Es ist ein rundheraus löblicher Schritt: wie der Prinz-Blog gestern berichtete, hat der NDR für die professionelle Inszenierung des deutschen Eurovisionsauftritts in Kiew einen Meister seines Fachs beauftragt: den österreichischen Choreografen Marvin Dietmann nämlich. Der zeichnete bereits 2014 für das herausragende Staging von Conchita Wursts ‘Rise like a Phoenix’ verantwortlich, das er effektiv und hochwertig in Szene setzte und damit einen nicht unerheblichen Anteil an dem Sieg der Grand-Prix-Ikone für sich reklamieren kann. Dietmann, der die fünf deutschen Kandidat/innen bereits im Vorfeld von Unser Song 2017 kennenlernte, soll nun für unsere Vertreterin Levina Lueen ein Staging konzipieren, mit dem wir nach Möglichkeit international positiv im Gedächtnis bleiben. Dass der Sender die Wichtigkeit des Bühnenbildes und der Songpräsentation überhaupt anerkennt und auch bereit ist, dafür Geld in die Hand zu nehmen (denn ein so erfahrener und vielgebuchter Choreograf ist sicherlich nicht für Peanuts zu bekommen), verdient Anerkennung. Das gilt in ähnlicher Weise ebenso für das heute vorgestellte Musikvideo zum deutschen Wettbewerbsbeitrag ‘Perfect Life’, auch wenn dieses für den Erfolg in Kiew eine nur untergeordnete Rolle spielt. Dennoch ist es erfreulich, dass man den früher gerne gemachten Fehler vermied, direkt im Anschluss an die Vorentscheidung in der gleichen Nacht und im gleichen Studio noch schnell ein entsprechend lieblos hingerotzt wirkendes Video herunterzukurbeln, wie beispielsweise seinerzeit bei Lena (→ DE 2010). Oder sich den Aufwand gleich ganz zu sparen und den Live-Mitschnitt vom Vorentscheidungsauftritt bei der EBU als offizielles Präsentationsvideo einzureichen, während viel kleinere und finanzschwächere Länder aufwändig produzierte Clips herstellen ließen, was bei mir stets für nationale Beschämung sorgte. Ob es (auch) mit einem Wechsel der betreuenden Plattenfirma (von Universal zu Sony) zu tun hat, dass man sich in Hamburg diesmal mehr Mühe gibt?
Setzt nicht zwingend neue Maßstäbe, wirkt aber zumindest angenehm unpeinlich: das offizielle Musikvideo zum deutschen Beitrag 2017, ‘Perfect Life’
Um so bedauerlicher, dass die Songfindungskommission des NDR bei ihrer Arbeit nicht das selbe Level an Professionalität an den Tag legte und sich für den deutschen Vorentscheid mit zwei so glanzlosen, durchschnittlichen Titeln abspeisen ließ. Denn, so ungern ich das sage, natürlich ist all diese Mühe an ‘Perfect Life’ verschwendet. Gerade die im Musikvideo präsentierte Studioversion des deutschen Beitrags legt all die Schwächen des Songs noch mal gnadenlos offen. Und damit meine ich nicht den ziemlich unverkennbar bei David Guettas Hit ‘Titanium’ abgekupferten Einstieg: der ist nämlich noch das beste an der ganzen Nummer. Und wäre dem Eurovisionserfolg wohl eher dienlich, wie das Beispiel ‘Catch & Release’ ‘Sorry’ von Frans (→ SE 2016) beweist. Wenn denn die nachfolgenden zweieinhalb Minuten halten könnten, was der Auftakt verspricht! Doch leider plätschert das deutlich zu langsam getaktete Lied danach nur noch vor sich hin, was sich noch ein bisschen herausreißen ließe, wenn man es einfach um 30% schneller abspielte und nach dem zweiten Refrain (wenn man das so nennen mag) eine deutlich wahrnehmbare Steigerung einbaute. Denn genau das ist die Stelle, wo selbst der wohlwollendste, vom ‘Titanium’-Intro angeteaserte Radiohörer denkt: “so, war ja ganz nett bis jetzt, aber eben gerade beginne ich mich furchtbar zu langweilen”. Hier müsste ein musikalisches Feuerwerk abgebrannt werden, noch eine neue Idee