Zeitgleich mit der Eurovisionssaison 2016 startet auch der Vorlauf zur dritten Ausgabe der Türkvizyon, des osmanischen Gegenentwurfs zum Eurovision Song Contest (sorry, lieber Leser/innen, Ihr werdet auch dieses Jahr nicht verschont!). Und, wie sich das für diese herrlich skurrile Veranstaltung so gehört, herrscht bereits beim Saisonstart völlige Verwirrung. Wurde der Musikwettbewerb eurasischer Staaten und Regionen mit Turkvolk-Anteilen, ins Leben gerufen durch die Kulturorganisation Turksoy und den türkischen Spartensender TMB TV, doch ursprünglich als Veranstaltungsreihe der Kulturhauptstädte der “Türkischen Welt” konzipiert und residierte bei den ersten beiden Ausgaben 2013 und 2014 denn auch folgerichtig in der jeweiligen aktuellen Kulturmetropole Eskişehir (Türkei) bzw. Kasan (Tatarstan, Russland). In diesem Jahr nun darf sich das 125.000-Einwohner-Städtchen Mary (Turkmenistan) mit jenem Titel schmücken, wo die Türkvizyon dann auch zunächst stattfinden sollte.
Der Siegertitel der Türkvizyon 2014, ‘Izin körem’ (‘Ich sehe Deine Spur’) von Zhanar Dugalowa (KZ).
Turkmenistan, eine ehemalige Sowjetrepublik am Kaspischen Meer mit reichen Erdgasvorkommen, ist indes als Diktatur bekannt, die in Sachen Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung der Opposition sogar das gegenüberliegende Aserbaidschan in den Schatten stellt und gegen die selbst die Türkei unter Erdoğan als liberale Demokratie durchgeht. Und so dauerte es nicht lang, bis die turkmenische Regierung befand, dass es in Mary keine ausreichend große Halle gebe, weswegen man die prestigeträchtige Show in die Hauptstadt Aşgabat zu holen beabsichtigte. Dies wiederum sorgte nun wohl bei den Ausrichtern für Verstimmung, und so gab der Sender TMB TV am 26. August per Tweet bekannt, dass die Sause nunmehr in Istanbul steige, wie eurovoix berichtete. Auch die in diesem Jahr erstmalig durchgeführte Bala Türkvizyon, die Junior-Ausgabe des Wettbewerbs, findet in der türkischen Metropole statt, die praktischerweise eine Städtepartnerschaft mit dem als Militärstützpunkt und Zentrum der turkmenischen Gas- und Baumwollindustrie bedeutsamen Mary unterhält, sodass die Brücke vom Kaspischen Meer zum Bosporus flugs geschlagen war.
https://youtu.be/HG4MJW2f9qo
“Istanbul – ist es denn schön da?” Aber hallo!
Unbestätigten Meldungen zufolge soll sich die turkmenische Regierung bereits “empört” über die Entscheidung gezeigt haben, ihnen den Event wegzunehmen. Wann es nun genau so weit ist (angedacht ist der Zeitraum November / Dezember 2015), steht unterdessen noch nicht fest, auch über die Anzahl der Türkvizyon-Teilnehmer/innen schwanken die Angaben wie üblich. Zählt eurovoix derzeit 14 feste Zusagen (darunter Deutschland), so sagte der Sender, dass 26 Länder bzw. Regionen mitmachen wollen, ohne diese jedoch namentlich zu nennen. Spannend dürfte sein, ob Turkmenistan nun noch dabei sein wird. Klar ist indes, dass auch 2015 die Jurys regieren: das seit dem Türkvizyons-Start in 2013 versprochene SMS-Voting fällt auch heuer “aus technischen Gründen” aus. So oder so: ich freue mich schon wieder auf Bizarres, Interessantes und Horizonterweiterndes aus dem osmanischen Kulturraum!
Ich seh schon die Gegenveranstaltung “Turkmenistanvision” vor mir, in der dann nur Lobeshymnen auf den turmenischen Diktator Berdymuhamedow erlaubt sind.