Gespannt durfte man im Vorfeld der britischen Vorentscheidung 2017 sein, ob das Königreich die (nicht zu vergessen: im Lande selbst höchst umstrittene) kulturelle, politische und wirtschaftliche Abspaltung von Europa auch beim Eurovision Song Contest durchziehen würde. Nach dem heutigen Abend muss man sagen: hell, yes! Der Einmarsch der sechs komplett egalen Finalist/innen von Eurovision: you decide, allesamt zu Recht gescheiterte X‑Factor-Teilnehmer/innen, fand zu den Klängen von Lenas ‘Satellite’ (→ DE 2010) statt; als Gaststar eröffnete der Norweger Alexander Rybak (oder, wie Moderatorin Mel Giedroyc den Sieger von 2009 ansagte: “Reibach”) mit der gefühlt sechshundertsten Aufführung von ‘Fairytale’ den Abend; den Pausenact während der Abstimmungsphase übernahm die von Sparzwängen gebeutelte BBC direkt vom schwedischen Fernsehen (thank god, möchte man sagen, denn das superlustige ‘Love Love Peace Peace’ von Petra Mede und Måns Zelmerlow erwies sich auch in der Konserve als der beste Moment der gesamten Sendung). Und selbst das Siegerlied stammt aus der Feder der dänischen Grand-Prix-Gewinnerin von 2013, Emmelie de Forest. ‘Never give up on you’: in den Ohren Kontinentaleuropas muss dieses Versprechen wie Hohn klingen, denn in Sachen Eurovision scheinen die Briten längst kapituliert zu haben. Nun muss man Lucie Jones, der Interpretin der dunklen, unglamourösen Ballade, fairerweise bescheinigen, dass sie sich als die einzige der sechs Partizipant/innen erwies, die in Lage war, die Töne durchgehend sauber zu treffen, während die Konkurrenz anscheinend geschlossen um einen Trostpreis im Jemini-Gedächtnis-Award wetteiferte. Mit ihrem eindrucksvoll gesungenen Lied und ihrer dazu perfekt passenden, zurückgenommenen, praktisch nichtexistenten Show gab sich Lucie als klassisches Juryfutter, und ich könnte meinen Hintern darauf verwetten, dass sie ihren Sieg eben dieser Jury verdankt, die erstmals seit langer Zeit bei einem Vorentscheid auf der Insel wieder mitbestimmen durfte.
Balladenfreunde werden jauchzen: Lucie in the Sky without Diamonds
Wenn sie die gleiche vokale Leistung auch in Kiew abliefert (und dabei vielleicht ein Kleid trägt, das ihre Preisboxer-Oberarme weniger deutlich betont), dürfte es im ersten Wertungsdurchgang für einen vorderen Platz reichen. Im Televoting hingegen sehe ich eher schwarz, denn Spaß macht das alles nicht. Aber dafür haben sich Briten ja bereits die bequeme Ausrede zurechtgelegt, dass sie nach dem Brexit eh keiner mehr mag und für sie anruft, und so bleibt ihnen am Ende vermutlich die Selbstbestätigung und ein bequemes Mittelfeldergebnis, mit dem die BBC ihr Gesicht wahren und dem Risiko entgehen kann, den ungeliebten Wettbewerb selbst noch einmal austragen zu müssen. Mission accomplished: well done. Anders übrigens als die im Vorfeld gerade in Fan-Kreisen als Favoritin geltende Salena Mastroianni (das ist doch ein Pornoname!), die nicht nur als Letzte auftreten durfte und zielgruppengerecht zwei knackige männliche Tänzer in enganliegender aufgeschwulter Uniform mitbrachte, sondern mit dem uptemporären ‘I don’t wanna fight’ den einzigen Beitrag des Abends vorweisen konnte, der – um Eurovision-Apocalypse-Blogger Roy Delaney zu zitierten – “über so etwas wie einen Puls” verfügte. Um so schmerzlicher, dass Salena die Nummer nach nur 13 Sekunden mit einem völlig daneben gejaulten “why-ei-ei” komplett in den Sand setzte. Und nach diesem verhagelten Auftakt, getreu dem Motto “schwach anfangen, stark nachlassen”, eine sekündlich schlechter werdende Leistung nachfolgen ließ und die Nummer schließlich derartig erbärmlich auswinselte, dass man schon fast Mitleid mit ihr bekommen konnte. Wenn man nicht damit beschäftigt gewesen wäre, sich die Ohren zuzuhalten. Wohlgemerkt: überzeugend sang – bis auf die Siegerin – niemand, aber Frau Mastroianni trug schon die Schiefjaulerinnen-Krone davon. Welch ein erbärmlicher Abend.
Kämpfte dann doch ganz schön, und zwar mit ihrer Stimme: Salena
Deine Einschätzung: kann Großbritannien mit diesem Song das Tal der Tränen hinter sich lassen?
- Wer im Glashaus sitzt… ich glaube nicht, dass wir über die Briten lästern sollten. Immerhin hatten sie sechs Songs im Vorentscheid, nicht nur zwei… (33%, 31 Votes)
- Auf keinen Fall. Lahmes Lied, frostig wirkende Sängerin: wer soll dafür anrufen? (29%, 28 Votes)
- Besser als in den letzten Jahren wird’s schon laufen. Dennoch ein bisschen blamabel für die Briten, mit einem dänischen Lied anzutreten. (25%, 24 Votes)
- Auf jeden Fall! Gänsehaut-Ballade, fantastisch gesungen, sicherer Jury-Abräumer: das geht steil! (13%, 12 Votes)
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