Vergangenen Donnerstag fand in Minsk das erste Vorsingen für die weißrussische Vorentscheidung Natsyjanal’ny Adborachny statt. Sechzig der insgesamt 91 Hoffnungsfrohen stellten im steril ausgeleuchteten Sendestudio von BTRC ihre Beiträge vor. Der Rest folgt am kommenden Mittwoch, dann wählt die 19köpfige Jury maximal 15 Glückliche aus, die sich voraussichtlich am 15. Januar dem Urteil der Zuschauer/innen stellen dürfen – diesmal heißt es hundertprozentiges Televoting im demokratischen Vorzeigestaat Weißrussland. Allerdings könnten es angesichts des Aufgebotes auch nur fünf Finalisten werden, wie die BTRC-Vorentscheidungsverantwortliche Olga Schlager – doch, die heißt so, das habe ich mir nicht ausgedacht! – gegenüber escKaz sagte. Hat man sich durch die Aufzeichnungen der ersten Runde durchgewühlt, kann man nur sagen: Gott sei Dank!
https://youtu.be/hv9JfLe_b5Y
Filigrane Textarbeit trifft auf gesangliches Können und eine ausgefeilte Choreografie: Ray.
Obschon es im Vorfeld hieß, man freue sich besonders über landessprachliche Beiträge, bevorzugte der größte Teil der Bewerber/innen Englisch, beziehungsweise ein sehr, sehr lose an die Lingua Franca des Pop angelehntes Kauderwelsch. ‘Sorrow will be Ashes’, einer der Songtitel, weist da den Weg, von der Aussprache erst gar nicht anzufangen. In der Regel versteht man nur die Hälfte, und das, was man versteht, zieht einem die Schuhe aus. Doch nicht nur sprachlich zeigen sich die Belarussen mit leichten Problemen behaftet. Auch mit dem Zählen haben sie es nicht so, wie uns die Band Raskalyonnye utyugi (Geschmolzenes Eisen) beweist, die in der ersten Klasse gefehlt haben muss und beim Aufsagen der Einserreihe beharrlich die Vier überspringt. Dazu kommt bei ihnen noch die optische Pein in Form eines storchenbeinigen Sängers, der seine Stelzen stolz in eine Radlerhose quetscht.
Mit der Radlerhose des Todes: die belarussischen Stahlkocher.
Gruselig wird’s bei Konstantin, der lauthals verkündet: “I kill my Love” und dabei auch dreinschaut wie der prototypische Psycho-Killer aus dem Tatort (übrigens, TV-Tipp für heute Abend: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes. Der erste Teil hatte eine der fiesesten Handlungen ever. 20:15 Uhr, im Ersten). Unser nicht so stiller belarussischer Gast ermordet nebenbei auch Gesang, Rhythmusgefühl und Aussprache. Was muss bei dem nur in der Kindheit schief gelaufen sein?
Nur für starke Nerven: Konstantin der Killer.
Als so späten wie überflüssigen Nachklapp auf die lustigen udmurtischen Ömchen Buranowskiye Babushki (RU 2012) versuchten sich vier Trachten tragende Damen mit dem Namen Spasovka, die zur Quetschkommodenbegleitung acapella schief krischen. Nein, Tradition alleine rechtfertigt nicht alles.
Wenn man schon kopiert, sollte man besser sein als das Original.
Aufs Trickkleid setzte hingegen ein sich selbst als Persona non grata klassifizierender Künstler, und mit diesem Auftritt qualifizierte er sich auch für das selbst gewählte Label der unerwünschten Person. Dabei zog er showtechnisch alle Register: Danijela-Cape, US-Imperatorenhut, engsitzende dunkelblaue PVC-Maske (dass er darunter noch atmen konnte!), überraschende Armrudereien und spontane Selbstentzündung. Nur Stimme und Lied vergaß er leider, kündigte am Ende aber an: “I’ll be back!”. Ich hoffe nicht!
Ich wusste gar nicht, dass solche Stoffe und Farben noch hergestellt werden!
