Das ist nach meiner Erinnerung ein völliges Novum: dass mich ein Sender soweit kriegt, die Liveübertragung einer Eurovisionsvorentscheidung noch vor Bekanntgabe des Ergebnisses abzuschalten. Gestern schaffte das zyprische Fernsehen CyBC genau dieses, trotz eigentlich hoher Leidensbereitschaft. Lediglich sechs Songs tummelten sich im Finale des Eurovision Song Project: drei völlig indiskutable Darbietungen auf dem Niveau eines Bewerbungssingens für den bunten Abend der örtlichen Grundschule zum Auftakt; gefolgt von einem (zumindest professionell dargebotenen) Rocksong, der noch nicht mal als Albumfüller eine Berechtigung hätte, sowie dem (am Ende siegreichen) männlichen Gegenentwurf zum zypriotischen Beitrag von 2004 und einem herrlich altmodischen Drama-Dualsprach-Duett, das sich allerdings durch den Bühneneinsatz von im Kondom miteinander ringender Spermien selbst die Chancen versaute.
http://youtu.be/5l0rW2N5Hq0
His Glasses are Stronger every Minute: Giannis siegte zu Recht
Ein Programmvolumen also, das man – inklusive der Auswertung des Televotings und des Abfragens der Jury – locker in einer Stunde hätte abwickeln können. Doch nicht auf Zypern, oh nein! Irgendetwas Furchtbares müssen wir der sonnigen Urlaubsinsel angetan haben, dass sie die zuschauenden Fans derartig massiv bestrafte. Denn obschon der Sender, der letztes Jahr aus pekuniären Gründen beim Eurovision Song Contest aussetzte, offensichtlich mit einem extrem begrenztes Budget auskommen muss, beschloss man, die Show auf gefühlte drei Tage zu strecken: man ließ einfach die als Juroren gebuchten ehemaligen zypriotischen Teilnehmer/innen und die sechs Kandidat/innen ein Eurovisionsmedley nach dem anderen singen, und immer wenn man dachte, jetzt müssen sie aber sämtliche Beiträge der Contestgeschichte endlich durchhaben, kam noch eins. Nach dem dritten Werbeblock des Abends ließ ich alle Hoffnung fahren. Zumal es mir relativ egal erschien, wer von den drei etwas professionelleren Kombattanten siegen würde: mehr als Semifinalfutter will die Insel wohl auch heuer nicht schicken.
http://youtu.be/GyIhS6FwpUg
Farid Mammasohn (AZ 2012) hat angerufen und will seinen Act zurück: meine Lieblinge Charis & Nearchos
Der Sieg von Giannis Karagiannis geht in diesem Umfeld also vollkommen in Ordnung: ‘One Thing I should have done’ stammt aus der selben Feder wie der Gänsehaut-Song ‘Stronger every Minute’ von Lisa Andreas (CY 2004), und das hört man: zurückgenommen, ruhig und ernsthaft trägt der Sänger die extrem reduzierte Ballade inklusive eines hauchzart gesungenen, kurzen Acappella-Parts mit anschließender, hochgradig abgefeimt dort platzierter Klatschfalle vor. So ein ruhiges Stück kann im überdrehten Eurovisionszirkus durchaus eine willkommene Abwechslung sein. Allerdings muss Giannis auf den Welpenschutzbonus verzichten, der seine Landsfrau in Istanbul ins Finale trug: mit Nerdbrille und Kellnerweste wirkt er ein wenig unglamourös, dabei aber lange nicht so zerbrechlich und schüchtern wie die kleine Lisa. Ob er es über das Semi hinaus schafft, bleibt daher abzuwarten. Was mich persönlich mehr interessiert, ist, wer beim gestrigen Auftritt eigentlich die Zweitstimme im Refrain sang? Kam sie – wie beim schwedischen Melodifestivalen – vom Band? Oder unterstützte der in solchen Dingen ja bestens geübte Alex Panayi (CY 1997, 2000) gar vom Jurorentisch aus? Auf der Bühne zu sehen war nämlich nur unser Kellner…
Deine Einschätzung: reichts für Giannis Karagiannis fürs Finale?
- Wunderschöner Song, ruhig und kompetent vorgetragen: läuft! (44%, 22 Votes)
- Zzzzzzzzzzzzzzzz.… was war die Frage? (36%, 18 Votes)
- Für die Kuschelrock-CD ist das gut, für den Contest reicht es nicht. (20%, 10 Votes)
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Das mit Lisa Andreas’ Stronger every minute (übrigens neben Manamou mein absoluter Lieblingsbeitrag aus Zypern) ist mir gestern früh beim erstmaligen Hören des heurigen Beitrags auch direkt aufgefallen – dank Nachlesen hier erfahre ich heute, dass das kein Zufall ist. Schön das und danke sehr, werter Blogger! 🙂 Und natürlich ist Jan Karajan 😉 in 2015 einer meiner Favoriten in Wien !