Sie haben es tatsächlich getan: die Rumänen schicken 2017 ein jodelndes Pop-Pärchen zum Eurovision Song Contest! Bereits im Vorfeld europaweit von Fans heißgeliebt und gehasst, vereinten Ilinca und Alex Florea im Finale der Selecția Națională mehr als doppelt so viele Stimmen auf sich wie ihr härtester Konkurrent, der sehr unvorteilhaft gealterte Vertreter von 2006, Mihai Trăistariu. ‘Yodel it!’ bringt endlich den bitter benötigten Spaß zurück zum Eurovision Song Contest, wiewohl es sich trotz des Themas um keinen Comedy-Beitrag handelt. Und es schlägt den Bogen zum vorigen Wettbewerb aus Kiew, dem von 2005, als die österreichischen Global.Kryner mit ‘Y así’ ebenfalls dieser Gesangsart frönten. Ilinca, am gestrigen Sonntagabend in einem schlichten Kleid mit gigantischer Schnalle, legte erneut fehlerfrei ihr Jodeldiplom ab. Aber nicht zu furchtbaren Volksmusikklängen, wie man befürchten könnte, sondern zu ordentlich gemachtem Pop. Ihr supersexy Bad-Boy-Partner, der das etwas irritierende, schwarzgefärbte Bibo-Federkostüm und die Lederhose aus dem Semi zuhause ließ und in zerrissenen Jeans antrat, lieferte dazu Sprechgesänge und eine extrem energetische Performance. Fast sah es aus, als wollte er durch pures rhythmisches Aufstampfen auf den Bühnenboden ein Erdbeben auslösen. Und betrachtet man das Endergebnis des einstündigen Televotings, so gelang ihm das auch! ‘Yodel it!’ ist wagemutig, es teilt die Zuhörerschaft (in meinen Augen eine positive Eigenschaft) und sticht aus dem Meer der weichgespülten Eintönigkeit heraus, die uns dieses Jahr beim Song Contest überflutet. Und so kann ich den Rumänen gar nicht genug danken, dass sie uns endlich eine Rettungsinsel zuwerfen.
Was für eine Schnalle! (RO)
Der von mir bereits als tragische Figur abgeschriebene Mihai (oder, in ultraprätentiöser Eigenschreibung: M I H A I) präsentierte sich im Gegensatz zum letztwöchigen Semi, wo er wirklich alle Register des Schmierlappentums zog, diesmal deutlich dezenter (jedenfalls während seiner drei Minuten auf der Bühne – im Green-Room-Interview barst er bereits wieder vor überbordender Selbstverliebtheit) und stimmlich gefasster, so dass sein selbstbezüglicher Titel ‘I won’t surrender’ doch noch zum ernsthaften Konkurrenten um den Sieg mutierte. Im Gegensatz zu dem 2017er Update des deutschen Vorentscheidungstitels von 1980, Costa Cordalis’ ‘Pan’: das von der Boyband Maxim (erstaunlicherweise mit Malcolm-in-the-Middle-Schauspieler Frankie Munoz als Leadsänger) dargebotene und vom Panflötenspieler Nicolae Voiculeț geflötete ‘Adu-ți aminte’, im Lande bereits ein Radiohit und im Vorfeld aufgrund der antizipierten Anruf-Ausdauer von Teenagermädchen als Siegesanwärter gehandelt. Am Ende landete das Stück mit gut einem Viertel der Jodel-Stimmen auf Rang vier, vielleicht auch wegen des verwirrenden Bühnenrequisits, einer vollständig ungenutzt bleibenden Blumenschaukel.
