War­um ich mich nicht auf Unser Song 2017 freue

In knapp vier­ein­halb Stun­den ist es soweit: um 20:15 Uhr heu­te Abend star­tet im Ers­ten die deut­sche Euro­vi­si­ons­vor­ent­schei­dung, Unser Song 2017. Und man kann dem NDR nicht vor­wer­fen, dass er nicht ver­sucht hät­te, das Inter­es­se zu wecken: seit Tagen wird die Euro­vi­si­ons­app bewor­ben, mit der aus­län­di­sche Grand-Prix-Fans ein Stim­mungs­bild erzeu­gen sol­len, wel­cher der fünf poten­ti­el­len Vertreter/innen und wel­cher der von der sen­der­ei­ge­nen Songfin­dungs­kom­mis­si­on aus­ge­wähl­ten zwei poten­ti­el­len Euro­vi­si­ons­bei­trä­gen inter­na­tio­nal am bes­ten ankommt. Auf der offi­zi­el­len Sen­der­sei­te sind Aus­schnit­te von den gest­ri­gen Gene­ral­pro­ben zu sehen, so dass wir uns schon mal einen Ein­druck ver­schaf­fen kön­nen. Seit heu­te ste­hen alle zehn Ver­sio­nen in der Stu­dio­fas­sung auf Spo­ti­fy zum Anhö­ren bereit. Die Cover-Songs für die Vor­stel­lungs­run­de stell­ten die Fan­tas­ti­schen Fünf in die­ser Woche schon mal im ARD-Moma vor. Vor­ent­schei­dung also auf allen Kanä­len. Und den­noch gab es im Vor­feld der natio­na­len Song­aus­wahl sel­ten so wenig media­len Wie­der­hall, vor allem aber so wenig Vor­freu­de bei mir per­sön­lich auf die Sen­dung. Ich schau mir das heu­te Abend gewis­ser­ma­ßen aus pro­fes­sio­nel­ler Ver­pflich­tung an, also weil ich muss. Aber auch wenn ich ungern den nör­ge­li­gen Spiel­ver­der­ber gebe: Lust drauf habe ich über­haupt kein biss­chen. Wor­an liegt das? Der Ver­such einer Analyse.

Die fabel­haf­te Con­chi­ta wirbt für die Eurovision-App

Das For­mat

Ste­tig­keit ist die Sache der ARD nicht. Jedes Jahr ein neu­es For­mat, jedes Jahr ein neu­er Ver­such, jedes Jahr eine neue Kata­stro­phe: man kann sich des Ein­drucks einer gewis­sen Plan­lo­sig­keit im Umgang mit dem Euro­vi­si­on Song Con­test beim NDR nicht erweh­ren. Nach zwei letz­ten Plät­zen im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb besann man sich in Ham­burg dar­auf, dass unse­re letz­te Grand-Prix-Sie­ge­rin, Lena Mey­er-Land­rut in einer Euro­vi­si­on-Cas­ting­show aus­ge­sucht wur­de. Grund­sätz­lich also kein ver­kehr­ter Ansatz, es noch­mal mit die­sem For­mat zu ver­su­chen. Lei­der erin­ner­te man sich bei der ARD aber auch dar­an, dass das über Wochen abwech­selnd auf Pro­Sie­ben und im Ers­ten lau­fen­de Unser Star für Oslo zwar gute Kri­ti­ken ein­fuhr, aber auch schlech­te Ein­schalt­quo­ten. Und dass die Sie­ge­rin eigent­lich bereits in der ers­ten Sen­dung fest­stand. Also ver­sucht man nun, in einer ein­zi­gen Sen­dung die Arbeit von Wochen zu kom­pri­mie­ren. So funk­tio­niert eine Cas­ting­show aber nicht. Eine per­sön­li­che Bezie­hung zu den fünf Nach­wuchs­hoff­nun­gen kann das Publi­kum nicht inner­halb von drei Stun­den auf­bau­en, dafür braucht es ein­fach etwas zeit­li­chen Vor­lauf. Auch das Rascheln im Blät­ter­wald, wie es Unser Star für Oslo 2010 erzeug­te, kann so nicht ent­ste­hen. Und indem man ver­sucht, alle typi­schen For­mat-Zuta­ten in eine Show zu quet­schen, über­frach­tet man sie.

Eine Auf­ga­be von natio­na­ler Trag­wei­te” war es 2010. Dies­mal scheint es eher Pflichterfüllung.

