Es war der Abend der Brautkleider beim heutigen Alpenvorentscheid: fast alle Sängerinnen gingen in Hochzeitsrobe an den Start bei Wer singt für Österreich? Zwei von ihnen standen sich am Ende im Superfinale gegenüber, und im Gegensatz zu 2015, wo sie die putzige Bandleadertochter auf den dritten Rang verbannten und so ihr Null-Punkte-Schicksal besiegelten, entschieden sich die Zuschauer:innen diesmal ausnahmsweise richtig und wählten Zoë Straub zu ihrer Repräsentantin. Die auch wohlweislich aus den Fehlern des Vorjahres gelernt hatte und ihr charmantes Chanson ‘Loin d’ici’ diesmal komplett in französischer Sprache vortrug (2015 verdarb sie sich noch durch einen Wechsel ins Englische selbst die Chancen). Ihr Auftritt erinnerte optisch ein wenig an Flor-de-Lis (PT 2009): elfengleich stand sie vor einem Pop-Art-bunten Wiesenhintergrund, der wohl auch durch die zahlreichen Zauberpilze inspiriert gewesen sein dürfte, die im Laufe der drei Minuten an uns vorbeizogen. Drei Minuten, welche die arme Zoë auf dem vom Bühnennebel verdeckten Laufband absolvieren musste. Half aber: es unterstützte optisch den Schwung des zuckersüßen Gute-Laune-Liedchens, mit dem der Finaleinzug für unsere Lieblingsnachbarn gesichert ist. Hurra!
Zoë: Ich kann mich gar nicht entscheiden, ist alles so schön bunt hier!.
Dabei wäre auch Elly Vardanian keine schlechte Wahl gewesen. Allein schon, weil bei einem möglichen Sieg von Jamie Lee Kriewitz beim deutschen Vorentscheid in Stockholm zwei Teilnehmerinnen der letzten The Voice of Germany-Staffel wieder aufeinander getroffen wären. Mit ‘I’ll be around (bounce)’ hatte die erst Siebzehnjährige zudem den moderneren, vielschichtigeren Song im Gepäck, der die Zuhörer:innen zum Auftakt zunächst als Midtempoballade in Sicherheit wog, um plötzlich mit wummernden Breakbeats anzugreifen und nach zwei Minuten nochmal komplett aufzudrehen. Passend hierzu den Einsatz des Trickkleides: anfangs noch in ein persilweißes Kapuzen-Hochzeitkleid gewandet, warf Elly dieses zum Tempowechsel Danijela-mäßig ab und stand im geschredderten Unterrock auf der Bühne, ab hier begleitet von wild geschminkten, oberkörperfreien Tänzern. Bei ihrem ersten Auftritt versemmelte sie gar die lange hohe Note, welche die Rückung markierte. Dennoch machte die vierköpfige Jury unter Beteiligung von Conchita Wurst und ‘Satellite’-Komponstin Julie Frost (die übrigens durch erstaunlich feinsinnige, kluge Kommentare auffiel) sie zu ihrer Favoritin und ermöglichte ihr so den Superfinal-Einzug. Zoë erreichte im Jury-Ranking nur den fünften Platz, war also die Siegerin beim Publikum.
https://www.youtube.com/watch?v=ocMjiEWDIGE
Schneeweißchen: Elly ist um uns.
Ein bisschen fies die WSFÖ-Dramaturgie: direkt nach dem jeweiligen Auftritt der zehn Finalist:innen mussten diese beim After-Stage-Geplauder positive wie negative Social-Media-Kommentare über sich ergehen lassen und sich dann der sehr fundierten und offen formulierten Kritik der Jury stellen, die im Vergleich zum bis dato in solchen Shows meist gewohnten Schmusekurs manchmal fast schon harsch wirkte; direkt gefolgt von der Punktevergabe. Nach dem Defilee aller Zehn durften die Österreicher:innen abstimmen, und das Moderationsteam aus Andi Knoll und Alice Tumler (dem Umfang ihres Babybäuchleins nach zu urteilen, behielt sie vom Song Contest in Wien eine sehr lebendige Erinnerung) rief zunächst drei Kandidatinnen aus, die es in die Endrunde geschafft haben könnten – nur, um dann die arme Bella Wagner wieder von der Bühne herunter zu komplimentieren, die den zweiten Platz bei der Jury belegt hatte, aber nicht in gleichem Maße das Wohlwollen des Publikums erzielen konnte. Sie erschien als notdürftig bandagiertes Kriegsopfer mit gräulich geschminkter Haut (ich hoffe doch sehr, es war Schminke!), was ihrem unkitschigen, sich im Titel auf den berühmten Roman ‘Die Waffen nieder’ der österreichischen Autorin Bertha von Suttner beziehenden Friedensappell ‘Weapons down’ zusätzliche Glaubwürdigkeit und Wucht verlieh.
