Tja, das kommt davon, wenn – wie im Vorjahr – der beim Nachwuchswettbewerb ausgewählte Vorentscheidungsact in klassischer David-gegen-Goliath-Manier die am Busen der Industrie aufgezogenen Künstler abledert und mit Unheilig gar einen der potentesten deutschen Umsatzträger zum Abdanken bringt. Natürlich beteiligten sich die Gesandten der Musikmajors dennoch auch in diesem Jahr wieder an der undankbaren Aufgabe, aus den rund 1.200 Videobewerbungen – halb so viele wie noch im Vorjahr, da leistete die klare Beschränkung auf die Schattierungen von Beige bereits ganze Arbeit – gemeinschaftlich mit ARD- und Brainpool-Juroren wieder zehn Glückliche für das Clubkonzert in Hamburg (19. Februar 2015, live auf N3, Televoting) auszuwählen. Schließlich wünscht der NDR das Format, und man will ja im Gegenzug seine – in diesem Jahr insgesamt nicht ganz so extrem[ref]Im Hinblick auf die dunklen Jahre von 1987 bis 1996 bin ich mir der dreisten Undankbarkeit dieser Polemik durchaus bewusst. Daher, lieber NDR, liebe Industrie: ist nur Spaß. Nicht ärgern lassen. Ich bin ja froh, dass ihr uns keinen Schund mehr andreht wie damals noch. Weiter so, bitte![/ref] etablierten – Vertragskünstler im USFÖ-Finale in Hannover unterbringen. Zudem kann man bei dieser Gelegenheit gleich darauf achten, dass einem so ein Fehler wie mit Elaiza möglichst nicht noch mal unterläuft.
Kleiner Hinweis: Zahlenkürzel wie ‘4U’ sind seit spätestens 1991 nicht mehr hip. Oder ist das schon wieder retro?
Immerhin: im Vergleich zu 2014 beweist die getroffene Auswahl stilistisch eine etwas größere Bandbreite – und zwar in dem Sinne, dass, wenn wir uns den musikalischen Mainstream als achtspurige Autobahn vorstellen, das letztjährige Clubkonzert sehr tiefe Kratzer im Lack trug vom ständigen harten Entlangschrammen an der Mittelleitplanke. Während man sich diesmal sogar für wenige Augenblicke auf die dritte Spur wagt, beispielsweise in Form des multikulturell aufgestellen Dortmunder Quartetts Klangpoet, das sich 2014 noch vergeblich bewarb. Wobei das in letzter Sekunde eingereichte ‘4U’ natürlich meinungeresker Schlagerseich ist im Vergleich zu dem, was die grauen Herren der Jury mal wieder nicht durchließen: dass nämliches Gremium den Genius von Acts wie Tomas Tulpe oder Sensi Simon & his Brother verkennt, damit rechnete ich natürlich fest. Dass sie aber selbst einen so multitalentierten und mainstreamtauglichen Künstler wie Trong Nguyen aussortieren, verwundert dann doch – nicht, denn der könnte den eigenen, eher unbekannten Acts wie Fahrenhaidt oder Alexa Feser, mit denen die Industrie ihre eigene Art von Nachwuchsförderung betreibt, am Ende noch gefährlich werden. Und das will ja niemand.
