“Berücksichtigt die Stimmen unserer Juroren für das Finale oder wir sehen uns gezwungen, anderweitig nach Gerechtigkeit zu suchen” – so herrlich melodramatisch formuliert es Sabrija Vulic, der montenegrinische Delegationsleiter, in einer von Wiwibloggs publik gemachten Mail an den obersten Eurovisionsschiedrichter Jan Ola Sand. Grund der Entrüstung: die Annullierung des Jury-Ergebnisses des für seine Korruptionsanfälligkeit bekannten, winzigen Balkanlandes durch die EBU am Finalabend von Wien. Für die offizielle Ergebnisermittlung des Jubliäumsjahrgangs waren bekanntlich die Voten der Jurys aus Mazedonien und Montenegro nicht mitgezählt worden, ohne dass man die Gründe im Einzelnen nannte. Wie der NDR Ende Juni rapportierte, sei beiden Ländern beim Treffen des EBU-Lenkungsausschusses darüber hinaus eine Geldbuße auferlegt worden, was nahe legt, dass es zu Regelwidrigkeiten gekommen sein muss. Der montenegrinische Sender RTCG setzt sich aber weiterhin gegen den Ausschluss seines Juryvotings zur Wehr.
Sagt das Land dem ESC nun “Adio”?
Zunächst lancierte der Delegationsleiter die von der EBU nicht publizierten Jury-Ergebnisse an die britisch-amerikanische Eurovisionsseite Wiwibloggs. Demnach setzten die fünf montenegrinischen “Experten” jeweils gleichlautend Slowenien auf den vierten und Italien auf den fünften Platz. Und auch bei Albanien, Serbien und Griechenland stimmten sie extrem ähnlich ab. Allerdings gab es, wie Wiwibloggs sekundiert, ähnliche Auffälligkeiten auch bei anderen Ländern, deren Wertung deswegen aber nicht annulliert wurden, wie beispielsweise in Aserbaidschan. Oder beim deutschen “Experten”-Gremium, das so überraschend wie einstimmig die fantastische Aminata aus Lettland auf den ersten Rang setzte, was im Brandbrief an Herrn Sand auch Erwähnung findet. Die Diskussion um die Dispensierung des Jury-Votings überschatte nun zur Verbitterung des Senders in der internationalen Berichterstattung den Erfolg von Knez und könne dazu führen, dass sich im Lande niemand mehr für eine Mitarbeit in dem Gremium finden lasse. Jedenfalls empfänden sich die betroffenen Jury-Mitglieder – “Leute mit akademischen Titeln, von denen einige in hohen Positionen” arbeiteten, wie Vulic betont, – als “verletzt und beschädigt” und wollten sich mit der Entscheidung der EBU nicht abfinden.
Seine Gefühle wurden verletzt: der montenegrinische Delegationsleiter in Ausübung seiner künstlerischen Tätigkeit
Ein Stürmchen im Wasserglas, gewiss. Zumal die Auswirkungen für das offizielle Eurovisionsranking gering sind: zählte man die montenegrinischen Jury-Stimmen mit, so tauschten Rumänien (Rang 15) und Albanien (Rang 16) die Plätze, sonst bliebe alles gleich. Auch das verhängte Bußgeld kann nicht besonders schmerzhaft sein – Frank-Dieter Freiling vom ZDF, aktueller Vorsitzender des Eurovisions-Lenkungsausschusses, meint hierzu, dies sei “Ansichtssache”, so dass es als eigentliches Motiv der Klage ausscheidet. Und wirklich erscheint es ein wenig unglücklich, dass sich die EBU zu den exakten Vorwürfen gegenüber Montenegro nicht äußert und so sämtlichen Spekulationen über eine Ungleichbehandlung Tür und Tor öffnet. Jedenfalls illustriert die Diskussion mal wieder einen der Schwachpunkte des Jurysystems: wenn ich einen kleinen, handverlesenen Kreis von lediglich fünf Leuten über Musik abstimmen lasse, sind Zufälligkeiten, Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten geradezu vorprogrammiert. Zumal, wenn ich diesen Kreis, wie in Deutschland, aus einer relativ homogenen Gruppe von Künstler/innen bestücke, die ausschließlich für den aktuellen Mainstream stehen. Die beste Lösung aus meiner Sicht wäre es daher, auf das korruptionsanfällige Instrument der Jury ganz zu verzichten. Will man das nicht, sollte man aber vielleicht wenigstens über eine Erweiterung auf deutlich mehr Mitglieder nachdenken und verbindlich einzuhaltende Vorgaben für eine demografische Streuung nach Geschlecht und Alter machen, sonst wird es immer wieder zu solch unliebsamen Ergebnissen und Diskussionen kommen.