Die Abstim­mung

Gan­ze vier Abstim­mungs­run­den ste­hen uns heu­te Abend bevor. In Zah­len: 4. In Wor­ten: vier. Vier! Wer immer bei Raab TV oder dem NDR glaub­te, das sei eine gute Idee, gehört gefeu­ert. Nicht nur, dass das Ver­fah­ren sich unnö­tig kom­pli­ziert gestal­tet (viel­leicht soll­ten sich die Ver­ant­wort­li­chen die Faust­re­gel “Wenn ich das For­mat nicht in zwei Sät­zen erklä­ren kann, soll­te ich es noch­mal über­den­ken” in gol­de­nen Let­tern an die Wand hän­gen!). Es führt auch zu Zufalls­er­geb­nis­sen, wie es sich schon in der Blitz­ta­bel­le bei Unser Song für Baku 2012 zeig­te. Auch wenn die ARD bei den Anru­fen nicht scham­los hin­langt wie z.B. RTL und die­se mit 14 Cent gera­de mal die Kos­ten decken: es ruft doch nie­mand vol­ler Begeis­te­rung vier mal hin­ter­ein­an­der an wie ein Beklopp­ter. Also, außer viel­leicht einer Hand­voll klas­sisch beklopp­ter Fan-Hoo­li­gans. Zumal für fünf Nobo­dys und zwei Säu­sel­songs (dazu wei­ter unten mehr).

Die Blitz­ta­bel­le gibt’s dies­mal nicht. Aber vier Anruf­run­den gehen auch ein biss­chen in die Richtung.

Die Vor­stel­lungs­run­de

Für einen Auf­schrei unter den Fans (und natür­lich nur unter denen, die brei­te Mas­se inter­es­siert das Null) sorg­te bereits die Bekannt­ga­be, dass die Fünf für den Vor­ent­scheid aus­ge­wähl­ten in der ers­ten Run­de heu­te Abend per­sön­lich aus­ge­wähl­te Cover-Titel vor­stel­len und zwei von ihnen in der anschlie­ßen­den Abstim­mung bereits wie­der aus­schei­den. Was aus show­dra­ma­tur­gi­schen Grün­den zwar Sinn macht, weil es selbst den gut­wil­ligs­ten Zuschau­er irgend­wann lang­weilt, fünf­mal hin­ter­ein­an­der den­sel­ben Song hören zu müs­sen; den bei­den Raus­flie­gen­den gegen­über den­noch arg unge­recht erscheint. Und sich zudem als tücki­sche Stol­per­fal­le erwei­sen könn­te: was, wenn die mög­li­cher­wei­se bes­te Kan­di­da­tin für eine der bei­den Euro­vi­si­ons­songs die Vor­stel­lungs­run­de nicht über­lebt, weil sie sich für den fal­schen Cover-Song ent­schie­den hat? Auch nach der zwei­ten Run­de schei­det noch eine Nach­wuchs­hoff­nung aus, so dass nur zwei der poten­ti­el­len Eurovisionsvertreter/innen über­haupt die Gele­gen­heit haben, bei­de (im Stu­dio bereits ein­ge­spiel­ten und auf­wän­dig geprob­ten) Titel vor­zu­stel­len. Nicht nur eine unglaub­li­che Mate­ri­al­ver­schwen­dung: auch die Chan­cen, die best­mög­li­che Kom­bi­na­ti­on aus Lied und Interpret/in zu fin­den, wer­den so fahr­läs­sig dezimiert.

Damit geht Feli­cia Lu Kür­biß in die Vor­stel­lungs­run­de. Wird sie sie überstehen?

Die Songs

Mit gan­zen zwei Lie­dern bestrei­tet die ARD die heu­ti­ge Vor­ent­schei­dung. In Zah­len: 2. In Wor­ten: zwei. Zwei! War das Bud­get der­ar­tig knapp? ‘Wild­fi­re’ und ‘Per­fect Life’ hei­ßen sie, und wie schon zu befürch­ten stand, ent­schied sich das Aus­wahl­gre­mi­um mal wie­der für dudel­funkt­aug­li­che Lan­ge­wei­le statt für einen ech­ten Hin­hö­rer. Bei­de Song plät­schern so vor sich hin, ecken nicht an, ner­ven nicht und gehen zum einen Ohr hin­ein und zum ande­ren wie­der hin­aus. Hän­gen bleibt da nichts. Also erneut das per­fek­te Null-Punk­te-Rezept. Zumal sich bereits jetzt ein wei­te­rer vor jury­op­ti­mier­ten Mid­tem­po­bal­la­den nur so trie­fen­der Jahr­gang abzeich­net, zu dem Deutsch­land mit ‘Per­fect Life’ eine wei­te­re bei­steu­ern wür­de. Damit wir uns auch garan­tiert nicht aus der Mas­se her­aus­he­ben! ‘Wild­fi­re’ hät­te als der etwas cat­chi­ge­re, in der Ver­si­on von Feli­cia Lu Kür­biß ein biss­chen tem­po­rei­che­re Titel inter­na­tio­nal zumin­dest gering­fü­gig bes­se­re Chan­cen. Doch Frau Kür­biß wird mög­li­cher­wei­se die Vor­stel­lungs­run­de nicht über­ste­hen, weil sie sich dafür einen Song aus­such­te, mit dem sich auch Lena Mey­er-Land­rut einst bei Unser Song für Oslo bewarb. Und nicht nur mit der Lied­wahl, son­dern auch stimm­lich und optisch erin­nert sie doch sehr an love­ly Lena. Wird sie das Publi­kum dafür lie­ben oder als Kopie aussortieren?