Lost in Verona: die rumänischen Menschmaschinen Instinct
Dazwischen schob sich noch der Überraschungssong des Abends, das im Semi von einer frühen Startposition aus irgendwie untergegangene ‘Petale’ des Duos Instinct. Die beiden mit schwarzem und goldenen Body-Make-up als Maschinenmenschen geschminkten Interpreten, die diesmal einen besseren Startplatz erwischten, strahlten trotz ihrer passend roboterhaft abgehackten Bewegungen und des verschlossenen Gesichtsausdrucks eine immense, angenehme zwischenmenschliche Wärme aus. Zudem verfügte ihr Lied als eines der wenigen des Abends über einen sofort als solchen erkennbaren Refrain. Eine Erwähnung ehrenhalber verdient Cristina Vasiu, die uns vom rumänischen Vorentscheid von 2015 als das Mädchen mit der brennenden Muschi in bester Erinnerung geblieben ist. Auch diesmal versuchte sie mit ‘Set the Skies on Fire’, den Funken überspringen zu lassen, was ihr allerdings mit dem mittelprächtigen Midtemposong nicht so recht gelingen wollte. Dafür qualifizierte sie sich als Namensgeberin eines neuen Fan-Preises neben dem gefürchteten Barbara-Dex-Award (den sie sich mit ihrem federbesetzten, fleischfarbenen Nachthemd aus der Carolin-Reiber-Kollektion ebenfalls verdient hätte): nämlich der Cristina-Vasiu-Medaille für den schlimmsten Frisurenunfall.
Il pleut de l’Or (RO)
Ein wenig erinnerte die gigantische Fönwelle, die sie auf ihrem Köpfchen spazieren trug, an das gemeinsame Kind einer leidenschaftlichen Liebesnacht zwischen dem toten Bieber, den US-Präsident Donald Trump mittlerweile als angebliches Eigenhaar verwendet, und einer räudigen Rokoko-Perücke. So tot wie der Trump-Bieber wirkten auch ihre weiß geschminkten Backings, die im Bühnenhintergrund umeinander liefen, als wollten sie die Geister von Katja Ebsteins (→ DE 1980) ‘Theater’-Pantominen verscheuchen. Ein weiteres optisches Highlight setzte der TVR-Beleuchter, der Cristinas goldglitterbesprühte Klumppumps anstrahlte, was stellenweise aussah, als stünde sie in einem munter fließenden, selbst verursachten goldenen Bächlein. Der gleiche Beleuchter sorgte übrigens auch während Mihais Auftritt für Schmunzeln, in dem er einen Laserpointer auf dem Hosenstall des Sängers umherwandern ließ. Nicht, dass es dort etwas zu bewundern gegeben hätte, aber es fügte dem äußerst ernsthaft vorgetragenen Song doch eine erfrischend heitere Note hinzu…
Drei Stunden Zeit und hohe Leidensbereitschaft? Hier ist das komplette Finale am Stück!
Natürlich erübrigt sich hier die Frage nach dem Final-Einzug. Oder?
- Tut sie. Das macht Spaß und sticht heraus, das spielt um einen der vorderen Plätze mit. (79%, 68 Votes)
- Ja, es ist schließlich Rumänien. Der Song hätte den Einzug aber nicht verdient. (10%, 9 Votes)
- Warum? Diese lahme Comedy-Nummer werden die Jurys hoffentlich killen, wenn sie ihre Arbeit ernst nehmen. (10%, 9 Votes)
Total Voters: 86
Ich hatte so gehofft, dass Du diesen Artikel mit “She was the master of the yodel” überschreibst… 😉
Mist! Zu so später Stunde bin ich leider nicht nur noch eingeschränkt kreativ. 🙁
Davon merkt man aber nix 🙂 War wie immer ein Lesepläsier. Merci dafür!
Genau, wie immer wunderbar! Und ueberdies: seit Deinem Hinweis auf die nationalen Semifinals zitterte ich fuer Yodel it! und Sobral in Portugal – und hatte somit einen sehr, sehr guten Sonntag abend. Und jetzt ein Wahlproblem in Mai (zusammen mit Italien’s Occidentali’s Karma). Ein gutes Jahr, ungeachtet der Balladen – und wie immer Dank fuer die gute Vorbereitung!
Werter Blogger – nicht immer sind wir einer Meinung (zumindest was den Musikgeschmack angeht), aber heuer hast Du mir 3 hörens- und anrufenswerte Beiträge hervorragend präsentiert und ich bin voller Begeisterung über die Songs aus Italien, Portugal und Rumänien und freue mich auf den ESC wie selten! 🙂
Ich finde, die Überschrift passt wie die Faust aufs Auge und hat im Büro heute schon für heiteres Amusement gesorgt!
Erwähnenswert finde ich noch das einstündige Live-Konzert der ABBA-Coverband als Pausenact. So großartig.