Aufregung im Fanlager: wie Wiwibloggs unter Bezugnahme auf das schwedische Aftonbladet rapportiert, dauere dem ausführenden SVT-Produzenten Martin Österdahl das Punkteauszählverfahren zu lang und habe “eine Tendenz”, zum Ende hin auszubluten. “Wir haben ein paar Ideen, wie wir es aufregender und stringenter gestalten könnten”, so Österdahl gegenüber der Zeitung. Allerdings müsse man diese noch nicht weiter genannten Vorschläge zunächst mit der EBU bekakeln. Nun überschlagen sich die Fans natürlich bereits mit Spekulationen, in welcher Form die Schweden an der gut einstündigen Punktevergabe, für viele das Herzstück der Sendung, herumschnippeln könnten. Erinnerungen werden wach an das allgemeine Weltuntergangsgeschrei, als die EBU vor einigen Jahren beschloss, nur noch die drei Topnotierungen zu verlesen und die Punkte von 1 bis 7 als Grafik einzublenden – ein von vielen damals so empfundener Anschlag auf die Seele der Show, der sich mittlerweile gut bewährt hat. Denn bei aller Liebe zum Song Contest – auch ich bin ganz froh, wenn die Sendung noch vor Sonnenaufgang zu Ende geht.
Eine geschlagene Stunde dauerte es 2015 – das überfordert meine Geduld.
Und damit bin ich wohl ein typischer Westler, wie ein interessanter Einwand eines Kommentatoren bei Wiwibloggs zeigt. Bogdan Honciuc schreibt dort: “Ich denke, es ist eine Frage kultureller Unterschiede. Uns in Osteuropa macht eine lange Show nichts aus und wir verstehen nicht, wieso sie kürzer sein sollte. Deswegen gehen wohl auch viele Punktesprecher aus unserer Ecke der Welt so lax mit den Zeitvorgaben um und haben sie diese Tendenz zum Labern. Wir haben hier eine andere Zeitwahrnehmung. Wenn Du uns fragst: wir sind keine Roboter, so wie die nordischen Stämme. Nur zehn Sekunden für jeden Ansager – sind wir etwa Sturmschützen?” Was ein bisschen erklärt, warum sich so viele Punktesprecher ums Verrecken nicht davon abbringen lassen, auf radebrechendem Deutsche-Bahn-Englisch (“tenk ju”) schon tausend Mal gehörte Danksagungen für “die wunderbare Show”, hölzerne Komplimente an die Moderator/innen und die herzlichsten Grüße aus dem herrlichen Heimatland (oder der stets im Dauerregen versinkenden Reeperbahn) zu überbringen, bevor sie sich bequemen, die acht, zehn und zwölf Punkte rauszutun. Falls es sich nicht um eine ehemalige, längst vergessene Teilnehmerin handelt, die erst schnell nochmal den Refrain ihres damaligen Beitrags ansingen muss, in dem ebenso verzweifelten wie nutzlosen Versuch, sich in Erinnerung zu bringen.
Hamburg im Regen / es glänzt der Asphalt / und lovely Lena / versprechet sich bald.
Etwas, das einem Sturmschützenroboter wie mir tierisch auf die Nüsse geht und das ich am liebsten bei Strafe verbieten lassen möchte. Andererseits mag ich aber auch bewusste oder – noch besser! – ungewollte Comedy-Einlagen bei der Punktepräsentation: die legendären neun bosnischen Punkte, die niederländische Frage nach Sakis’ Handynummer, “Ding-Dong”-Krista, die uns stolz ihren Ehering präsentiert (Glückwunsch!) oder der stets noch einen drauf packende slowenische König der Punktevergabe, Peter Poles, sind gewissermaßen das Salz in der Eurovisionssuppe. Kürzt man aber das Zeitfenster für die Punktesprecher noch weiter, bleibt auch kein Raum mehr für Unterhaltendes. Ein Dilemma, ebenso wie die Gewissensfrage, ob man – wie es die EBU seit ein paar Jahren praktiziert – den Gewinner sofort verkündet, sobald er rechnerisch unumstößlich feststeht, auch wenn noch eine Reihe von Ländervoten offen sind (was auch ich als ziemlich unhöflich empfinde), oder ob man die Prozedur stur durchzieht und sich damit des magischsten Moments des Abends beraubt, denn natürlich rechnen die Künstler/innen und Fans in der Halle mit und jubeln bzw. vergießen bereits Freudentränen, auch wenn vorne auf der Bühne noch gezählt wird.
