Julia­ga­te: die Ukrai­ne keift zurück

Ja, ich weiß, die Geschich­te nervt lang­sam nur noch, aber lei­der wird uns die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Russ­land und der Ukrai­ne um die Teil­nah­me der Sän­ge­rin Julia Samoy­l­o­va noch eine Wei­le beschäf­ti­gen. Heu­te Vor­mit­tag ver­öf­fent­lich­te der ukrai­ni­sche Sen­der UA:PBC eine Stel­lung­nah­me zum Brief der Gene­ral­di­rek­to­rin der EBU, Ingrid Del­ten­re, von vor­letz­ter Woche, in dem die­se sich mit der sehr harsch for­mu­lier­ten Auf­for­de­rung an den Staats­prä­si­den­ten wen­det, dafür Sor­ge zu tra­gen, dass die rus­si­sche Reprä­sen­tan­tin in Kiew auf­tre­ten kön­ne und den künf­ti­gen Aus­schluss des dies­jäh­ri­gen Gast­ge­ber­lan­des vom Euro­vi­si­on Song Con­test androht, falls es zu kei­nem für die EBU zufrie­den­stel­len­den Ergeb­nis kom­me. Wenig über­ra­schend zeigt sich die öffent­lich-recht­li­che Rund­funk­an­stalt wenig amü­siert über den Gen­fer Ton­fall und weist die For­de­rung Del­ten­res, der Prä­si­dent möge das vom ukrai­ni­schen Geheim­dienst ver­füg­te Ein­rei­se­ver­bot tem­po­rär auf­he­ben, als “Ein­mi­schung in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten” zurück, die vom Man­dat der EBU nicht gedeckt sei: “Wir ersu­chen die EBU und Frau Del­ten­re, die Sou­ve­rä­ni­tät der Ukrai­ne zu ach­ten”.

Der Anlass des Streits: Juli­as bren­nen­de Flam­me (RU)

In der Stel­lung­nah­me erläu­tert der Sen­der noch­mals den Grund für den Aus­schluss der rus­si­schen Sän­ge­rin vom Wett­be­werb: “In dem sie ohne Erlaub­nis der ukrai­ni­schen Behör­den die Krim besuch­te, hat Julia Samoy­l­o­va die Sou­ve­rä­ni­tät und die Geset­ze der Ukrai­ne ver­letzt”. Weder die Rus­sen noch sonst ein Land, des­sen Sen­der Mit­glied der EBU sei, habe einen Grund, das Ver­hal­ten der Ukrai­ne anzu­grei­fen, “da kein euro­päi­sches Land die Zuge­hö­rig­keit der Krim zu Russ­land aner­kennt”. Man tei­le die Ver­bit­te­rung der EBU über die Tat­sa­che, dass “der Wett­be­werb aktu­ell als Waf­fe in der Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen der rus­si­schen Föde­ra­ti­on und der Ukrai­ne” ein­ge­setzt wer­de, zei­ge sich aber über­rascht, dass sich der Gen­fer Furor nicht gegen Russ­land rich­te. Der EBU-Brief wider­spre­che nach Auf­fas­sung des Sen­ders dem immer wie­der vor­ge­brach­ten Man­tra, dass der Euro­vi­si­on Song Con­test unpo­li­tisch sei, “da Frau Del­ten­re sich fak­tisch auf die Sei­te der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on und derer poli­ti­scher Pro­vo­ka­ti­on stellt”.

Thun­der and Light­ning, it’s get­ting exciting!

Man tei­le “voll und ganz die fun­da­men­ta­len Wer­te eines demo­kra­ti­schen Euro­pas,” kön­ne aber – “gelei­tet von exakt die­sen Wer­ten” – in der aktu­el­len Situa­ti­on nicht die Inter­es­sen der Ukrai­ne igno­rie­ren, die ledig­lich ihre ter­ri­to­ria­le Ein­heit ver­tei­di­ge. Die Andro­hung von­sei­ten der EBU, den Sen­der für das fak­ti­sche Auf­tritts­ver­bot Samoy­l­o­vas zu bestra­fen, betrach­te man als “unver­ein­bar mit grund­le­gen­den demo­kra­ti­schen Wer­ten und im Wider­spruch ste­hend zu den Posi­tio­nen der Euro­päi­schen Uni­on und der Welt­ge­mein­schaft im Umgang mit der der­zei­ti­gen ukrai­nisch-rus­si­schen Kon­fron­ta­ti­on”. Prä­si­dent Poro­schen­ko nann­te nach einer heu­ti­gen Mel­dung des Nach­rich­ten­por­tals Depo.ua die Nomi­nie­rung Samoy­l­o­vas bei einer Pres­se­kon­fe­renz anläss­lich eines Tref­fens mit dem let­ti­schen Prä­si­den­ten eine “Pro­vo­ka­ti­on” und bezwei­fel­te, dass Russ­land ernst­haft teil­neh­men wol­le: “Die rus­si­sche Sei­te kann­te die Regeln, die für alle gleich sind”.