Die komplette Show in drei Teilen als Playlist.
Schade, dass sie im Präsentationsclip zu ihrer Anmoderation in die Katja-Riemann-Falle tappte und die läppischen Fragen (“Mit wem würdest gerne mal einen Kaffee trinken?”) ihres albernen Interviewers stur ins Leere laufen ließ, was mir zwar einerseits Respekt abnötigte, sie dennoch unnötig prätentiös und unsympathisch erscheinen ließ. Was man im übertragenen Sinne auch über ihren Beitrag sagen konnte, der sicher gut gemeint und fraglos gut gemacht war und der größte Hochachtung alleine für sein Spaltpotenzial und seine Andersartigkeit verdient. Der mir am Ende dann aber doch drei Minuten lang Leid zufügte. Auffällig bei Wer singt für Österreich heuer die äußerst professionelle Präsentation aller zehn Wettbewerbsbeiträge. Da scheint Conchita, deren neuer Oberlippenbart übrigens der Hingucker der Abends war und ihr eine beinahe berauschende Maskulinität verlieh, viel Vorarbeit im Hinblick auf ein besseres Verständnis der gleichberechtigten Wichtigkeit der Show zu den Element Song und Interpret:in geleistet zu haben. Auch eine (leider sehr fadenscheinige) Hommage an den Vorjahressieger Måns Zelmerlöw und seine 3‑D-Animationsshow fand sich, in Gestalt des in Deutschland Geborenen Orry Jackson, dessen Song ‘Pieces in a Puzzle’ aber null eigenständige Ideen enthielt, sondern eben nur bereits erprobte Puzzlestücke zusammensetzte.
Dystopische Show, anspruchsvoller Text: Bella Wagner.
Ähnlich bei Lia Weller, die sich Aliona Moons höhenverstellbares LED-Projektionskleid auslieh und Polina Gagarinas Eurovisions-Patentballade, oder beim Duo Farina Miss und Céline Roschek, einer kleinen, sympathischen Powerlesbe mit Irokesenschnitt und einer hochgewachsenen, studierten Geigerin, die – ebenfalls im Hochzeitskleid – von der Decke schwebend auf ihrem Plexiglasinstrument schaufiedelte: an ‘Sky is the Limit’ wirkte nichts echt, alles gekünstelt, alles total krampfig. Schon im Einspieler stimmte die Chemie zwischen der sich als tiefgläubig outenden, extrem zurückgenommen auftretenden Violinistin und der lebensfroh-quirligen Sängerin nicht, und im Interview nach dem Auftritt löste sich das Rätsel: Farina erzählte frei von der Leber weg, sich auf ein Inserat hin gemeldet zu haben, mit dem Céline eine Leihstimme für ihr Projekt suchte. Wichtigste Anforderung: “Bitte kein Bart”! Nicht gerade clever, das auszuplaudern, wenn Frau Wurst in der Jury sitzt und ihre Stimme mit über den Einzug ins Superfinale entscheidet. Aber ich konnte mich des Eindrucks ohnehin nicht erwehren, dass es Miss Miss gar nicht ungelegen kam, mit der ehemaligen Miss Austria 2002 nicht noch zwei gemeinsame Wochen in Malmö verbringen zu müssen.
Mehr Abstand konnten die Beiden auf der Bühne kaum halten: Céline und Farina.
