Während beim Eurovision Song Contest derzeit Sommerpause herrscht, allenfalls unterbrochen durch die Meldung, dass sich mittlerweile sechs ukrainische Städte um die Austragung im nächsten Jahr beworben haben, praktisch alle allerdings mit nicht überdachten Fußballstadien (also an den Regenschirm denken!), laufen die Vorbereitungen für den Songwettbewerb der Turkvölker, die Türkvizyon, die im Dezember erneut in Istanbul stattfindet. Und das erste Land, das (bereits im Mai 2016) seinen Teilnehmer meldete, waren wir! aufrechtgehn.de sprach mit unserem Vertreter, dem äußerst sympathischen Kölner Seyran Ismayilkhanov, der sehr gerne auch bei der Eurovision für uns an den Start ginge. Und dafür sogar ziemlich gute Voraussetzungen mitbringt!
Seyrans neueste Singleauskoppelung ‘Ay mein Schatz’. Schöner Ohrring!
aufrechtgehn.de: Lieber Seyran, Du vertrittst uns in diesem Jahr beim Türkvizyon Song Contest. Dazu erst mal herzlichen Glückwunsch! Wie kam es zu Deiner Nominierung?
Seyran: Vielen lieben Dank! Es gab ein Casting beim Kölner Sender Türkshow TV, für das man sich per Video bewerben konnte. Dort wurde ich von einer internen Jury unter vielen Bewerbern ausgewählt. Das macht mich natürlich sehr glücklich und stolz.
Du wurdest in Baku geboren und hast in Moskau Musik studiert. Warum dort und wie waren Deine Erfahrungen?
Ich bin zu Hause mit aserbaidschanischer, türkischer und russischer Musik aufgewachsen, wir hatten Freunde aus allen drei Kulturen. Irgendwann wurde Baku zu klein für mich… Die Schwester meines besten Freundes lebte schon in Moskau, bei der konnte ich erst mal wohnen und dort die Musikakademie besuchen. Da ich schon sehr gut russisch konnte, war es dort einfacher. Ich habe in Moskau auch eigene Songs geschrieben und bin dort in einer Silvestergala im Fernsehen aufgetreten, wo ich einige Stars, die ich schon als Kind bewundert habe, kennen lernen konnte. Das war ein tolles Erlebnis!
Deine Mutter ist Pianistin. Wurde Dir die Musik also schon in die Wiege gelegt?
Ja, genau! Ich habe quasi schon im Mutterleib Musik gehört und konnte mir nie etwas anderes vorstellen. Meine Mutter hat Musikunterricht gegeben und mich schon als kleines Kind mitgenommen, und ich habe genau beobachtet, was sie macht. Auf die Art habe ich mir das Klavierspielen beigebracht. So mit fünf oder sechs habe ich angefangen, die Titelmelodien von brasilianischen Telenovelas, die ich immer gerne gesehen habe, zu Hause auf dem Klavier nachzuspielen. Da hat meine Mutter gesehen, dass ich Talent besitze, und hat mir sieben Jahre lang Geigenunterricht ermöglicht. Spiele ich heute leider nicht mehr, weil ich keine Zeit habe. Das Klavierspielen hilft mir aber beim Komponieren.
Du bist ohne Vater groß geworden?
Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich acht oder neun war. Mein Bruder hat noch Kontakt zu meinem Vater, aber ich konnte ihm nie verzeihen, wie er sich ihr gegenüber verhalten hat. Mittlerweile empfinde ich einfach nichts mehr für ihn. Meine Mutter hat sehr hart gearbeitet und gekämpft, damit wir Kinder es gut hatten, drei Mal mehr als andere. Alles, was ich heute bin, hat sie mir ermöglicht, und dafür respektiere ich sie und bin ihr sehr dankbar.
Nur die Liebe zählt, sagt Kai Pflaume ja auch immer.
Du hattest während Deiner Zeit in Moskau bereits Deinen ersten Hit. Ich habe mal gehört, dass man es in Russland ohne Beziehungen kaum schafft. Hattest Du die oder war das eine Kombination aus besonders harter Anstrengung und Glück?
