Fes­ti­vali i Kën­gës 54: Der Angriff der James-Bond-Borgs

Drei Aben­de, drei­ßig Songs, gefühl­te drei­hun­dert Stun­den voll zäher Mode­ra­ti­on, zähe­rer Lie­der und zähes­ter Inter­val-Acts sowie gefühlt drei­tau­send Wie­der­ho­lun­gen der gefühlt stets der­sel­ben drei Wer­be­clips lie­gen hin­ter uns. Mit ande­ren Wor­ten: ein ganz nor­ma­les Fes­ti­vali i Kën­gës! Und auch wenn man gegen Ende des drei­ein­halb­stün­di­gen Fina­les schon alle Hoff­nun­gen hat­te fah­ren las­sen: zuletzt schaff­te es die (nach wie vor allei­ne abstim­mungs­be­rech­tig­te) sie­ben­köp­fi­ge Jury doch noch, eine Sie­ge­rin zu küren und uns damit das ers­te Lied für den Euro­vi­si­on Song Con­test 2016 zu schen­ken! ‘Për­ral­lë’ heißt es, – jawohl, mit gleich zwei Diakrit‑ë, wir sind schließ­lich in Tira­na! – was sich mit ‘Mär­chen’ über­setzt. Und es klingt wie die Titel­mu­sik einer alba­ni­schen Sci-Fi-Action-Par­odie, in der James Bond auf krie­ge­ri­sche Welt­rau­mama­zo­nen trifft. Deren Anfüh­re­rin, Ene­da Tarifa (das über­setzt sich ver­mut­lich als “Ener­gie­spar­ta­rif”), singt die episch ange­leg­te Num­mer. Und sie macht das sehr gut: das leicht ange­rock­te, mit schwel­ge­ri­schen Gei­gen auf­ge­wer­te­te Mid­tem­po­stück bie­tet viel Raum für Stimm­akro­ba­tik, und die blon­de, streng geschei­tel­te und noch stren­ger drein­bli­cken­de Sän­ge­rin schreit sich auch schön die Lun­gen wund. Den­noch wird es nie dis­har­mo­nisch, wie bei so vie­len ihrer Vor­gän­ge­rin­nen aus dem Land der Skipetaren.

Frisst bri­ti­sche Agen­ten zum Früh­stück: Ene­da Tarifa (AL 2016).

Ein biss­chen sper­rig kam ‘Për­ral­lë’ schon daher, öde­te aber auf­grund sei­ner aus­ge­feil­ten Song­struk­tur zumin­dest nicht an und lös­te somit bei mir weder akti­ve Ableh­nung noch berausch­te Begeis­te­rung aus. So wie übri­gens ein Groß­teil des dies­jäh­ri­gen FiK-Auf­ge­bo­tes: unter den ins­ge­samt drei­ßig Wett­be­werbs­bei­trä­gen, die am ers­ten und zwei­ten Weih­nachts­fei­er­tag vor­ge­stellt und für das Fina­le am 27. Dezem­ber auf schma­le 22 Titel ein­ge­dampft wur­den, fand sich wenig, bei dem ich den sofor­ti­gen Wunsch ver­spür­te, mir die Ohren zuzu­hal­ten. Aller­dings auch kaum etwas, das mir mehr als ein wohl­wol­len­des Schul­ter­zu­cken ent­lockt hät­te. Zu fes­seln ver­moch­te mich ein­zig Luiz Ejl­li. Und das auch nur wegen sei­ner wun­der­schö­nen grü­nen Augen und auf­grund der Tat­sa­che, dass er seit sei­nem Euro­vi­si­ons­auf­tritt von 2006 zu einem wirk­lich schmu­cken jun­gen Mann her­an­ge­reift war, der als Vor­her-Nach­her-Model für Drei­ta­ge­bär­te wer­ben könn­te. Sein Bei­trag ‘Pa Mba­rim’ lang­weil­te aber lei­der, der deut­schen Titel­über­set­zung gerecht wer­den, ‘Ohne Ende’. Das ein­zi­ge Lied des Abends, das sich auf Anhieb in mei­nen Gehör­gän­gen fest­krall­te, lan­de­te am Ende auf Rang 4: ‘Dashu­ri në Për­je­të­si’ (‘Lie­be auf Ewig­keit’), ein scham­los schmal­zi­ger Ope­ret­ten­schleim, gegen den der Euro­vi­si­ons-Publi­kums­sie­ger von 2015, ‘Gran­de Amo­re’ von Il Volo, gera­de­zu wie Punk­rock wirkt.