Russ­land weiß, was es will: “Cross the line a step at a time / May­be there’s a day you’ll be mine”

Nun hat die Ukrai­ne mit ihrem stu­ren (und däm­li­chen) Fest­hal­ten an dem kin­di­schen Ein­rei­se­ver­bot für das rus­si­sche Roll­stuhl­mä­del, vom dem wohl kaum eine essen­ti­el­le Gefahr für die Sicher­heit und Ord­nung des Gast­ge­ber­lan­des aus­geht, genau so viel Schuld an der ver­fah­re­nen Situa­ti­on wie die Rus­sen, wel­che die gan­ze Malai­se mit der bewuss­ten und geschick­ten Nomi­nie­rung der Künst­le­rin erst her­auf­be­schwo­ren. Doch auch die EBU, die nun hilf­los zuse­hen muss, wie ihr das Dra­ma um die Ohren fliegt, muss sich die Ver­ant­wor­tung für das Deba­kel mit den bei­den bocki­gen Sand­kas­ten­kin­dern tei­len. Andre­as Bren­ner kom­men­tier­te bereits am Sonn­tag für die Deut­sche Wel­le zutref­fend: “Dabei hät­te die EBU bereits zu Beginn der Vor­be­rei­tun­gen für den Wett­be­werb von Kiew Garan­tien ver­lan­gen müs­sen, dass Kan­di­da­ten aus allen Län­dern in die Ukrai­ne kom­men dür­fen. Zugleich hät­te die Ach­tung ukrai­ni­scher Geset­ze als kla­re Bedin­gung an Russ­land for­mu­liert wer­den müs­sen. Mit die­ser Dop­pel­stra­te­gie wäre die heu­ti­ge Situa­ti­on nicht ent­stan­den und die EBU hät­te Spiel­raum gewon­nen”.

Das waren noch ent­spann­te­re Zei­ten: Dima Bilan in Athen

Gut, hin­ter­her ist man immer schlau­er, aber mit der Sank­ti­ons­an­dro­hung ver­hielt sich die Euro­päi­sche Rund­funk­uni­on tat­säch­lich “wie ein Ele­fant im Por­zel­lan­la­den,” wie Bren­ner kom­men­tiert. “Dabei hät­te Ingrid Del­ten­re Wolo­di­mir Hro­is­man per­sön­lich anru­fen oder gar nach Kiew kom­men kön­nen, um mit ihm zu spre­chen. Dass sie eine ulti­ma­ti­ve For­de­rung schrift­lich stellt, ist zumin­dest unge­schickt”. Und rächt sich nun. Da kaum davon aus­zu­ge­hen ist, dass Russ­land jetzt, wie von der Ukrai­ne gefor­dert, einen ande­ren, unbe­las­te­ten Künst­ler nach­no­mi­niert, wird es wohl dar­auf hin­aus­lau­fen, dass in Kiew ledig­lich 42 Natio­nen an den Start gehen. Oder noch weni­ger, falls tat­säch­lich mos­kau­hö­ri­ge Län­der aus Soli­da­ri­tät mit der Föde­ra­ti­on ihre Teil­nah­me eben­falls kurz­fris­tig zurück­zie­hen, wie Frau Del­ten­re in ihrem Schrei­ben behaup­tet. Ein Desas­ter für die EBU, aus dem kaum noch ein Aus­weg hin­aus­führt. Man kann gespannt sein, wel­che Fol­gen dies noch zei­ti­gen wird. Man kann sich aber auch ent­spannt zurück­leh­nen, denn die Welt wird sich auch mit einem klei­ne­ren Grand Prix wei­ter­dre­hen. Und wie unka­putt­bar der Wett­be­werb ist, stell­te er ja bereits mehr­fach unter Beweis.

In ein paar Jah­ren wird der heu­ri­ge Spuk hof­fent­lich ver­ges­sen sein

3 Comments

  • Dabei hät­te die EBU bereits zu Beginn der Vor­be­rei­tun­gen für den Wett­be­werb von Kiew Garan­tien ver­lan­gen müs­sen, dass Kan­di­da­ten aus allen Län­dern in die Ukrai­ne kom­men dür­fen. Zugleich hät­te die Ach­tung ukrai­ni­scher Geset­ze als kla­re Bedin­gung an Russ­land for­mu­liert wer­den müs­sen. Mit die­ser Dop­pel­stra­te­gie wäre die heu­ti­ge Situa­ti­on nicht ent­stan­den und die EBU hät­te Spiel­raum gewonnen“. 

    Tref­fen­der hät­te man es nicht auf den Punkt brin­gen kön­nen… das mit der Blas­phe­mie über die Prio­ri­tät des ESC-Pro­blems hin­sicht­lich der gene­rel­len Lage zwi­schen Russ­land und der Ukrai­ne hat­ten wir ja Sonn­tag schon! 😉

  • Das ist dann wohl das end­gül­ti­ge Aus für den rus­si­schen Bei­trag nach­dem der Sen­der im Prin­zip nur die Aus­sa­gen der Poli­tik wiederholt.
    Cele­bra­te Exclu­si­on wäre als Mot­to tref­fen­der für die­ses Jahr,
    Aber wie du so schön schreibst “die Welt wird sich auch mit einem klei­ne­ren Grand Prix wei­ter­dre­hen” und die EBU lernt hof­fent­lich etwas für die kom­men­den Jah­re aus die­sem Affentheater.

  • .…hilf­los zuse­hen muss, wie ihr das Dra­ma um die Ohren fliegt” Wun­der­bar formuliert!

    Ich kann nur hof­fen ‚das die EBU nach dem Event eine kla­re und kri­ti­sche Stel­lung zu die­ser ein­sei­ti­gen Ein­mi­schung nimmt und zugibt das dies ein Feh­ler war! Eh sich die Ukrai­ne erpres­sen lässt ‚steigt sie wohl lie­ber frei­wil­lig aus – was ich nach die­sem ESC ver­mu­te. (Die Finan­zie­rungs­fra­ge mal außen vor ..)

    Ich wür­de mir unter die­sen Umstän­den auch nicht öffent­lich ans Bein pin­keln lassen !

    Bleibt nur noch die wirk­lich span­nen­de Fra­ge wel­cher “12 Punk­te an Russ­land Kan­di­dat” noch aussteigt?
    Aser­bai­dschan, Weißrussland ???

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