Ja, das ist tatsächlich so. Ich hatte aber immer Glück, und ich habe immer an mich geglaubt, das hilft. Wäre ich in Moskau geblieben, wäre ich mittlerweile dort sicher ein etablierter Künstler mit vielen Hits. Aber meine Freunde und Familie sind mir wichtiger, und die Möglichkeit, die Art von Musik zu machen, die mir persönlich liegt. Karriere und Hits sind vergänglich. Mir geht’s nicht wirklich um das große Geld, ich möchte mit meiner Musik die Menschen erreichen, ihnen vielleicht etwas mitgeben. Das ist mein Ziel. Wenn mir das gelingt, wenn das von mir bleibt, bin ich sehr glücklich.
Du wohnst seit 2005 in Köln, wo auch Deine Familie lebt. Was war der Grund, nach Deutschland zu ziehen?
Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich in Moskau nicht alt werden möchte. Das war ein so oberflächliches Leben dort. Und ich wollte wieder in der Nähe meiner Familie sein, bei meiner Mutter und meinem Bruder. In Deutschland war es am Anfang katastrophal, weil ich kein Deutsch sprach und noch niemanden kannte. Mittlerweile habe ich aber beides geschafft.
In Deutschland kennt man Dich noch nicht so sehr. Ist es hier besonders schwer, den Durchbruch zu schaffen?
Ja, das ist leider so. Ich arbeite sehr viel und habe zusammen mit Anja Bel mein eigenes Label gegründet, Suite Music, weil ich die Rechte an meinen Songs nicht einfach so abgeben will und weil ich selbst bestimmen will, was ich singe. Wir produzieren alles selbst und machen auch den Vertrieb.
Das Video zu ‘Sari Gelin’ hätte Jacques Houdek wohl nicht schöner gestalten können.
Du hast schon ein paar Mal versucht, am Eurovision Song Contest teilzunehmen, für Aserbaidschan, aber auch für andere Länder. Wäre das ein besonderer Traum für Dich?
Auf jeden Fall! Die Eurovision ist mein Traum, mein Ziel. Und ich werde auf dieser Bühne stehen! Das weiß ich, egal wie viele Jahre ich dafür brauche. Ich finde, diese Bühne hat einfach eine tolle Energie. Du stehst dort drei Minuten und danach ist alles wieder vorbei. Das geht so schnell, aber Du nimmst so viel mit. Und es ist eine gute Möglichkeit, sich zu präsentieren und Menschen aus allen Kulturen kennen zu lernen. Es kann sich so viel dadurch ergeben.
Ich höre daraus, dass Du uns nicht nur bei der Türkvizyon vertreten möchtest, sondern auch bei der Eurovision?
Ich würde wirklich von Herzen gerne für Deutschland beim Eurovision Song Contest singen! Ich lebe hier, ich liebe es hier, ich habe hier so viele Menschen, die mich auf meinem musikalischen Weg unterstützen – und das ist kein einfacher Weg! Ich esse deutsches Brot (lacht), ich verdiene hier mein Geld, und ich will etwas Gutes für Deutschland tun. Mein Ziel wäre es, einen ersten, zweiten oder dritten Platz zu holen, und ich glaube, dass ich dafür etliches mitbringe. Ich bin ein internationaler Künstler und ich glaube, dass ich mit meiner Musik und meinem Talent Menschen in vielen anderen Ländern erreichen könnte. So wie auch bei der Promotion, bei den Interviews und im Umgang mit Fans und Journalisten aus aller Welt – das ist wichtig. Ich bin jemand mit einer starken Energie, und ich glaube, die Menschen würden das spüren.
Wir haben ja die letzten Jahre nicht so besonders gut abgeschnitten. Was können wir da besser machen?
Ich muss leider sagen, dass ich alle deutschen Beiträge in den letzten Jahren langweilig fand. Vom Song, vom Bühnenbild, vom Konzept her – da war überhaupt kein passendes Format für den Song Contest dabei. Deutschland ist ein multikulturelles Land, es leben hier so viel tolle Künstler! Zusammen könnte man so vieles erreichen, das müsste stärker genutzt werden.
