Und weiter geht es im fröhlichen Ping-Pong um das ukrainische Auftrittsverbot für die russische Repräsentantin Julia Samoylova. Vor wenigen Minuten lehnte nach Mitteilung von Eurovoix der Moskauer Sender Perwy Kanal die von der EBU als elegante Lösungsmöglichkeit vorgesehene Satellitenzuspielung des Live-Auftritts Samoylovas ab, die nach einem Dekret des ukrainischen Staatsschutzes das Land nicht betreten darf, nach dem sie 2015 auf der okkupierten Krim auftrat, und die somit am Eurovision Song Contest 2017 in Kiew nicht direkt teilnehmen kann. Genau darauf bestehen die Russen aber: “Den Vorschlag einer externen Teilnahme erachten wir als befremdlich und lehnen ihn ab. Er widerspricht selbstredend dem Geist des Events, dessen wichtigstes Kernelement der Live-Auftritt auf der Eurovisionsbühne darstellt,” so der Sender in einer Stellungnahme. Man sei erstaunt, dass die EBU eigens neue Regeln für die russische Vertreterin erfinde. Vielmehr sehe man die Genfer Organisation in der Bringschuld, auf Kiew einzuwirken: “Nach den Eurovisionsbestimmungen muss das austragende Land es allen Teilnehmern ermöglichen, ein Visa für die Dauer des Events zu erhalten”. Damit erscheint es immer wahrscheinlicher, dass der Eurovision Song Contest 2017 ohne Partizipation Russlands stattfindet, denn weitere Brücken dürfte die EBU kaum bauen können, zumal auch die Ukraine den jetzigen EBU-Vorschlag entschieden ablehnt. Gleichzeitig begibt sich Russland mit dieser Haltung jedweder Chance, sich weiterhin als Opfer ukrainischer Ränkespiele zu inszenieren: denn dass das Staatsfernsehen die bedauernswerte, an den Rollstuhl gefesselte Sängerin sehenden Auges in die Schlacht schickte, wohl wissend um ihren nach geltendem ukrainischen Recht illegalen Auftritt auf der Krim und das damit quasi unvermeidbare, auch vonseiten Genfs zu respektierende Einreiseverbot, steht wohl außer Frage. Es erklärt auch, warum man der Repräsentantin mit ‘Flame is burning’ ein für russische Standards verhältnismäßig schwaches und miserabel produziertes Lied aussuchte – vermutlich, weil ohnehin nie die Absicht bestand, es ernsthaft nach Kiew zu entsenden. Mal schauen, wie viele Runden nun noch folgen – bis Mai ist ja noch ein bisschen Zeit.
Feuer / brennt nicht nur im Kamin / Feuer / brennt doch auch in Dir drin (RU)
Wieder mal ein sehr treffender Kommentar. Es ist eine Schande, wie diese Frau missbraucht wird.
Traurig und unwürdig. Ich bin gespannt, wie alle Beteiligten aus der Nummer wieder rauskommen wollen.
Das große Problem, dass ich dabei sehe ist: Wohin soll es führen? Am ESC nimmt eine ganze Reihe von Ländern teil, in denen Gesetze gelten, die persönliche Freiheiten auf die eine oder andere Weise eingeschränkt werden. In diesem Fall geht es nicht etwas darum, dass die Künstlerin jemandem Schaden zugefügt hat: Sie hat schlicht eine Grenze an einem Ort überquert, der der Ukraine nicht genehm ist, und ist an einem Ort aufgetreten, der der Ukraine ebenfalls nicht passt. Ja, man kann sagen: So ist eben das Gesetz. Aber: In Weißrussland gibt es beispielsweise ein Gesetz, dass es bekennenden Homosexuellen verbietet, bei öffentlichen Verranstaltungen aufzutreten. In Israel wird seit einigen Tagen Personen, die sich für einen Boykott Israels oder der Siedlungen ausgesprochen haben, die Einreise verweigert. Ähnliches passiert auch in der Türkei, deren Teilnahme sich viele wünschen. Und dann haben wir auch immer die Thematik Armenien und Azerbaidschan. Der ESC war stets darauf aufgebaut, dass jedes Land, ganz gleich wie groß oder klein, und egal wie die diplomatischen Beziehungen untereinander sind, teilnehmen kann, wenn man sich dazu bereit erklärt, eben jedem, der teilnehmen möchte, auch diese Teilnahme zu ermöglichen, und zwar live, auf der Bühne, nicht aus der Ferne. Dass davon Personen nicht erfasst werden, die sich innerhalb des international anerkannten Kanons an juristisch relevanten Vergehen strafbar gemacht haben, dürfte dabei wohl stets klar gewesen sein. Dass man aber nun politisch motivierte Gesetze hinzu fügt, und nicht sagt, dass es so nicht geht, hat die EBU in ein gefährliches Terrain befördert. Noch einmal: Es geht hier um einen Auftritt am falschen Ort. Es ist noch nicht sehr lange her, dass der Libanon beispielsweise nicht teilnehmen konnte, weil man den israelischen Auftritt nicht zeigen wollte. Dass die EBU hier kompromisslos reagierte, war meiner Ansicht nach berechtigt.