Simply the Best: Peter Poles, Meister der Punktecomedy.
EscXtra hat ein paar Ideen gesammelt, wie man die Punktevergabe kürzen könnte. Die reichen von der vollständigen Abschaffung der Ansager/innen und Verlesung aller Punkte durch die Moderator/innen (langweilig!) über den Ausschluss der Nicht-Qualifikanten aus den Semis von der Vorleseprozedur (gemein!) über den Einfall, dass die Sprecher/innen nur noch die Douze Points ansagen dürfen (doof, denn die wissen wir ja bei einem Blick auf die Landkarte meistens schon vorher) bis hin zu dem Vorschlag, die Punktefeen und ‑prinzen – analog zum Junior-ESC, wo das wohl bereits so praktiziert wird – nach Stockholm einzufliegen, um sie dort vor einem Blue Screen ihr Geschäft verrichten zu lassen. Das löst zwar nicht das Problem des langen Laberns, erspart aber zumindest zeitraubende Pannen wie zusammenbrechende Verbindungen (oder den KGB, der den Ländern, die Russland keine 12 geben, augenblicklich des Strom abdreht). Würde dafür aber Unsummen kosten – halte ich alles nicht für zielführend. Wobei ich selbst auch keine besseren Ideen habe und daher vorschlagen würde, jetzt erst mal die schwedischen Vorschläge abzuwarten. Beziehungsweise zu schauen, ob die Reference Group diese nicht ohnehin abbürstet, wie ja auch schon den 20-Uhr-Beginn.
Andere Ideen? Dann ab damit in die Kommentare!
Ich finde die Idee, dass nur die Länder abstimmen, die im Finale dabei sind, gut.
Wenn nur die im Finale teilnehmenden Länder auch beim Voting dabei sind, mindert es das Block Voting. Denn wenn z.B. nur 2 Balkanländer ins Finale kommen, können sich ja nur diese Länder hohe Punkte zuschieben. Aber wenn der gesamte Balkan trotzdem abstimmen kann, dann geben die natürlich alle ihre hohen Punkte an die 2 Länder.
Ein anderer Grund ist der vorzeitige Sieg, der verhindert wird. Seit 2004 stimmen alle Länder ab und seitdem hat der Sieger vorzeitig gewonnen, noch bevor das Voting abgeschlossen wurde. Ist auch klar, je mehr Länder abstimmen, desto mehr Länder geben dem Sieger hohe Punkte und bauen dessen Vorsprung aus. Früher fand ich es besser, als meist bis zum Schluss es spannend war.
@ Wolke86
In Düsseldorf hätte es ja bis zur letzten Wertung spannend sein können – wenn es da nicht schon das Split-Voting gegeben hätte. Im Televoting trennten Aserbaidschan und Schweden nur wenige Punkte. Es ist also auch bei vielen abstimmenden Ländern möglich. Jedenfalls werde ich das den Jurys wohl nie verzeihen.
@porsteinn: Und den Televotern verzeihst du dann 2010 wohl auch nicht?
@ Ospero: Rein vom Punkteergebnis her nicht, klar. Allerdings bin ich den Televotern im Grunde genommen doch etwas gewogener, da ich ja auch einer davon bin. Dennoch zeigt es sehr schön, dass knappe Ergebnisse sowohl im Tele- als auch im Jury-Voting knappe Ergebnisse möglich sind und dass es letztendlich das Split-Voting ist, welches solche Ergebnisse immer verhindert und bisher noch kein Herzschlagfinale hervorgebracht hat, obwohl wir ansonsten rein nach Jury oder rein nach Televotern in den letzten Jahren zumindest eines gehabt hätten.
Wird zwar wohl kaum zur Verkürzung, wohl aber zur Erhöhung der Spannung ein wenig beitragen: Zuerst die Länder die Punkte verkünden lassen, die dem Sieger (bzw. den ersten Drei oder Fünf) keine oder nur wenige Punkte gegeben haben, die Punkte verkünden lassen. Damit wird zum Ende hin das Tableau komplett auf den Kopf gestellt, und man weiß nicht schon nach 15 Wertungen, wer ganz oben landen wird. Natürlich hieße das dann auch, daß die Reihenfolge, in der die Länder ihre Punkte durchgeben, nicht schon vorher festgelegt wird. Könnte sich natürlich ein bißchen abnutzen, wenn die Sieger anfangs immer mit null Punkten dastehen, aber heuer wären die da ja mit Deutschland und Österreich in bester Gesellschaft gewesen… 😉