Du schreibst Deine Musik größtenteils selbst und komponierst auch für andere. Und zeigst dabei eine große Bandbreite, von deutschem Popschlager über international tanzbaren Sound bis hin zu orientalischem Pop. Woher nimmst Du die Inspiration, was sind Deine Einflüsse?
Ich arbeite meistens mit Bildern. Für meine Platte „Nur die Liebe zählt“ habe ich zum Beispiel einen Großteil der Texte geschrieben, als ich hier in Köln im Starbucks saß und die Menschen beobachtet habe. Wenn ich für andere schreibe, muss ich den Menschen erst persönlich kennen lernen und seine Geschichte.
Auch bei der Türkvizyon gibt es ja eine große musikalische Bandbreite. Sind Dir Songs in Erinnerung, die Dir besonders gefallen haben?
Ich hab da natürlich mal reingeschaut. Ich fand die Künstler aus Kasachstan und Kirgisistan sehr gut.
Siegte zu Recht: Jidesh, die Türkviyzons-Gewinnerin 2015.
Dein Türkvizyons-Lied stammt aber nicht aus Deiner Feder, sondern wird von Volkan Gücer beigesteuert?
Volkan ist ein sehr kreativer Produzent und Künstler. Wir entwickeln den Titel gemeinsam, das heißt, er schreibt nicht einfach irgendwas für mich, was ich dann singe. Er kennt mich schon sehr gut und weiß, dass ich einen Song spüren muss, um ihn singen zu können, und um eine Vision zu entwickeln, was ich auf der Bühne mache. Wir werden im Sommer anfangen und als Team gemeinsam ein passendes Konzept entwickeln.
Gibt es schon Planungen, wie Du den Titel präsentieren wirst? Ideen für eine Choreografie, das Outfit oder ähnliches?
Ich habe schon ein paar grobe Ideen, aber das kann sich noch mal in eine völlig andere Richtung entwickeln, wenn der Song erst mal steht. Da ich ja ein multikultureller Künstler bin, wird das sicher eine Mischung verschiedener kultureller Einflüsse sein.
Welche musikalischen oder künstlerischen Projekte verfolgst Du neben der Türkviyzon derzeit noch? Ich habe etwas von einem Film gelesen?
Für das Filmprojekt werde ich wahrscheinlich erst Anfang nächsten Jahres Zeit haben, das bedeutet sehr viel Arbeit, aber da freue ich mich schon sehr drauf. Als nächstes veröffentliche ich die zweite Single aus meinem deutschen Album. Die heißt „Ay ay ay, mein Schatz“ und dazu wird es ein Musikvideo geben. Eine dritte ist in Planung, aber davor kommt natürlich die Türkvizyon. Daneben arbeite ich als Trainer im Fitnessstudio – auch da habe ich meine Fans (lacht).
Zum Schluss: es gibt ein besonders schönes Foto von Dir, das Dich in einer Badewanne zeigt, mit Schaum und Rosen bedeckt. Wie kam es dazu?
Das entstand spontan bei einem Fotoshooting für mein Album. Das heißt „Nur die Liebe zählt“, deswegen lag es nahe, etwas mit Rosen zu machen. Und Volker und Viktor, die beiden tollen Fotografen, hatten dann die Idee, mich in die Wanne zu schmeißen (lacht)!
Sehr gute Idee! Seyran, vielen lieben Dank für das Gespräch und viel Erfolg!
Danke sehr!
Ich freue mich riesig, dass Seyran Deutschland bei der Türkvisyon vertritt, ich verfolge seine Karriere seit einigen Jahren und mag seine Musik sehr. Und natürlich wäre es schön, wenn er auch eine Chance beim ESC bekäme – versucht hat er es ja bereits, wie im Artikel angegeben. Super wäre es, wenn er dort nicht nur als Sänger, sondern auch als Autor vertreten wäre.
Seine beiden Alben “Kanatsız Melekler” und “Nur die Liebe zählt” höre ich übrigens immer wieder gern, ich kann sie jedem Leser nur empfehlen.