz”. Nach von ESC United rap­por­tier­ten Anga­ben des arme­ni­schen OGAE-Fan­clubs soll es sich bei den Sänger/innen um Tamar Kapre­li­an (USA), Athe­na Manou­ki­an (Aus­tra­li­en), Essaï (Frank­reich), Vahe Til­bi­an (Äthio­pi­en) und Inga Arshak­yan (AM 2009) han­deln. Die offi­zi­el­le Bekannt­ga­be des ers­ten der sechs Ahnen­for­scher ist indes für den 16. Febru­ar terminiert.

Auch sie brach­te sub­ti­le poli­ti­sche Bot­schaf­ten: Eva Rivas (2010)

Inso­fern ist es viel­leicht bes­ser, dass die selbst vom ehe­ma­li­gen Nach­rich­ten­ma­ga­zin unhin­ter­fragt ver­brei­te­te angeb­li­che Rück­kehr der Tür­kei zum Euro­vi­si­on Song Con­test erst für 2016 ansteht – wenn sie denn tat­säch­lich kommt, denn laut der die tür­ki­sche Zei­tung Mil­li­y­et zitie­ren­den dpa-Mel­dung stün­de sie des­we­gen an, weil die For­de­run­gen der Osma­nen (nach Abschaf­fung der Big-Five-Rege­lung und der Jurys sowie stren­ge­ren “mora­li­schen Stan­dards”) “erfüllt sind”, und das kann ich mir beim bes­ten Wil­len nicht vor­stel­len. Mal schau­en, ob es von­sei­ten des tür­ki­schen Bru­der­staa­tes und arme­ni­schen Erz­fein­des Aser­bai­dschan noch Pro­test gegen das Ahnen­for­scher­sextett gibt – ande­rer­seits stel­len es die Haja­sta­ner nicht ganz so plump an wie die Geor­gi­er 2009 (‘We don’t wan­na put in’), sie könn­ten also damit durchkommen.

4 Comments

  • Wür­dest Du das glei­che Argu­ment (Is schon so lang her, wurscht ob’s wahr ist! Reden wir nicht mehr drü­ber!) auch ange­sichts der Aus­sa­gen eines Holo­caust­leug­ners bringen?

  • Ange­bracht, dass Arme­ni­en Musi­ker ande­rer Staats­an­ge­hö­rig­keit für den dies­jäh­ri­gen Bei­trag enga­giert. Da sind wir viel­leicht vor neu­en homo­pho­ben Atta­cken (Con­chi­ta wirkt ja auch mit und viel­leicht der eine oder ande­re schwu­le Inter­pret) bes­ser geschützt. Aram MP3 samt Entou­ra­ge haben ja im ver­gan­ge­nen Jahr der­lei hef­ti­gen schwu­len­feind­li­chen Ser­mon abge­rotzt, man mein­te man wäre im fal­schen Film. Wer auf sei­ner Face­book­sei­te Kri­tik pos­te­te, erhielt einen Shit­s­torm son­ders­glei­chen (ich z. B. “dam­ned gays, stay away from our pla­net”). Gera­de wer sich noch stän­dig mit vor 100 Jah­ren statt­ge­fun­de­nen Ereig­nis­sen (die ich nicht beschö­ni­gen will) in die Öffent­lich­keit rückt und offen­bar doch selbst (bzw. Ihre Urur­ur­ah­nen) von Ver­fol­gung und Schlim­me­rem betrof­fen waren, soll­ten end­lich Tole­ranz gegen­über Homo­se­xu­el­len ler­nen und zeigen.

  • Nein, natür­lich nicht. Da waren wir ja die Übel­tä­ter, und die von uns (unse­ren Vor­fah­ren) began­ge­nen Gräu­el­ta­ten kann und will ich natür­lich weder leug­nen noch Ver­ges­sen ein­for­dern, gera­de auch im Hin­blick auf die Dimensionen.
    Da ich aber weder Arme­ni­er noch Tür­ke bin, hal­te ich es für legi­tim, zum Aus­druck zu brin­gen, dass ich hier kei­ne aus­ufern­den Dis­kus­sio­nen über das The­ma möch­te – dass es einen Geno­zid an den Arme­ni­ern gab, ist ja kaum zu bestrei­ten, mein Ziel war es eigent­lich eher, heiß­spor­ni­ge Geno­zid­leug­ner von ent­spre­chen­den Kom­men­ta­ren abzuhalten.

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