Vier gewinnt (aber nur drei dürfen auf die Bühne): Ason
Also beschränkt sich das Line-Up für das Clubkonzert in weiten Teilen auf Jugendliche, die sich mit Coversongs bewarben, und auf eine Handvoll Twens, die sich an verhaltenem Pop (nichts Düsteres, aber auch bitte nichts zu Fröhliches!) versuchen. Die hohe Kunst der Auswahl beweist sich insbesondere beim einzigen Act, der ein bisschen aus dem Eintopf heraussticht, dem Wiesbadener Schwesternquartett Ason nämlich, Töchter eines deutschen Schlagzeugers und einer schwedischen Sängerin, in ordnungsgemäßen Abständen gezeugt: Dorotea ist laut NDR 20 und studiert an der Mannheimer Pop-Akademie, Liliana ist 18, Joella 16. Nur Mickelina fällt mir ihren 12 aus dem Muster – sie darf aber laut EBU-Reglement ohnehin noch nicht auf die Bühne und wird auch in Hamburg nur “eingeblendet”, so der Sender. Zu dritt aber dürften die Ason-Schwestern trotz ihres etwas unbeschwerteren Sounds doch zu sehr an Elaiza erinnern, als dass die Underdog-Karte nochmal zöge. Geschickt gemacht, ihr grauen Herren!
Und das werde ich wohl am 19. Februar auf Dauerschleife hören: USFÖ-Bewerber Sensi Simon, leider abgelehnt
Auch in diesem Jahr bin ich wieder enttäuscht – kein wirklicher Knaller, keine Diva, kein geiler Pop – Gitarre, Klavier, oft nette Stimmen,aber nichts mit Gänsehaut und nichts für die große Bühne, nein ich bin enttäuscht.
Also ich finde den Song von Klangpoet sehr gut. Den würde ich sogar beim Vorentscheid wählen. Und was ist bitte schön daran schlimm, wenn sich Deutschland sich Multikulti präsentieren würde? Ich dachte immer das wäre gut. Letztes Jahr hat mir nur Elaiza wirklich gut gefallen. Und ich sage vorraus Klanpoet stechen durch die Dreisprachigkeit heraus und werden das Clubkonzert gewinnen. Was die VE angeht möchte ich keine Vorraussagen machen.
Könnte ich sehr gut mit leben. Und natürlich ist da nix schlimm dran, wenn Deutschland sich multikulturell präsentiert – im Gegenteil! Fände ich ganz prima. Den “Schlagerseich” bitte nicht zu wörtlich nehmen, das bezog sich auf den Vergleich mit den rausgeflogenen, deutlich schrägeren Titeln und der war extra überzogen gewählt, ich weiß, dass der absurd ist. Vielleicht sollte ich es doch langsam lernen, bei den (potentiellen) deutschen Beiträgen meinen Zynismus etwas zu zügeln, dann könnte ich den Vorentscheid wohl mehr genießen.
Also: das Lied von den Klangpoeten mag ich wirklich, es perlt honigfein in die Gehörgänge und die Strophen sind wirklich gelungen, sowohl musikalisch wie textlich. Leider, das ist aus meiner Sicht die einzige Schwachstelle, überflügeln sie den Refrain ein bisschen. Ich bin da klassisch gepolt, ich mag’s umgekehrt. Aber, wie gesagt, dürfen gerne gewinnen. Sonst hätte ich ihren Clip auch nicht gepostet.
Ason und Klangpoet stechen etwas raus. Der Rest sind leider wieder 9 Schattierungen von Beige. Und warum dort ein paar Leute mit gecoverten Liedern als Zählkandidaten auf der Bühne stehen, werde ich wohl nie verstehen.
Naja, zugelassen sind diese Cover-Song-Bewerbungen ja… und trüge ich einen Aluhut, würde ich vermuten, die Plattenmajors haben da halt noch ein paar Songs von irgendwelchen Vertragsautoren rumliegen, die aber keiner haben wollte, und die müssen jetzt raus, bevor sie gammlig werden. Und da kommen so ein paar junge, naïve Teenies ohne eigenes Material doch gerade recht, die das beim Clubkonzert wegsingen. Dann kann man die Buchhaltung die Autorenabfindungen wenigstens ordentlich abschreiben und man züchtet sich gleichzeitig keine Konkurrenz für die “etablierten Künstler” in Hannover. Aber das wäre natürlich eine wüste, abstruse Verschwörungstheorie und nichts läge mir ferner, als so etwas in die Welt zu setzen. Nein: die wurden einfach wegen ihrer tollen Stimmen (haben sie wirklich alle!) ausgewählt.
