Knapp zwei Stunden Sendezeit für sechs Wettbewerbssongs, gestreckt mit zahllosen Schnelldurchläufen, Stargästen, Medleys und gleich zwei Jurys: das spanische Fernsehen weiß, wie es das Meiste aus einer Show herausholt! Das Ticket nach Stockholm erlöste bei der am heutigen Montagabend (!) stattgefundenen Objetivo Eurovisión die 34jährige Bárbara Reyzábal, die unter ihrem Künstlernamen Barei antrat. TVE stellte sie auf seiner Internetseite als den “vielleicht am wenigsten bekannten Name dieser Auswahl” vor, obschon es ihr mit ihrem Wettbewerbsbeitrag ‘Say yay!’ gelang, nach dessen Veröffentlichung kurzzeitig die iTunes-Charts des Landes anzuführen. Eine Popularität, die sich auch im dreigeteilten Abstimmungsverfahren niederschlug: Barei erhielt die Spitzenwertungen der Televoter (40% Gewicht) und der im Studio anwesenden Promi-Juroren Edurne (ES 2015), Carlos Marin und Loreen (SE 2012) (30% Gewicht). Eine daneben abstimmende internationale Jury (30%) setzte sie auf Rang 2. Insgesamt keine schlechte Wahl, denn der mit einem englischen, von allzu schwerem inhaltlichen Tiefgang befreiten Mitsingtext aufwartende Uptemposong steuert ein gehöriges Maß an Fröhlichkeit bei zum diesjährigen Line-up. Und das kann ja nicht verkehrt sein.
Optisch erinnerte Frau Reyzábal bei ihrem Vorentscheidungsauftritt ein wenig an Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany – jedenfalls bis zum Refrain ihres Songs, den sie mit einem lustigen X‑Bein-Moonwalk-Tanz unterstützte, wodurch die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ihre völlig unpassenden und jedwede der Darbietung bis dahin innewohnenden Eleganz vernichtenden Kellnerinnenschuhe fiel. Horror! Auch an der Zusammenarbeit mit ihrem Begleitchor muss sie noch ein bisschen sehr stark feilen, das klang heute ziemlich grausig. Und Barei selbst neigt arg zum heiseren Schreien, womit sie aber ganz auf der Linie der iberischen Eurovisionsvertreterinnen der letzten Jahre liegt. Für den am spanischsten klingenden Beitrag des Abends – auch mein persönlicher Favorit – entschied sich die internationale Jury mit ihrer Höchstwertung. Was allerdings nichts nützte, da die heimischen Televoter/innen den mehr als niedlichen Salvador Beltrán (der zugegebenermaßen aber auch die ersten beiden Strophen komplett in den Sand setzte und sich von seinem schnauzbarttragenden, offenbar per Zeitreisemaschine direkt aus Bad-Boys-Blue-Tagen angereisten Chorsänger die Show stehlen ließ) mit seinen ‘Tagen der Freude’ kollektiv auf den letzten Platz setzten. Der Prophet gilt halt nichts im eigenen Land…
Als besonders lustige Idee von RTVE erwies es sich, die Show mit einem Vollplayback-Schnelldurchlauf der sechs Wettbewerbstitel zu eröffnen, wodurch die Unterschiede von den Studio- zu den im Laufe des Abends dann präsentierten Liveversionen besonders stark ins Ohr stachen. Das galt schon für den ersten Künstler, Maverick, der seine fehlenden stimmlichen Fähigkeiten mit massivem Overacting auszugleichen suchte und zur Tarnung wie zufällig ein im Publikum sitzendes Mädel zu sich auf die Bühne zog, wo selbiges sich dann aber rasch als professionelle Tänzerin offenbarte und gemeinsam mit dem etwas hölzern wirkenden Don Juan eine derartig unglaubwürdige Show abzog, wie wir sie seit der legendären Dschungelcamp-Inszenierung zwischen Jay “Ich bin hetero” Khan und Indira Weiß nicht mehr gesehen haben. Nicht viel lockerer agierte auch der in seinem blauen Anzug wie ein Kommunalpolitiker wirkende Xuso Jones, der mit einer stark verwässerten Kopie von ‘Euphoria’ antrat, die er in falscher Hoffnung ‘Victorious’ getauft hatte. Ich bin sicher, dass Natalie Horler von Cascada (DE 2013) gerade vor Wut in die Sofakissen beißt, wie es jemand wagen kann, sich derart blasphemisch am schwedischen Siegersong von 2012 (deren Interpretin auch noch in der Studiojury saß!) zu vergreifen. Doch, potztausend: auch Loreen gab Xuso zehn Punkte, wohl auf Geheiß von Peter Boström, der beide Titel komponierte.
Damit steht der erste Beitrag einer der fixen Finalisten für den 2016er Jahrgang fest, und der eine oder andere Fan zog bereits fix den Vergleich zu einem ebensolchen des Vorjahres: zu ‘Black Smoke’ von Ann Sophie nämlich. Was ich nun wiederum wenig bis gar nicht nachvollziehen kann, wirkt die Spanierin auf mich doch deutlich weniger angestrengt professionell und ihr Beitrag bei Weitem nicht so stark auf formatradiokompatible Durchhörbarkeit angelegt, sondern dank einfach zu merkender Textzeilen eher zum Mitsingen einladend. Was mit Sicherheit dazu führen wird, dass die nach Stockholm anreisenden und alle Proben verfolgenden Fans den Titel bis zum 14. Mai komplett über haben werden und Bareis “Yay yay yay yay” zum Nerven zerfetzenden “Ding Dong!” dieses Jahrgangs avanciert. Für den Durchschnittszuschauer, der den Song ein einziges Mal an besagtem Samstag im Mai zu Ohren bekommt, könnte es aber tatsächlich eine Einladung zum Anrufen sein. Oder?
Die komplette Show am Stück.
Wie stehen die Chancen für Barei im Finale?
- Bestens. Uptempo, mitsingbar, eingängig, und sie sieht elegant aus. Wie sollte das nicht in den Top Ten landen? (37%, 37 Votes)
- So ein schlecht gesungenes Stück Wegwerfpop, igitt. Tabellenende, zu Recht. (35%, 35 Votes)
- Gäbe es Gerechtigkeit, dann gut. Aber Spanien schneidet ja immer zehn Plätze zu schlecht ab. (17%, 17 Votes)
- Die Jurys werden es hassen, denn es macht gute Laune. Und das ist derzeit verboten. Mittelfeld, bestenfalls. (11%, 11 Votes)
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