Nur, damit wir sie auch mal gehört haben: ‘Wild­fi­re’, die zwei­te Num­mer, in der Ver­si­on von Axel Feige.

Die Prä­sen­ta­ti­on

Im ver­gan­ge­nen Jahr lob­te ich den NDR dafür, end­lich mal ein biss­chen Gehirn­schmalz in die Prä­sen­ta­ti­on der Vor­ent­schei­dungs­ti­tel inves­tiert zu haben. Und auch, wenn die visu­el­le Umset­zung von Jamie Lee‘Ghost’ als Sze­ne aus Fried­hof der Kuschel­tie­re sich in Sachen Punk­te­aus­beu­te als Fehl­schlag erwies: wenigs­tens hat­te man grund­sätz­lich erkannt, dass es eben nicht reicht, ein­fach nur eine Sän­ge­rin hin­ters Mikro­fon zu stel­len und fer­tig. Dach­te ich eigent­lich. Doch weit gefehlt: genau in die­ses Mus­ter fällt man 2017 wie­der zurück. Den Clips der gest­ri­gen Gene­ral­pro­be zu urtei­len, scheint das Bud­get fürs Büh­nen­bild in die­sem Jahr noch nied­ri­ger zu lie­gen als das für die Song­rech­te. Es pas­siert: nichts. Das Bild domi­niert die Raab-TV-Haus­ka­pel­le Hea­vy­to­nes, deren Ein­satz über­haupt die dümms­te Idee von allen ist. Deutsch­lands aner­kann­ter­ma­ßen brä­sigs­te Begleit­band saugt den bei­den ohne­hin eher schwach­brüs­ti­gen Songs jeg­li­chen Rest an Leben aus, wie ein Ver­gleich der Live-Ver­sio­nen mit den Stu­dio­fas­sun­gen belegt. Und er macht auch über­haupt kei­nen Sinn: beim Wett­be­werb in Kiew kommt die Musik vom Band. Ich weiß nicht, mit wem der Heay­to­nes-Band­lea­der Wolf­gang Dah­l­hei­mer, der auch Teil des Vor­auswahl­gre­mi­ums war, beim NDR geschla­fen hat, dass die Kapel­le immer wie­der beim Vor­ent­scheid zum Ein­satz kommt. Ich weiß nur: der- oder die­je­ni­ge gehört eben­falls gefeuert.

Zwei Apfel­si­nen im Haar: Jamie Lee

Das Rah­men­pro­gramm

Will man mit zwei Songs drei Stun­den Sen­de­zeit bestrei­ten, braucht es ein umfang­rei­ches Rah­men­pro­gramm. Dafür kauf­te der NDR gleich vier ehe­ma­li­ge Euro­vi­si­ons­sie­ge­rin­nen ein (kein Wun­der, dass für das deut­sche Lied und die Büh­nen­show kein Geld mehr da war!): Nico­le, Lena, Con­chi­ta Wurst sowie die unver­meid­li­che Rus­la­na, was ange­sichts des unstopp­ba­ren Rede­flus­ses der ukrai­ni­schen Grand-Prix-Legen­de in Fan­krei­sen bereits für Befürch­tun­gen sorgt, dass sich die nach­fol­gen­den Sen­dun­gen um zwei bis drei wei­te­re Stun­den ver­schie­ben könn­ten. Die­se hoch­ka­rä­ti­gen Gäs­te brin­gen ein Med­ley von Sie­ger­songs zu Gehör, aller­dings jeweils nicht ihre eige­nen. Das ist zumin­dest schon mal ori­gi­nell und ver­spricht, die inter­es­san­ten Minu­ten des heu­ti­gen Abends zu lie­fern. Dane­ben müs­sen wir noch wir neu­es­ten Titel von Jury-Mit­glied Tim Bendz­ko und – Gott steh uns bei! – Mat­thi­as Schweig­hö­fer, einem wei­te­ren Schau­spie­ler, der fälsch­li­cher­wei­se meint, jetzt auch noch sin­gen zu müs­sen, über uns erge­hen las­sen. Es wer­den lan­ge, sehr lan­ge drei Stun­den. Ein­zig die Aus­sicht auf die Bon­mots der unver­wüst­li­chen Bab­si Schö­ne­ber­ger gibt mir ein wenig Hoff­nung, den Abend mit intak­tem Lebens­wil­len zu überstehen.