Vielleicht sollten wir der Schweiz nacheifern: Internetvorauswahl und die Favoriten in die Entscheidungsschlacht. Dann könnten wir jetzt zwischen “Peter Pan”, “dedede”, den Helmut Bergers, meinetwegen auch Daniel Schumacher mit “electric heart“wählen und bräuchten uns nicht mit den Vorschlägen der Plattenfirmen (heißt das noch so ?) ‘rumärgern. Klangpoeten gehen total in Ordnung, mal sehen ob man den Titel ggfs auf 3 mIn gekürzt bekommt.
Es ist noch abstruser: die privaten Labels verwursten nicht nur gammeliges Musikmaterial sondern bieten einigermaßen talentierten Newcomern gleichzeitig eine günstige Promotionbühne bei den Öffentlich-Rechtlichen.
@Geschl – Ihr könnt alles machen, aber bitte nur eines nicht: der Schweiz nacheifern!!!!!! Da wäre viel Ärger und Frust mit verbunden! ;-))
Herzliche Grüsse aus der Schweiz.
Immerhin gibt man Newcomern eine Plattform. Warum das Genre Spektrum so flach ist … vieleicht eine Vorauswahl auf vermeintliche ESC Tauglichkeit? Wer weiß.
Schön mal wieder von Windmaschinchen zu lesen 🙂
Also von dem Song von Klangpoet habe ich schon ein Ohrwurm. Ich denke mal die werden wohl das Clubkonzert gewinnen.
Man kann es sich nur wünschen, dass Klangpoet durchstarten und dann am 5.März das Ticket für Wien lösen. Habe mir gerade, soweit verfügbar, die Titel der “Etablierten” angehört.… Schnarch.…. Insofern hätte das, @Windmaschinchen, Internetkonzept den deutschen Vorentscheid gerettet.
An Oliver hätte ich da ne Frage. Hätten denn deiner Meinung nach die Zuschauer Unheilig durchwinken sollen, obwohl der Mehrheit der Song von Elaiza besser gefallen hat? Der Graf muss sich doch erstmal selbst an die Nase fassen. Seine Songs haben das Publikum nicht überzeugt. Obwohl ich mich darüber gefreut habe, das Unheilig im letzten Jahr an der VE teilgenommen haben, war ich von den Songs enttäuscht. Hätte er sowas wie Geboren um zu leben zur Ve geschickt hätte es mit Sicherheit anders ausgesehen. Wenn man sich einem Wettbewerb stellt, muß man auch damit rechnen, das man nicht den ersten Platz erreicht. Da darf man nicht die beleidigte Leberwurst spielen und den bösen Zuschauern die Schuld geben, sondern sich fragen, was man selbst falsch gemacht hat. Auch bekannte Acts haben bei so einem Wettbewerb kein Recht auf Platz 1, sondern das muss man sich verdienen. Und das Unheilig besser abgeschnitten hätte als Elaiza war ja auch nicht gegeben.
[…] toller Groove und Boogieness (steht auf Zarkos T) ist ein tolles Wort, aufrechtgehn.de hingegen meint: “Zahlenkürzel wie 4U sind seit spätestens 1991 nicht mehr hip. Oder ist das […]
Ich glaube halt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Zuschauer, die für Elaiza angerufen haben, das nicht taten, weil ihnen der Song am besten gefiel, sondern weil die Mädels halt so supersympathisch und herzig und liebschüchtern wirkten, weil das halt so ein bezaubernder David-gegen-Goliath-Moment war. Ich hab den ja auch so empfunden.
Dann gab es auch noch diejenigen, die nicht *für* Elaiza angerufen haben, sondern gezielt *gegen* den Grafen. Der polarisiert halt. Und leider hat ihm das Publikum in dieser doofen Zweitliederrunde seinen guten Song rausgeschossen. Ich hab in der Schlussrunde für niemanden mehr angerufen, weil mich beide zur Wahl stehenden Songs nicht sonderlich begeisterten.