Gary Bar­low (Take That) hat ange­ru­fen und will sei­nen scheu­en Schlaf­zim­mer­blick zurück.

Klo­di­an Kaça­ni und Rezar­ta Sma­ja, die Interpret:innen des hem­mungs­los alt­mo­di­schen Lied­prop­fens, erhiel­ten übri­gens einen Son­der­preis einer der Haupt­wer­be­part­ner, einer Ver­si­che­rungs­agen­tur. Für was, blieb für Zuschauer:innen ohne Alba­nisch­kennt­nis­se lei­der im Dun­keln. Einen Preis hät­te auch Kris­ti Popa ver­dient: für die kata­stro­phals­te Dar­bie­tung. Der arg ver­härmt aus­se­hen­de Sän­ger brach­te für sei­nen Bei­trag ‘Ajo çfarë ndjej’ (‘Was ich mir wün­sche’) einen klei­nen Jun­gen mit auf die Büh­ne, der die Auf­ga­be hat­te, durch ein extra bereit gestell­tes Fern­rohr nach den Ster­nen zu schau­en. Was im Fina­le auch klapp­te, im Semi aber nicht: da hat­te der undank­ba­re Schraz schlicht­weg kei­nen Bock, so dass Papa dann selbst ans Rohr muss­te. Auf­takt miss­lun­gen – und der nach­fol­gen­de ner­vö­se Sprech­ge­sang von Kris­ti mach­te die Sache nicht bes­ser. Viel schlim­mer noch als die­ses Lied war aber das, was uns das alba­ni­sche Fern­se­hen rund um die Sen­dung vor­setz­te. Da es unter­schied­li­che Anga­ben über die Start­zeit der bei­den Semis gab, ver­weil­te ich am ers­ten Fei­er­tag ab 20 Uhr vor dem Live­stream. Und muss­te so eine halb­stün­di­ge Nach­rich­ten­sen­dung über mich erge­hen las­sen, die zu 80% aus Bil­dern des Paps­tes bestand.

Mein Gott, was ist Hubert Kah aber alt geworden!

Sowie in Dau­er­schlei­fe geschal­te­ten Auf­nah­men fest­lich geschmück­ter alba­ni­scher Innen­städ­te zu den Klän­gen der abge­han­gens­ten ame­ri­ka­ni­schen Pop-Christ­mas-Klas­si­ker, unter­bro­chen durch mehr­fach gezeig­te Weih­nachts­grü­ße der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on. Was dann um 20:45 Uhr, dem offi­zi­el­len Sen­de­be­ginn, pas­sier­te, stell­te aber alles bis­lang Gese­he­ne in den Schat­ten: da man im Kon­gress­zen­trum von Tira­na noch nicht so weit war, schob man einen – der Bild­qua­li­tät nach zu urtei­len – in den Acht­zi­gern auf Beta­max gedreh­ten Lücken­fül­ler ein, in dem eine geschla­ge­ne Vier­tel­stun­de lang weib­li­che Models in ver­schie­de­nen bäu­er­li­chen Trach­ten auf einem hand­ge­web­ten Tep­pich auf und ab stol­zier­ten, den man irgend­wo im alba­ni­schen Hoch­ge­bir­ge auf dem Schnee aus­ge­legt hat­te. Dazu quäl­te jemand abseits der Kame­ra irgend­ein Sai­ten­in­stru­ment. Und glau­ben Sie mir: es wirkt in der Beschrei­bung nicht halb so bizarr wie am Bild­schirm. Unter einer Vor­her-Nach­her-Sche­re litt der Titel ‘Dashu­rinë s’e gjej­më dot’ (‘Wir kön­nen die Lie­be nicht fin­den’) des Rap-Duos Revolt Klan: Erst­ma­lig in der FiK-Geschich­te hat­te RTSH in die­sem Jahr im Vor­feld Video­clips von allen Bei­trä­gen ver­öf­fent­licht, und in sel­bi­gem stand einer der bei­den lie­bes­tol­len Hip-Hop­per in geduck­ter Hal­tung auf der Motor­hau­be eines Autos her­um und prä­sen­tier­te im Bücken ein aus­ge­spro­chen ent­zü­cken­des und (mir) im Gedächt­nis blei­ben­des Maurerdekolleté.

Die Play­list mit den ver­füg­ba­ren Finaltiteln.

