Es gehört seit Jahren zum festen Ritual beim Eurovision Song Contest: die Kabbeleien zwischen den beiden Teilnehmerländern Armenien und Aserbaidschan. Mal hält die Punktesprecherin ein Klemmbrett mit einem unliebsamen Foto in die Kamera, mal fällt während der Live-Übertragung des konkurrierenden Beitrags wie zufällig das Bild aus, mal singt man vom Genozid, mal zitiert das Innenministerium Bürger des eigenen Landes zum Verhör, die für das Lied des Gegners gestimmt haben – um nur eine zufällige Auswahl zu treffen. Anlass der von beiden Seiten mit der gleichen Beharrlichkeit und Lust geführten, unschönen Rangeleien sind die seit den Neunzigern schwelenden Auseinandersetzungen beider Nationen um die offiziell zu Aserbaidschan zählende, nach langjährigem Bürgerkrieg mit Vertreibungen und zahllosen Toten auf beiden Seiten aber fast ausschließlich von Armeniern bewohnte und de facto unabhängige Region Bergkarabach. Und exakt die Fahne dieser nicht anerkannten Republik wedelte die in Deutschland lebende armenische Sängerin Iveta Mukuchyan im gestrigen ersten Semifinale bei einem Kameraschwenk in den Green Room während des Schnelldurchlaufs durchs Bild. Natürlich nur, um “Liebeswellen” an die Region zu schicken und für die Einhaltung der immer wieder verletzten Waffenruhe zu werben, wie sie in ihrer Pressekonferenz sagte. Nee, ist klar. Selbstredend ließ die aserbaidschanische Delegation die gezielte Provokation nicht auf sich sitzen und beschwerte sich bei der EBU, die nun eine offizielle Verwarnung aussprach, sich aber (wie überraschend!) nicht zu einem sofortigen Ausschluss des Landes durchringen konnte.
Schrieb ihren Song nur für den Frieden mit Aserbaidschan, sagt Iveta.
Man verurteile das Herzeigen der Karabach-Flagge während der Liveübertragung auf Schärfste, so die EBU immerhin in einer Erklärung am heutigen Nachmittag, und werde spätestens beim nächsten Treffen der Reference Group im Juni über eine angemessene Strafe entscheiden. Es handele sich um einen ernsthaften Verstoß gegen das in den Contestregeln explizit enthaltene Politikverbot. Dennoch kann Iveta weitermachen: erst bei einem weiteren Nichtbeachten der Vorschriften durch die armenische Delegation schließe man diese vom Eurovision Song Contest 2016 und eventuell weiteren Jahrgängen aus. Damit bleibt die Europäische Rundfunkunion ihrer bisherigen Linie treu, folgenlose Verwarnungen auszusprechen und allenfalls Geldstrafen zu verhängen, welche der jeweilige Sender aus der Portokasse zahlen kann. Samra Rahimli, die aserbaidschanische Eurovisionsvertreterin 2016, die ebenfalls im gestrigen Semifinale antrat, musste sich auf derselben Pressekonferenz von einem der anwesenden Journalisten einen wirren Redeschwall über das Thema Bergkarabach anhören, lächelte diesen jedoch mit einem schlichten “es geht nur um die Musik” weg. Nun zählt, anders als die vokal herausgeforderte Samra, ausgerechnet die Provokateurin Iveta Mukuchyan zu den aussichtsreichsten Sieganwärterinnen des aktuellen Jahrgangs (neben Sergey Lazarev, der sich auf die Frage, ob Russland für schwule Fans denn sicher sei, sehr engagiert einen zurechteierte und sinngemäß darauf verwies, dass bei den Olympischen Spielen in Sotchi ja auch keine Homos geköpft worden seien). Ob Aserbaidschan einem Contest in Jerewan ebenfalls fernbliebe, so wie es 2012 umgekehrt der Fall war? Klar ist nur: die Sticheleien werden weitergehen, solange der Konflikt nicht gelöst ist.
Am gerechtesten wäre es gewesen, man hätte gleich beide Beiträge aus dem Wettbewerb genommen. Und zwar nicht wegen irgendwelcher sich bekriegenden Bergvölker, die hier sowieso keinen interessieren, sondern wegen schwerwiegender Verbrechen gegen die Musik. Ob es sich hier bei den beiden Damen um die nicht ausrottbare Spezies der gemeinen – um nicht zu sagen ordinären – Ostblockschlampe handelt, ist eher sekundär. Strafmaßentscheidend ist die beiden Darbietungen anhaftende Unmusikalität in Tateinheit mit akuter Ohrenbeleidigung durch das falsch eingesetzte Stimmmaterial und die bewußt beleidigende Atonalität des verwendeten Materials. Jetzt muss Europa das Ganze am Samstag ein weiteres Mal über sich ergehen lassen. Herr lass Geschmack regnen und beide Machwerke hinwegspülen.
Mir hat die Geschichte mit der Flagge und vor allem die anschließende PK gestern einen ansonsten durchaus tollen Abend ein bisschen verdorben. Das war so unnötig wie ein Kropf, und Ivetas Begründung für das Zeigen der Flagge in der PK ein Witz. Vor allem wurde es danach ja auch nicht besser. Daher bin ich froh, dass die EBU dazu zumindest mal Stellung bezogen hat. Allerdings fürchte ich, diese Verwarnung ist ein zahnloser Tiger, und falls Iveta oder jemand anders aus der Delegation am Samstag nochmal die gleiche Flagge schwenken sollte, wird lediglich die Geldstrafe in die Höhe gehen und keine Disqualifikation erfolgen, zumal Armenien in diesem Jahr einen Beitrag am Start hat, der vermutlich die Top 5 knacken wird… Ich würde mich freuen, wenn ich mich da irre und die EBU da endlich mal Zähne zeigt. Aber noch mehr würde ich mich freuen, wenn dieses Gezacker zwischen Armenien und Aserbadschan, dass so ungefähr allen Eurovisionistas außerhalb dieser beiden Länder fürchterlich auf die Nerven geht, endlich mal aufhören würde. Und so lange wie es nicht aufhört, wäre es eigentlich konsequent, BEIDE so lange vom ESC auszuschließen, bis sie endlich mal kapiert haben, wie sie sich zu benehmen haben.
Im Finale wurde wieder die Karabach-Flagge gezeigt.
Ich find’s gut.