Das heißt nicht, dass ich Elaiza ihren Sieg nicht gönne, die Mädels waren echt süß, der Song war okay, immer noch deutlich besser als ‘Lied für einen Freund’ oder was wir früher sonst so für Verbrechen zum Contest geschickt haben. Ich glaube schon, dass der Graf mit ‘Als wär’s das erste Mal’ international erfolgreicher gewesen wäre, aber das ist natürlich pure Spekulation und insofern müßig. Vor allem aber glaube ich, dass das mit der Wildcard keine gute Idee ist: da hat man zwangsläufig ein Finale, das aus Äpfeln und Birnen besteht.
Genauso wie es müssig ist zu spekulieren, ob Unheilig besser abgeschnitten hätten in Kopenhagen, genauso ist es müssig zu spekulieren, warum die Leute für Elaiza angerufen haben. Kann mir keiner sagen, das Elaiza durch das Clubkonzert einen Vorteil gehabt hätten, so gut wie der NDR das versteckt hat. Unheilig hatten zwei Songs am Start, die mich nicht vollends überzeugt hatten, dazu kam noch, das der Graf in der entscheidenen Runde bei seinem Auftritt nicht besonders sympathisch rüberkam, sondern eher schleimig und anbiedernd. Als er dann noch versucht hat zu tanzen, oder was seine Bewegungen da darstellen sollten, war es bei mir jedenfalls aus. Elaiza wirkten in der Ve zumindest, sympathisch, fröhlich und authentisch.
Wie ein Freund von mir bemerkte, hätte es auch nicht geschadet, wenn er sich die Ohrhaare rasiert hätte. Den entscheidenden Vorteil, den Elaiza durch das Clubkonzert hatten, war der kurze Ausschnitt, den der NDR vor ihrem Finalauftritt zeigte, wo Ela nach dem Clubkonzert-Konzert gefragt wurde, was sie jetzt zuerst macht, und dann sagte “die Mama anrufen!”. In dem Moment sind in Deutschland simultan wohl ungefähr zwei Millionen Herzen geschmolzen und das hat ihnen einen starken Sympathie-Bonus gebracht. Verdientermaßen, keine Frage, denn Du hast völlig Recht: die waren sympathisch, fröhlich und authentisch.
Leider ist durch dieses emotionale Großduell David gegen Goliath MarieMarie unter die Räder gekommen die ich musikalisch mit Abstand am faszinierendsten fand,
Ich könnte mir vorstellen, dass sich MarieMarie – die der Kamera einen Focus geboten hätte – auf der großen ESC-Bühne etwas besser “verkauft” hätte als Elaiza. Bei den drei Mädels ging m.E. das Staging ziemlich in die Hose und hinzu kam, dass Polka-Folk-Pop der schlicht-fröhlichen Art wohl doch nur eine Randgruppe interessiert. Da hatte der polnische Act weit mehr Biss (und auch Ironie) und möglicherweise sogar Elaiza auch ein paar Stimmen weggenommen
Ich bin ja im Allgemeinen SEHR empfänglich für so Multikulti und Mehrsprachiges. Aber Klangpoet geht für mich leider gar nicht. Der Song haut mich nicht vom Hocker wäre aber erträglich bis zu diesem unsäglich leiernden “Youhouhouhouhou” im Refrain. Das war 2013 von Robin Stjernberg schon Scheiße und macht sich hier auch nicht besser, sondern nur anders. Dazu noch dieses übertriebene Gestikulieren im Video. Ohje…
Der einzig sinnvolle Grund für diese Nummer zu stimmen, wäre aus meiner Sicht als Zeichen gegen die braune Suppe, die sich seit ner Weile in Dortmund zusammenrottet. Das wär´s dann aber auch schon.