Beim Live-Auf­tritt muss­ten wir auf die­sen Anblick lei­der ver­zich­ten, und die Orches­ter­be­glei­tung nahm dem Song gegen­über der Stu­dio­fas­sung eini­ges an Druck. Nah. Zu den weni­gen Bei­trä­gen, die es nicht ins Fina­le schaff­ten, zähl­te aus­ge­rech­net das umstrit­te­ne ‘Një Shis­he në Oqe­an’ (‘Eine Fla­sche im Oze­an’) von Orgesa Zai­mi, eine schwä­rend düs­te­re Akkor­de­on­bal­la­de, deren gedan­ken­schwar­zer Text offen­sicht­lich den Kriegs­flücht­lin­gen gewid­met war, die in beschä­men­der Wei­se im Mit­tel­meer ertrin­ken, weil Euro­pa sich nicht auf eine gerech­te Ver­tei­lung eini­gen kann. Sie war erst in letz­ter Sekun­de nach­ge­rückt, nach­dem der neu ernann­te künst­le­ri­sche Fes­ti­val­lei­ter (und mehr­fa­che FiK-Teil­neh­mer) Elton Deda den ursprüng­lich ein­ge­plan­ten Kon­kur­renz­ti­tel ‘Era’ (‘Wind’) von Edea Dema­liaj kas­sier­te, weil des­sen Text­dich­ter Pan­di Laço (‘Hear my Plea’, ‘Tomor­row I go’, ‘Zem­rën e lamë peng’) in die­sem Jahr die Show mode­rier­te. Was es im Nach­hin­ein um so fischi­ger erschei­nen ließ und auch für ent­spre­chen­des Gegrum­mel in der Öffent­lich­keit sorg­te, dass Deda mit der dies­jäh­ri­gen Sie­ge­rin Ene­da Tarifa nicht nur eine enge per­sön­li­che Freund­schaft pfleg­te, son­dern auch Geschäfts­be­zie­hun­gen unterhielt.

Ein biss­chen kryp­tisch und wirr, sowohl lyrisch wie musi­ka­lisch, aber die Bot­schaft ist unmiss­ver­ständ­lich: Orgesa Zaimi.

Als wenig ver­trau­ens­er­we­ckend erwies es sich da, dass RTSH nach meh­re­ren Jahr­gän­gen mit voll­stän­di­ger Ergeb­nis­ver­öf­fent­li­chung heu­er nur die ers­ten zehn Plät­ze bekannt gab und die detail­lier­ten Jury­punk­te voll­stän­dig unter Ver­schluss hielt. Der umstrit­te­ne Sieg von Frau Tarifa brach­te auch eine kon­tro­ver­se Aus­sa­ge der Sän­ge­rin wie­der ans Tages­licht, die nach dem Tri­umph von Con­chi­ta Wurst beim Euro­vi­si­on Song Con­test 2014 sinn­ge­mäß äußer­te, sie habe ein Pro­blem damit, die­se Figur ihrer (damals aller­dings erst ein Jahr alten) Toch­ter zu erklä­ren und der von LGBT*-Lobbys geka­per­te Wett­be­werb trans­por­tie­re nicht die rich­ti­gen fami­liä­ren Wer­te. Wor­auf­hin ihr der alba­ni­sche Que­er-Akti­vist und Jour­na­list Kris­ti Pin­de­ri Homo­pho­bie vor­warf und bemerk­te, nach sei­nem per­sön­li­chen Ein­druck aus einem Inter­view, dass er mal mit ihr führ­te, sei sie “ent­we­der nicht sehr klug” oder sie wis­se nicht, “wie man klu­ge Gedan­ken ordent­lich aus­drückt”. Als nicht sehr klug erwies sich auch die von der Sän­ge­rin mit Nach­druck ver­folg­te Idee, ihren Bei­trag für Stock­holm zu angli­fi­zie­ren. So inves­tier­te sie erkenn­bar viel Geld und Mühe, um aus der ehe­mals ergrei­fend schö­nen Bal­kan­bal­la­de ‘Për­ral­lë’ ein dis­ney­esk-main­strea­mi­ges ‘Fairy­ta­le’ zu zau­bern, den stol­zen Song­schwan in ein bil­li­ges Plas­tik­ent­chen zu verwandeln.

Der Video­clip: Wer hat Dein Lied so zer­stört, Ma? Ach, das warst Du selbst!