Es ist auch noch nicht sehr lang her, dass die EBU die Teilnahme von Ländern mit zweifelhafter Gesetzgebung damit rechtfertigte, dass damit demokratische Entwicklungen gefördert werden. Stattdessen hat man sich aber voll und ganz den Regeln unterworfen, die von den entsprechenden Regierungen diktiert werden.
Dabei fällt in diesem Fall nun auch dies ganz besonders auf: Warum in alles in der Welt wird darüber jetzt erst gesprochen? Man sollte meinen, dass man, wenn ein Land wie die Ukraine gewinnt, als allererstes alle möglichen Szenarien erörtert; dass es vor allem in der Russland-Frage Probleme geben könnte, war schon damals absehbar, und die entsprechenden “schwarzen Listen” und problematischen Gesetze waren auch öffentlich bereits frühzeitig thematisiert worden.
Stattdessen nun der Vorschlag, den russischen Auftritt per Video zuzuschalten. Wie soll das funktionieren? Wie würde man Chancengleichheit erzeugen? Die Bühne wäre eine ganz andere; die Künstlerin stünde nicht vor dem Hallenpublikum. Würde Russland damit scheitern, wäre die Benachteiligungsdebatte da. Würde Russland Erfolg haben, würde dies wohl ebenfalls für Diskussionen sorgen.
Ich finde das teilweise stattfindende EBU-Bashing nicht wirklich gerechtfertigt. Wieso ist jetzt die EBU an allem Schuld? Ja, sie organisiert eine Veranstaltung bei der am liebsten jeder mitmachen darf, damit die europäische Vielfalt gelebt und zelebriert wird und dadurch sollte sie dafür sorgen, dass sie die Möglichkeiten zur Teilnahme eben jedem eröffnet. Aber die Kompetenzen der EBU sind begrenzt. Insbesondere wenn es um solch ein aufgeladenes und konfliktbeladenes politisches Thema geht. Der EBU steht es nicht zu die ukrainische Regierung dazu zu bewegen bestehende Gesetze zu ändern. Ganz einfach. Genauso wenig kann die EBU den Konflikt Armenien-Aserbaidschan irgendwie lösen. Der Unterschied zwischen UA-RU und AM-AZ ist jedoch, dass sich die Ukraine und Russland in der Form wie Kleinkinder bekriegen und es sich bei AM-AZ bereits um einen fast schon ewigen Konflikt handelt und ist quasi schon zu einem “erwachsenen” Hass herangewachsen, da hat es dann Armenien nicht nötig sich so kindisch zu benehmen und nimmt einfach nicht beim ESC in Baku teil…
Um bei Sache zu bleiben, wer jetzt was absichtlich gemacht hat und ob die Sängerin “missbraucht” wurde sind alles Spekulationen. Sie hat gegen ukrainisches Recht verstoßen und darf nun nicht einreisen. Man mag dieses Gesetz kritisieren, aber ich finde bei dieser Diskussion kommt viel zu kurz, dass es dieses Gesetz nur gibt, weil Russland die Krim annektiert hat. Ich glaube die Leute wissen gar nicht, was das bedeutet!
Auf jeden Fall sollten sich die ganzen ESC-Fans bewusst machen, dass dadurch keine Krise ausgelöst wird, denn der ESC ist nicht so wichtig, wie manche denken.. Es mag eine gegenseitige Provokation gewesen sein, aber wie gesagt, das ist dann schon irgendwie Kindergarten
Ich denke, Alex K. hat mit seinem Kommentar voellig recht. Allerdings moechte ich noch einen weiteren Aspekt hinzufuegen (oder staerker herausstreichen): nicht nur ist der ESC nicht der Grund fuer eine Krise hier und somit “nicht so wichtig”, sondern auch Russland ist “nicht so wichtig” – der ESC funktioniert auch ohne andere Laender (nicht zuletzt fuer mehrere Jahre ohne die Tuerkei, auch Bosnien ist ein staendiger Wackelkandidat, aber auch schon zwischenzeitlich ohne Italien, fuer einige Jahre auch ohne Schweden, etc. Auch wenn ich die Absenz dieser Laender jeweils bedauere: der Wettbewerb funktioniert und ist attraktiv (was man auch an der Schlappe russischer Nationalisten mit ihren staendigen Boykott-Aufrufen sieht). Da wird es auch einmal ein Jahr ohne Russland gehen. Schade zwar – aber auch keine ganz grosse Ueberraschung. und immerhin bleibt uns somit eine Schlammschlacht im Vorfeld, gespeist aus dubiosen Quellen, ueber den Favoriten Italien erspart (wie weiland ueber Mans in Wien.