hinzukommen, die Stimmung noch oben gerissen werden. Oder wie es Prinz-Blogger Douze Points in seiner absolut zutreffenden Song-Analyse so schön ausdrückte: hier müsste beim vom NDR für Kiew versprochenen Revamp des Beitrags “die Kettensäge angesetzt werden, nicht die Rosenschere”. Selbst wenn man in seiner Not auf die allerbilligste Methode zurückgriffe, eine simple → Rückung nämlich, wäre das immer noch um Längen besser als das, was derzeit passiert: Levina wiederholt sich nur noch einmal, während im Hintergrund der Song schwächlich röchelnd vor sich hin verblutet, statt in einem Crescendo zu explodieren. Sorry: mein Wetteinsatz für die dritte Rote Laterne für Deutschland steht. Ich kann nur hoffen, dass der NDR (oder wer immer in diesem Fall 2018 dann die Verantwortung für den ESC haben wird) sich hiervon nicht entmutigen lässt, sich Levinas Songtext zu Herzen nimmt, also aus seinen Fehlern lernt und beim nächsten Mal die gleiche Energie, die man diesmal ins Staging (von dem ich künftig auch gern beim Vorentscheid etwas sehen würde!) steckt, auch in den Song investiert. Dann könnte es nämlich sogar zur Abwechslung mal was werden!
So außergewöhnlich mutig und so edel wie seine Interpretin: Marvin Diemanns Inszenierung von 2014. Eine ähnliche Bezauberung dürfte Levina kaum gelingen, und das liegt nicht an ihr, sondern am Song: you cannot polish a Turd, wie der Brite sagt
Ist bei ‘Perfect Life’ mit einem Remix noch was zu retten?
- Vielleicht, wenn dieser nicht zu zimperlich ausfällt. Kettensäge! (50%, 47 Votes)
- Aber nur bei einem Belarus-Remix, in dem wir das Lied komplett austauschen. (22%, 21 Votes)
- Vergebene Liebesmüh. Akzeptieren wir unseren nächsten hinteren Platz und investieren wir unsere Kraft in 2018. (22%, 21 Votes)
- Dafür gibt es gar keinen Anlass. ‘Perfect Life’ ist perfekt, so, wie es ist. (5%, 5 Votes)
Total Voters: 94

Du hast es auf den Punkt gebracht. Ich dachte genauso schon beim ersten Hören des Songs. Nach 2 Minuten könnte der Song auch aufhören, danach eignet er sich bestenfalls als Schlaflied. Den gleichen Fehler hatte man im Übrigen auch bei dem anderen Song nach der 2 Minute gemacht, wie heisst es so schön in einem Hildegard-Knef-Klassiker: Von nun an geht´s bergab. Das Video habe ich mir gerade ohne Audio einfach mal nur angeschaut. Ich glaube, das hat man schon in ner halben Nacht fertig gedreht. Da passiert ja gar nix. Das wertet den Song doch eher noch ab als auf. Können wir uns die Rote Laterne denn nicht einfach aus Kiew schicken lassen, das spart Reisekosten und selbige für den Choreographen…
Die Wette auf den letzten Platz würde ich nicht eingehen. Mal davon abgesehen, dass noch rund 3/4 aller Beiträge noch gar nicht bekannt sind, sich darunter sicher auch nur wenige Meisterwerke befinden werden, dürfte es diesmal ein Jahr werden mit vergleichsweise wenigen flotten Liedern. Das Video zeigt schon mal die Richtung an, dass man Levina modern rüberbringen möchte (dass man optisch was aus ihr machen kann, hat schon das Foto beim Vorentscheid gezeigt) und auch der Song folgt durchaus dieser Linie. Daraus wird natürlich noch kein Spitzenbeitrag, aber die Chance auf einen zweistelligen Platz mit einer 1 als erster Zahl, ist sicherlich noch intakt (es sei denn, die anderen liefern in einer Fülle ab, an die hier wohl keiner glaubt, oder?). Klar, der Anspruch des NDR, weiter vorne mitzuspielen, und dafür entsprechendes Songmaterial zu besorgen, sollte schon höher bzw. konsequenter in der Durchführung sein, aber zumindest werden sich die Ergebnisse der letzten beiden Jahre 2017 nicht wiederholen.
