Die eurovisionäre Rücktritteritis scheint ansteckend zu sein: nach dem spektakulären Verzicht des Unser Song für Österreich-Gewinners Andreas Kümmert auf die Fahrkarte nach Wien am Donnerstag gab nun die portugiesische Grand-Prix-Legende Simone de Oliveira (PT 1965, 1969) bekannt, im Falle eines Sieges beim diesjährigen Festival da Canção ebenfalls die Teilnahme am Eurovision Song Contest zu verweigern, wie Eurovision Apocalypse heute berichtet. Kleiner, aber feiner Unterschied zu Kümmert: die mittlerweile 77jährige Frau de Oliveira verfügte zumindest über die Klasse, ihre fehlende Repräsentationsbereitschaft rechtzeitig vor dem heute Abend stattfindenden Finale der portugiesischen Vorentscheidung bekannt zu geben, so dass die Televoter, die sie am Donnerstag im zweiten Semi des Festival da Canção unterstützten, sich eine/n andere/n Favorit/in suchen können. Dennoch schade: ihre Ballade ‘À Espera das Canções’ fällt zwar musikalisch in den schier unerschöpflichen Topf portugiesischer Depressionsmusik, wird aber durch die atemberaubende Interpretation der schildkrötengesichtigen Grande Dame des lusitanischen Chansons zum echten Erlebnis.
Vorsicht, zerbrechlich: auch Simone de Oliveira will nicht zum ESC
Damit dürfte es heute Abend auf die Walküre Yola Dinis hinauslaufen, deren Leibesfülle unwillkürlich die Vermutung aufkommen lässt, sie habe hintereinander Joy Fleming (DE 1975) und Chiara Siracusa (MT 1998, 2005, 2009) verspeist, mit ‘Outra vez primavera’ aber eine mit großer Stimme intonierte, hochdramatische und sich zum Schluss zu einem fantastischen Crescendo steigernde Ballade interpretiert, wie sie selbst die Höschen solch bekennender Langsamliedhasser wie mir feucht werden lässt. Doch zurück zum Rücktritt: auch wenn Frau de Oliveiras Entscheidung und vor allem das rechtzeitige Kommunizieren dessen Respekt verlangt, so erscheint der plötzliche Trend zur Eurovisionsunlust doch etwas beängstigend. Warum, so fragt sich ja auch ganz Deutschland seit dem spektakulären Rückzieher Andreas Kümmerts, tritt jemand denn überhaupt zu einer Vorentscheidung an, wenn er oder sie sich dem großen Nationenwettbewerb gar nicht stellen möchte?
Die Senhora du Mar: Yola Dinis
Einen so unaufgeregten wie schlüssigen Erklärungsversuch liefert Stefan Niggemeier in der FAZ: er analysiert mit Hinblick auf die telemediale Vergangenheit des fränkischen Ausnahmesängers mit der berührenden Stimme, dem schon bei seinem Sieg in der Castingshow The Voice der Rummel um seine Person zu viel wurde, dass gerade bei Kümmert mit einer solchen Reaktion, mit der er am Donnerstag viele Eurovisionsfans vor den Kopf stieß, zu rechnen gewesen sei. Schließlich habe Kümmert bei The Voice genau so wie bei USFÖ “nur seine Musik bekannter machen wollen”, so Niggemeier. Ein grundsätzlich legitimes Anliegen, und da in der heutigen Fernsehlandschaft Programmplätze für musikalische Live-Auftritte fast nur noch in Form von Wettbewerbssendungen wie Castingshows und der Eurovisionsvorentscheidung zur Verfügung stehen, treibt es eben auch zunehmend Künstler dorthin, die dem damit verbundenen Druck (inklusive der Gefahr einer öffentlichen Hinrichtung durch die Bild) nicht standhalten. Ein grundsätzliches und auch schwer lösbares Dilemma zwischen den Bedürfnissen von Musikern, die einfach nur etwas Beachtung für ihre Kunst erfahren wollen, und dem Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer – auch ich mag den Song Contest ja vor allem wegen des (im Grunde absurden) Wettbewerbscharakters.
Warum tritt sie nicht gleich auch noch vom Festival da Cancao zurück? Ich bin ja schon wegen dem Kümmert zur Genüge in Rage und jetzt macht der Mist, den der angestellt hat, auch noch international Schule ?!
Unfassbar!
Reicht denn die serbische Disko-Walküre nicht aus?
Ich hoffe natürlich trotzdem, dass in Portugal nicht Yola Dinis, sondern Teresa Radamanto das Rennen macht. Mit Simone de Oliveira wäre ich allerdings auch sehr zufrieden gewesen. Schade.
“Ich bin nur ein einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn…” Dieses Tiefgestaple nervt entsetzlich. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Zum Kuckuck: Wer den Kopf zum Fenster hinaus hält, muss damit rechnen, eine auf den Deckel zu kriegen. Also, bleibt in euren Mäuselöchern, wenn ihr nicht die Balls habt, den ganzen Rummel auch auszuhalten.
Fette fabelhafte Fag Hags kann es beim ESC nie genug geben!
Schade, wenn es wirklich so wäre. Ich mag Simones Vortrag. Wie wäre es nach einem Junior ESC mit einem Senior ESC? Simone, Lys, Babushki und die BBC kann sicher auch noch die ein oder andere Musikleiche ausgraben.
Naja, das Festival ist jetzt auch ohne seinen “Zweck” als ESC-Vorentscheid ja durchaus eine Institution in Portugal. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich der ein oder andere da beteiligen will, ohne danach die weite Reise und den ganzen ESC-Stress haben zu müssen. Ist bei San Remo ja auch nicht anders – und wären die Skandinavier nicht so eurovisionsverrückt, könnte ich mir vorstellen, dass auch beim Mello und den MGPs so jemand auftaucht. (Das ist immer noch keine Erklärung für das, was in Deutschland passiert ist.)