Mühelos getoppt wurde diese Darbietung allerdings von Levon Gziryan, offensichtlich der uneheliche Sohn von Dima Bilan (RU 2006, 2008) und Grey’s‑Anatomy-Star Patrick Dempsey. Der ließ sich von drei blondierten, lebenden Mikrofonständerinnen umtanzen – die Frau als stumme Antenne, die nur dazu dient, die Ideen des Mannes zu empfangen: solcherart ranziger Machismo mag vor fünfzig Jahren noch en vogue gewesen sein. Jedenfalls hier im Westen.
Schwerste Kopfarbeit!
Bleiben wir bei plastikblonden Frauen: ein wenig unter dem Kameramann litt die vermutlich in mühevoller monatelanger Schwerstarbeit einstudierte, dennoch arg hölzerne Synchrontanz-Choreo der Rockband U.G.Oslavia (ja, das Wortspiel ist beabsichtigt). Der fokussierte sich nämlich auf die fakehaartragende Leadsängerin, die beim standesgemäßen Zöpfeschütteln am Schluss gar ihr Stirnband verlor. Schade, ich hätte lieber den Gitarristen ausführlicher gesehen.
Schüttel Dein falsches Haupthaar, wildes Mädchen!
Weniger Fokussierung auf den Leadsänger hätte ich mir auch bei der Band Pesnyary gewünscht, dessen Frontmann das Pfannkuchenartige seines Gesichtes mit einem rundgeschnittenen Föhn-Pony auf das Allerliebste betonte. Sonst ist die schnulzig gejammerte Nummer allerdings nicht weiter erwähnenswert.
Hübsche Jackettbestickung!
Zum Barmen hingegen der belarussische Justin Bieber, Egor Isakov, der nicht nur deutlich besser im Futter steht als sein US-amerikanischer Frisurgenosse, sondern auch als Rockgitarre-Spieler so überhaupt nicht überzeugen kann. Natürlich, so ein Umschnall-Instrument dient vortrefflich als Nervositätsabbauer; man kann sich prächtig dran festhalten; weiß, wohin mit den Armen, und etwas Kredibilität täuscht sie auch noch vor – wenn man es nicht so ungeschickt anstellt wie unser Egor. Da hilft nur Üben, Üben, Üben!
17 Jahr, schlimmes Haar, so stand er vor mir.
Kommen wir abschließend zu meinen beiden Lieblingstiteln. Oder, genauer, den beiden einzigen Stücken, die ich mir im weißrussischen Finale wünsche. Da ist zum einen die Band Briz, die mit ‘Sing and Dance’ ein flottes Elektroswing-Stück in der Tradition von Electro Velvet (UK 2015) abliefert, trefflich aufgepeppt mit Akkordeonbegleitung und passendem Synchrontanz. Leider nahmen sie sich auch Alex Larkes furchtbares Mogli-Scatting zum Vorbild, und so entledigen sie sich bereits nach 20 Sekunden jeglicher Chancen, wenn der bärig-niedliche Bassist seine Stimme erhebt. Schade!
Gut, an Aussprache und Outfit hätte man auch noch arbeiten müssen…
Bleiben noch die Sweet Brains, die sich letztes Jahr schon als lustig verkleidete Zombies versuchten und diesmal in Sachen Kostümierung und Performance noch eins drauflegen. ‘Dance like Zombies’ gewinnt jetzt als Song keinen Innovationspreis, die Darbietung ist aber wirklich unterhaltsam und wirkt mit der richtigen Lichtinszenierung sicherlich nochmals professioneller. Falls nicht noch was Überzeugenderes kommt, möchte ich die gerne in Stockholm sehen!
Auch Tote können einen Hang zu farbenfroher Floristik hegen: Sweet Brains.
Ach du meine güte. Eines schlimmer als das andere. Die zombies sind schon unterirdisch. Und der rest noch schlimmer. Die wahl zwischen pest, cholera und thyphus
In aller Fairness gegenüber den Weißrussen: es waren auch eine Handvoll lautstark intonierter Bombastballaden am Start und eins, zwei mittelprächtige Schwedenschlager. Und vermutlich werden die auch ins Finale weiterwandern. Da diese Art von Musikware, die wohl die meisten Fans in Entzücken versetzt, mich mittlerweile überwiegend anödet, habe ich davon aber hier nichts vorgestellt.
Ah ok. Dann stell doch auch mal die einigermassen guten vor.
Also ich hab hier Tränen gelacht. Danke besonders für die Kommentare.