Es gelang: alles, was ‘Për­ral­lë’ einst groß und edel mach­te – die schwel­ge­ri­schen Gei­gen, der dra­ma­ti­sche Lied­auf­bau, das geschmack­vol­le Abend­kleid – wur­de her­aus­ope­riert und durch Tal­mi ersetzt. Sei es die quä­ki­ge Instru­men­tie­rung, der durch­lau­fen­de und äußerst unpas­sen­de Plas­tik­beat oder die Flur­schä­den, die das (immer­hin recht tadel­lo­se) Eng­lisch anrich­te­te. Im Clip setz­te man die Sän­ge­rin vor Win­ter­wald­ku­lis­se auf einen von prol­lig dicken, gol­de­nen Ket­ten gehal­te­nen Grill­rost bzw. vor eine direkt aus einem Acht­zi­ger­jah­re-Video impor­tier­te Uhren­sze­ne­rie, was wohl Mär­chen­land-Asso­zia­tio­nen aus­lö­sen soll­te: Ziel ver­fehlt. Die beim FiK noch so über­aus ele­gan­te Ene­da wirk­te nun, als müs­se sie aus finan­zi­el­ler Not her­aus Wer­bung für in Ban­gla­desch pro­du­zier­te Dis­coun­ter-Mode machen. Im Semi­fi­na­le zu Stock­holm ver­klei­de­te sie sich schließ­lich als Gold­ma­rie­chen, wirk­te aber mit nur müh­sam über­schmink­ten, tie­fen Augen­rin­gen und lee­rem Blick eher wie die von der eige­nen anstren­gen­den Bös­ar­tig­keit aus­ge­laug­te fie­se Schwie­ger­mut­ter. Auch stimm­lich klang sie ziem­lich gedämpft. Mit dem Qua­li­fi­ka­ti­ons­run­den-Aus ende­te die­ses Euro­vi­si­ons­mär­chen dann vorzeitig.

Wer nicht hören will, muss aus­schei­den: Ene­da in Stockholm.

Vor­ent­scheid AL 2016

Fes­ti­vali i Kën­gës 54. Sonn­tag, 27. Dezem­ber 2015, aus dem Kon­gress­pa­last in Tira­na, Alba­ni­en. 22 Teilnehmer:innen. Mode­ra­ti­on: Pan­di Laço, Bler­ta Tafani.
#Inter­pre­tenSong­ti­telPlatz
01Sigi BastriEng­jëll i lirën.b.
02Rezar­ta Sma­ja + Klo­di­an KaçaniDashu­ri në Përjetësi04
03Dilan RekaBuzë­qesh07
04Adri­an LulgjurajJeto dhe ëndërron.b.
05Erga Hali­lajMono­logn.b.
06Evans RamaFlakë10
07Joze­fi­na SimoniNjë Det me tyn.b.
08Egert PanoMos ikn.b.
09Genc Tuki­çiSa të dashurojn.b.
10Koz­ma DushiNjë Kafen.b.
11Luiz Ejl­liPa Mba­rimn.b.
12Teu­ta KurtiNë Sytë e mi08
13Besa Kras­ni­qiLiro­je Zemrënn.b.
14Nil­sa HysiAsaj06
15Kris­ti PopaAjo çfarë ndjejn.b.
16Fla­ka KrelaniS’je për mu03
17Enxhi Nasu­fiInfi­nit05
18Lin­da IslamiPër një Mrekullin.b.
19Flo­rent AbrashiTë ndjek çdo Hapn.b.
20Ena­da TarifaPër­ral­lë01
21Renis Gjo­kaAto që s’ti them dot09
22Aslai­don ZaimajMerr­më që sot02

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1 Comment

  • Hat die­ses Mal ja auch lan­ge genug gedau­ert. Wobei ich nicht weiß, war­um die­ses Mal alle so vor­sich­tig zu sein schei­nen – traut sich ein­fach kei­ner? Hat man noch kei­ne Lie­der gefun­den (in den Län­dern mit Direkt­aus­wahl, ver­steht sich)? Will man eine Wie­der­ho­lung der pla­to­ni­schen Ide­al-Lan­ge­wei­le von 2015 ver­mei­den, wes­we­gen jeder erst mal abwar­ten will, was sonst noch kommt, um nicht etwas zu Ähn­li­ches zu schicken?

    Wie auch immer. Das Euro­vi­si­ons­jahr 2016 hat begon­nen. One down, 42 to go.

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