Von der fabelhaften US-amerikanischen Countrysängerin (‘Jolene’) und Schauspielerin (‘Magnolien aus Stahl’) Dolly Parton stammt das Zitat “Sie wären überrascht, wie viel es kostet, so billig auszusehen”. Dieses Zitat fiel mir als erstes ein, als ich gerade den eigentlich erst für heute Abend zur Veröffentlichung terminierten, im Netz jedoch bereits durchgesickerten Videoclip für den russischen Eurovisionsbeitrag 2016, ‘You are the only One’ von Sergey Lazarev, anschaute. Er wartet mit allem auf, was ich mir vom Leben von einem Grand-Prix-Beitrag erwarte und bietet Uptempo, seinen nackten Oberkörper, einen schlagerhaften Liedaufbau, dramatische Disco-Geigen, leeres Pathos, Trash bis zum Abwinken, eine mustergültige Rückung sowie eine Sandprinzessin in Form der russischen Miss Universe, die natürlich niemanden überzeugt und damit erst recht darauf aufmerksam macht, dass Sergeys Nummer sehr gay ist. ‘You are the only One’ ist völlig hohl und oberflächlich und steht für den Grand Prix der guten alten Schule, strotzt aber gleichzeitig vor absolutem Siegeswillen. Es ist, natürlich, rundweg fantastisch!
It’s getting exciting! (RU)
Für Stockholm steht zu erwarten, dass der russische Staatssender auch in die Live-Darbietung alles investiert, was man für Geld kaufen kann. Als Choreograph steht Fokas Evangelinos fest, dem es bereits 2013 bei Farid Mammadovs ‘Hold me’ (AZ), übrigens vom selben Mitkomponisten wie Sehrgays Lied, mittels einer spektakulären und vor homophilem Subtext nur so strotzenden Show gelang, einen auf vergleichbare Weise klassisch strukturierten Schlager auf den zweiten Platz zu hieven. Auch der putzige Farid repräsentierte seinerzeit ein antidemokratisches Unterdrückungssystem, flirtete aber gleichzeitig geschickt mit der schwulen Kernzielgruppe, ohne sich jemals in irgendeiner Form zu positionieren. Russland, das erkennbar auf Biegen und Brechen den europäischen Liederwettbewerb erneut gewinnen will, um seinen Führungsanspruch auch auf kulturellem Gebiet zu unterstreichen, musste sich zuletzt auch aufgrund seiner LGBT-feindlichen Gesetzgebung viele Buhrufe aus den Reihen der angereisten und zu mindestens zwei Dritteln zur Familie gehörenden Fans gefallen lassen. Hier hofft man vermutlich auf eine gnädigere Aufnahme für den wohlgeformten und sich bei jeder bietenden Gelegenheit freimachenden Sergey. Denn ja, geben wir es ruhig zu, wir (die schwulen Fans) sind nun mal oberflächlich und billig, genau wie der russische Beitrag. Damit dürfte der 2016er Jahrgang im Fokus des Zweikampfes zwischen Russland und der Ukraine stehen, die mit Jamalas subtil anklagendem ‘1944’ meiner Meinung nach ebenfalls um den Sieg mitspielt und mit dem musikalisch anspruchsvollen und inhaltlich aufgeladenen Lied den kompletten Gegenentwurf bietet. Sollten sich diese beiden Titel, wie ich es mir erhoffe und erwarte, am Ende ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, könnte es in Stockholm tatsächlich sehr, sehr aufregend werden. Die Spiele sind eröffnet!
For the last time, hold me (now): Farid (AZ 2013).
Dass Sergey ins Finale kommt, ist eh klar, aber spielt ‘You are the only One’ um den Sieg?
- Top-5-Material ist das schon, aber zum Sieg reicht das nicht. (38%, 58 Votes)
- Aber so was von! Das ist das Komplettpaket, mit allem, was zum Sieg gehört. (36%, 55 Votes)
- Auf keinen Fall. Das ist ein lahmer, aufgeblasener Schlager, so was zündet 2016 nicht mehr. (14%, 21 Votes)
- Mir wird grad Angst und Bange, was passiert, wenn Sergey gegen Jamala verlieren sollte. (11%, 17 Votes)
Total Voters: 151
Das mit dem Ukraine-Russland-Kopf-an-Kopf-Rennen bringst du gut auf den Punkt – ein wirklich interessantes Szenario! Dieser Jahrgang ist ähnlich wie 2011 trotz Rekordzahl zur Zeit ein eher mauer Jahrgang – da fallen Songs wie aus der Ukraine und Russland auf!
Spontan hat mich das Gesamtpaket an Dima Bilan 2008 erinnert – und das hat ja schließlich auch gewonnen
Gefällt mir tatsächlich wesentlich besser als ich nach Deinen Lobhudeleien erwartet hatte. Aber spielt natürlich nicht in der gleichen Liga wie Jamala.
Ich finde es zum k… , weil es mir bei Russland leider selten gelingt, die Politik aus dem ESC auszublenden. Aber leider ist das Ding wieder dermaßen perfekt, macht nicht den Fehler so heuchlerisch wie A Million voices letztes Jahr darherzukomnen, hat eye candy für die Zielgruppe und für die anruffreudigeren weiblichen Televoterinnen und wird eine Show bieten, die Måns 2015 alt aussehen lassen wird. 100% sicher Top 3 und bisher höchste Chance auf den Sieg. Wie gesagt… zum k.… 🙁
Es ist halt der übliche Disco-Klopf-Song, wie er aus den ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten gern zum ESC geschickt wird. Weder ist das Lied interessant instrumentiert, noch haben Strophe und Refrain eine zündende Melodie. Ich finde, es ist geradezu Billig-Pop!
Der Blog-Betreiber hat recht: hohl! 2016 reicht das nicht mehr!
Diemal hat man sich kein heuchlerisches “Wir haben und alle lieb und sollten uns besser verstehen”-Friedenslied ausgesucht sondern haut sämtliche ESC-Zutaten rein, die man nur greifen kann. Und ich muss ja leider zugeben, dass das hervorragend funktioniert und mir die Nummer gut gefällt. In meinen Augen der beste Beitrag, den Russland je geschickt hat. Und ich bin sehr gespannt, wie das in Stockholm abschneidet. Dass das gegen Jamala verlieren könnte, denke ich nicht. Dafür ist “1944” zu sperrig und “exotisch” um in ganz Europa anzukommen.
Sehr lustig, wie der Blogbeitrag vom Hausherrn unter “Schwules” einsortiert wurde. Zum Song: gefiel mir auf Anhieb, das ist meist etwas das nur Sieger geschafft haben. Hier zeigt sich, wieso manchmal interne Auswahlen besser als Vorentscheide sind (Polen, schäm dich!)
Ja, spielt ganz oben mit, wenn denn die Inszenierung stimmt… Den Hype um Jamala kann ich nicht nachvollziehen: Europa schert sich einen Dreck um Millionen Flüchtlinge, da soll ein politischer Song die Spaßgesellschaft aufrütteln? Lächerlich.… Mein Favorit ist und bleibt der Frans aus Schweden.… Ihr werdet sehen…
Unwahrscheinlich ist das mit dem Frans aus Schweden leider nicht, Wenn der tatsächlich im Mello das Rennen macht, hätte ich wenigstens auch dieses Mal endlich einen echten Würg-Titel (brechreizauslösend) dabei, das hat bislang gefehlt.