Eine sehr stimmige und sehr gut gemachte Show sowie einen okayen Song boten jeweils der frühere Castingshowgewinner Vincent Bueno, der nach einem zwischenzeitlichen kleinen Karrieretief mit Findungsphase in der philippinischen Heimat hier sein Comeback versuchte und sich mit seinem modernen Popsong ‘All we need is that Love’ einen Ticken zu viel Mühe gab, sowie der äußerst attraktive Sankil Jones. Der sicherte sich einen Sympathiebonus schon durch sein Drecksaugrinsen und die Antwort auf die Anmoderationsfrage, ob er es eher mit der hellen oder der dunklen Seite der Macht halte (Jones: “Auf der dunklen ist es sicher lustiger”). Leider verspielte er diesen beim Auftritt sofort wieder, da er einfach nicht vom nervtötenden Modulieren lassen mochte und die meiste Zeit in ein schreckliches Ziegentimbre verfiel: ‘One more Sound’, den man nicht mehr hören möchte! Dabei kann der Mann toll singen – wenn man ihn nicht machen lässt, was er will. Aus der Reihe fiel eigentlich nur die in Bosnien geborene und zu Kriegsbeginn mit ihren Eltern nach Österreich geflohene Azrah Halilovic, die sich in einer umstrittenen Facebook-Abstimmung per Wildcard für WSFÖ qualifiziert hatte. Nicht nur Julie Frost litt unter ihrem ruppigen Ostblock-Englisch (“Yuh are stilling, yuh are hilling”). Der Jurykollege Christian Ude brachte es mit der Aussage “Ich sehe dich durchaus auf einer Bühne, aber vielleicht eher in einem Jazz-Club” auf dem Punkt.
He’s got the Moves: Senkel Jones.
Das von Moderator Andi Knoll zum Trost an die Ausgeschiedenen gegebene Versprechen “Vielleicht dann ja nächstes Jahr wieder hier” brach der ORF allerdings: seither bestimmte er alle österreichischen Vertreter:innen (darunter: Vincent Bueno) intern.
Vorentscheid AT 2016
Wer singt für Österreich? Freitag, 12. Februar 2016, aus den ORF-Studios in Wien. Zehn Teilnehmer:innen. Moderation: Andi Knoll, Alice Tumler. Vierköpfige Jury (50%) und Televoting (50%), plus Superfinale mit Televoting.# | Interpreten | Songtitel | Jury | Televote | Super | Platz |
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01 | Vincent Bueno | All we need is that Love | 25 | n.b. | – | 06 |
02 | Lizza | Psycho | 32 | n.b. | – | 04 |
03 | Orry Jackson | Pieces in a Puzzle | 19 | n.b. | – | 07 |
04 | Elly V | I’ll be around | 37 | n.b. | n.b. | 02 |
05 | Lia Weller | Runaway | 18 | n.b. | – | 08 |
06 | Céline Roschek + Farina Miss | Sky is the Limit | 10 | n.b. | – | 10 |
07 | Azrah Halilovic | The One | 16 | n.b. | – | 09 |
08 | Sankil Jones | One more Sound | 28 | n.b. | – | 05 |
09 | Bella Wagner | Weapons down | 36 | n.b. | – | 03 |
10 | Zoë | Loin d’ici | 28 | n.b. | n.b. | 01 |
< Wer singt für Österreich 2015
Was meinst Du? Schafft es Zoë in Stockholm ins Finale?
- Mais bien sûr! Das Chanson ist trés belle, eingängig und hat Power, Zoë ist charmant. Wie soll das nicht ins Finale kommen? (38%, 62 Votes)
- Mit Glück kommt das weiter, kackt im Finale dann aber ab. Zu harmlos. (24%, 39 Votes)
- Kann sein, dennoch finde ich es schade, dass Österreich nicht mutiger war und Elly V geschickt hat. (16%, 26 Votes)
- Das kommt nicht nur ins Finale, das spielt sogar um den Sieg mit. (14%, 23 Votes)
- No Chance! Mit Französisch reißt man heute beim ESC nichts mehr, und mit so einem Diabetes-Schlager auch nicht. (7%, 11 Votes)
- Nur, wenn sie in Stockholm von diesem albernen Laufband ablässt. (1%, 1 Votes)
Total Voters: 162
Joah, Ellys Lied wäre auch nicht schlecht gewesen. Vor allem hätte man sich so die Stimmen der über ganz Europa verteilten Diaspora-Armenier gesichert. Mit Zoë hat man jetzt “nur” 12 Punkte aus Frankreich sicher.