Con­chi­ta dra­ma­ti­siert den ‘Satel­li­te’. Das war schön. Schön war das.

Das Fazit

Nach dem gedul­di­gen Anhö­ren aller zehn Stu­dio­ver­sio­nen (was ich für Euch, mei­ne geschätz­ten Leser/innen, alles für Opfer auf mich neh­me!) und Sich­tung der Pro­ben­clips auf eurovision.de kann es heu­te Abend nach mei­ner Ein­schät­zung eigent­lich nur ein Ergeb­nis geben. Ich erwähn­te es bereits: Feli­cia Lu Kür­biß mit ‘Wild­fi­re’. Musi­ka­lisch kei­ne Stern­stun­de des Musik­schaf­fens, bie­tet Lu aber wenigs­tens ein biss­chen Tem­po und Aus­strah­lung und ist damit auto­ma­tisch mei­ne ers­te und ein­zi­ge Wahl. Soll­te mir das deut­sche Publi­kum mal wie­der nicht fol­gen, wovon ich aus­ge­he, kann als zwei­te Wahl nur noch ‘Per­fect Life’ in der Ver­si­on von Axel Fei­ge in Fra­ge kom­men. Dem gelingt es als Ein­zi­gem der nicht so Fan­tas­ti­schen Fünf, die­sem drö­gen Mid­tem­po­s­eich einen Hauch von Leben bei­zu­bie­gen. Den Pro­be­be­rich­ten der Prinz-Blog­ger zufol­ge schaff­te er es bis­lang aller­dings nicht, mal in die Kame­ra zu gucken und mit dem TV-Zuschau­er zu inter­agie­ren, so dass auch sei­ne Chan­cen schlecht ste­hen, in die End­run­de zu gelan­gen. Es wird also ver­mut­lich eine der drei ande­ren ega­len Nach­wuchs­stern­chen mit einem der bei­den ega­len Lie­der. Und des­we­gen freue ich mich nicht auf Unser Song 2017.

 

Wel­che Kom­bi­na­ti­on soll­te Deutsch­land beim ESC 2017 vertreten?

  • Ist mir völ­lig Wurst. (33%, 22 Votes)
  • Kei­ner von denen. (27%, 18 Votes)
  • Axel Fei­ge mit Per­fect Life (15%, 10 Votes)
  • Feli­cia Lu Kür­biß mit Wild­fi­re (7%, 5 Votes)
  • Axel Fei­ge mit Wild­fi­re (6%, 4 Votes)
  • Levina Lueen mit Wild­fi­re (4%, 3 Votes)
  • Hele­ne Nis­sen mit Wild­fi­re (3%, 2 Votes)
  • Levina Lueen mit Per­fect Life (3%, 2 Votes)
  • Feli­cia Lu Kür­biß mit Per­fect Life (1%, 1 Votes)
  • Hele­ne Nis­sen mit Per­fect Life (0%, 0 Votes)
  • Yose­fin Buoh­ler mit Wild­fi­re (0%, 0 Votes)
  • Yose­fin Buoh­ler mit Per­fect Life (0%, 0 Votes)

Total Voters: 67

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2 Comments

  • Habe mir jetzt mal die Pro­ben­aus­schnit­te gege­ben. Also Fräu­lein Kür­biß möch­te ich auf kei­nen Fall in Kiew. Dün­ne Bein­chen – dün­nes Stimm­chen. Wie­so die Ähn­lich­keit mit Lena haben soll bleibt mir ein Rätsel.
    Wild­fi­re ist tat­säch­lich der bes­se­re Song. Und die ein­zi­ge anhör­ba­re Ver­si­on lie­fert dann auch Levina – da klappt es viel­leicht mit einer Plat­zie­rung im hin­te­ren Mit­tel­feld. Ansons­ten schaf­fen wir das Tri­ple. Aber – die Hoff­nung stirbt zu Letzt.

  • Der wer­te Blog­ger (vie­len Dank an die­ser Stel­le für Dei­ne her­vor­ra­gen­den Diens­te) hat wie­der mal soooo recht!
    Ich wer­de heu­te lie­ber den 3. Gala­abend des San Remo Fes­ti­vals verfolgen…

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