Man(n) muss akzeptieren, das das “Ding” gelaufen ist. Traurig aber war. Die eigene Lobhudelei und Beweihräucherung des NDR (italienisches Karma?) ist schon sehr, sehr grenzwertig. Einmal mehr sind wir internationalen Spot ausgesetzt und versuchen trotzdem das Boot nicht zu wenden. Das Mutterschiff der ARD setzt Levina ins Schlauchboot der Hoffnung auf dem Weg ins perfekte Leben. Keine Ahnung ob zwischen schutzsicherer Weste für Kiew noch ein Rettungsring eingeplant war? Anscheinend nicht…
Ob Herr Schreiber danach noch AUFRECHT über irgendwelche BRÜCKEN geh´n kann – eigentlich No, No Never !!! aber bestimmt!
Nach 5 Jahren (eigentlich nun 6) wäre es Zeit für Veränderungen! ( Dieser Traum darf niemals sterben)
Da steht Sie nun im Video. Ein Hauch von NICHTS umgibt sie. Die Frage stellt sich, ob das Video nun besser oder schlechter für “uns” ist?
Ganz Deutschland diskutiert – Nicht!
Statt die ganze Kulisse von “TRON” am Computer nach zu bauen und Levina 3 Minuten durch die noengeschwängerten Straßen sausen zu lassen, das mir die Augen vom Funkenregen tränen, nagelt man hinter ihr nur eine einzige Lampe daraus an die Wand.
So sieht also das (auch mein?) perfekte Leben aus?
Jetzt füllen sich meine Augen ja doch mit Tränen.…..
Ich glaube nicht, dass man für ESC-Videos generelle Regeln aufstellen kann, weil sie hauptsächlich eine funktionale Aufgabe haben. Das Video von Levina wirkt tatsächlich recht gedigen produziert, hat aber auch was Steriles an sich was mich persönlich nicht sonderlich anspricht. Ob es in der Lage ist Aufmerksamkeit zu generieren wird sich noch zeigen..
2010 war eine völlig andere Situation und das Video erwies sich, mit mittlerweile über 100 Millionen views (nur offizielles Video), funktional als extrem erfolgreich. Der schlicht gefilmte aber durchaus raffiniert geschnittene Clip hatte für mich etwas vom Charakter eines road movies und betonte damit das Unkonventionelle der Protagonistin die zudem pur und ohne ablenkendes Drumherum in das Zentrum gestellt wurde. Mehr Lena war nicht möglich und die ultraschnelle Präsentation sorgte mit dafür, dass der Hype auf hoher Stufe weiterkochte.
Gerade die vordergründige Dürftigkeit des Videos könnte auch zu seinem Erfolg beigetragen haben, da Lena wie das Mädchen von Nebenan rüberkam und in auffälligen Kontrast zu den aufgemotzen Präsentationen der Konkurrenz stand.
Sehr wahre Dinge, die du hier ansprichst. Unter anderem das gefiel mir an Österreichs Beitrag im letzten Jahr. Immer wenn er gerade anfing, langweilig zu werden, machte er dann doch noch einen kleinen melodischen Schlenker.