Nicht nur die 12 aus Frankreich, sondern auch mindestens 4 aus Armenien. Die haben ja die Franzosen 2006 und 2015 schon in großem Maße vor der 0‑Punkte-Blamage bewahrt
Diese Idee, zunächst die ersten 3 (ich glaubte erst, ich hätte mich verhört!) Personen auf die Bühne zu rufen, nur um dann eine gleich wieder wegzuschicken, ist schon äußerst bizarr. Wer denkt sich denn sowas aus? Allerdings muss ich sagen, dass es, so wie die Dinge dann tatsächlich lagen, psychologisch gar nicht übel war (aber das konnte man wohl kaum vorher wissen):
Es hatte wohl kaum jemand geglaubt, dass Bella Wagner mit ihrer sperrigen Nummer gewinnen würde (auch sie selbst wahrscheinlich nicht). Aber so wurde deutlich klargestellt, dass ihr Beitrag eben nicht unter “ferner liefen …” weit abgeschlagen rangiert, sondern erheblichen Zuspruch bekommen hat. Gut so!
Zu deiner Bemerkung über die Jury “teils recht harschen Kritiken der Jurymitglieder”: also ich bitte dich. Wenn man überhaupt kommentiert (was ich persönlich gut finde), dann macht ein undifferenzierter Streichelzoo keinen Sinn. Die Bemerkungen waren alle fundiert und treffend, dabei aber in ausgesucht höflicher und respektvoller Weise vorgetragen. Besser hätte man es kaum machen können in der kurzen Zeit.
Noch etwas zu den Wahlmöglichkeiten bei deiner Umfrage: ich hoffe doch stark, dass die Option “dennoch finde ich es schade, dass Österreich nicht mutiger war und Elly V geschickt hat” ironisch gemeint ist.
Insgesamt kann ich mit der österreichischen Wahl gut leben, insbesondere dass endlich mal wieder etwas Nicht-englischsprachiges kommt erfüllt mich mit einer gewissen Befriedigung.
Eine tolle Wahl! Normalerweise müsste das doch ins Finale kommen, aber ich fürchte schon, dass das nichts wird. Wobei, die Jurys…?
Mir hat die Show sehr gefallen. Ich würde sogar sagen, dass das besser war als das 1. Mello-Halbfinale letzten Samstag. In Wien gab es keine billigen Lieder über das Nacktbaden.
Fast wäre alles durch fragwürdige Entscheidungen zerstört worden. Bella Wagner auf Platz 3? Die Frau war ja der blanke Horror. Dann lieber Zoe, auch wenn es nicht einfach wird, trotz Frankreich als abstimmungsberechtigtem Land.
Ich fand die Jury auch sehr gut und kenntnisreich. Bin voll mit denen auf einer Wellenlänge. Zoe und ihr Lied sind gut, Staging und Outfit aber noch überdenkenswert. Charmanter, “frischer” französischer Pop sollte auch charmant und frisch und nicht als Lila-Buntes Kitschfest präsentiert werden. Aber ich bin sehr zufrieden mit der Wahl, wenn ich die Chancen auch eher pessimistisch betrachte. Im Moment rechne ich mit einem Anna Rossinelli Ergebnis. Um wirklich einzuschlagen ist das in der Tat alles zu harmlos.
@Def: ic(h hab das mit den Jurys noch mal ein bisschen umformuliert, ich hoffe, es wird jetzt klarer, was ich meinte. Ich bin nämlich ganz Deiner Meinung, dass die österreichische Jury das gestern sehr gut gemacht mit ihrer Kritik. Nur, dadurch, dass man so offen formulierte Worte in solchen Sendungen kaum gewohnt ist (jedenfalls im Zusammenhang mit Vorentscheidungen, da wird ja meist geheuchelt, was das Zeug hält), wirkte es stellenweise auf mich erst mal schroff. Zum Beispiel bei dem zu Recht letztplatzierten Duo, die ja von allen Vieren eine aufs Dach bekommen haben. Aber natürlich fand ich das gut und vorbildlich.