Julia­ga­te: Ukrai­ne will “kei­ne Kon­zes­sio­nen” machen

Der unse­li­ge Streit um die Teil­nah­me der rus­si­schen Reprä­sen­tan­tin Julia Samoy­l­o­va am Euro­vi­si­on Song Con­test 2017 in Kiew steu­ert auf sei­nen so erwart­ba­ren wie häss­li­chen Show­down zu. Am gest­ri­gen Frei­tag lehn­te der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Paw­lo Klim­kin einer Mel­dung der rus­si­schen Nach­rich­ten­agen­tur TASS zufol­ge auf einer Pres­se­kon­fe­renz im Rah­men eines NATO-Tref­fens in Brüs­sel jed­we­des Ent­ge­gen­kom­men sei­nes Lan­des in die­ser Fra­ge ab: “Die Ant­wort dar­auf ist sim­pel. Kon­zes­sio­nen sind nicht mög­lich, das Gesetz gilt für jeden”. Zuvor war ein Brief der EBU vom 23. März 2017 gele­akt wor­den, in dem die Gene­ral­di­rek­to­rin der in Genf behei­ma­te­ten Orga­ni­sa­ti­on, Ingrid Del­ten­re, den ukrai­ni­schen Pre­mier Wolo­dym­yr Hro­js­man in außer­ge­wöhn­lich har­schem Ton­fall auf­for­dert, sicher­zu­stel­len, dass Samoy­l­o­va trotz des vom Geheim­dienst des Lan­des ver­häng­ten drei­jäh­ri­gen Ein­rei­se­ver­bo­tes am euro­päi­schen Wett­sin­gen in Kiew teil­neh­men kann. Man sei “zuneh­mend frus­triert, in Fakt ver­är­gert,” dass der Euro­vi­si­on Song Con­test als “Werk­zeug in der andau­ern­den Kon­fron­ta­ti­on” zwi­schen den bei­den Staa­ten ein­ge­setzt wer­de, so die im Som­mer die­ses Jah­res aus­schei­den­de EBU-Gene­ral­se­kre­tä­rin, die im Schrei­ben unver­blümt droht, dass die künf­ti­ge Teil­nah­me der Ukrai­ne am Euro­vi­si­on Song Con­test davon abhän­ge, dass man eine zufrie­den­stel­len­de Lösung fin­de. Auch wenn man die Geset­ze des Gast­ge­ber­lan­des ach­te, so lägen der EBU “kei­ne Infor­ma­tio­nen vor, dass Julia Samoy­l­o­va die Sicher­heit der Ukrai­ne bedroht”. In ähn­li­cher Wei­se hat­te sich Frau Del­ten­re bereits ver­gan­ge­nen Diens­tag in einem Inter­view mit dem Schwei­zer Blick geäu­ßert. Ges­tern ver­öf­fent­lich­te eurovision.tv die Start­rei­hen­fol­ge für die bei­den Qua­li­fi­ka­ti­ons­run­den, hier befin­det sich der rus­si­sche Bei­trag, der im zwei­ten Semi star­tet, nach wie vor im Aufgebot.

Die Zeit für eine Lösung läuft ab (UA)

Der ein­sei­ti­ge Druck aus Genf auf das Gast­ge­ber­land sorg­te bereits für schar­fe Kri­tik. So äußer­te Olek­san­dr Khare­bin, der vom öffent­lich-recht­li­chen Sen­der PBC:UA ursprüng­lich als aus­füh­ren­der Pro­du­zent des dies­jäh­ri­gen Wett­be­werbs bestellt wor­den war, bevor er im Febru­ar 2017 gemein­sam mit ande­ren Füh­rungs­kräf­ten des Sen­ders den Bet­tel hin­warf, nach einem Bericht von Euro­voix gegen­über der Deut­schen Wel­le, es gebe kei­ne ver­trag­li­che “Basis, die Ukrai­ne (…) zu bestra­fen”. Das Land sei berech­tigt, sei­ne natio­na­len Inter­es­sen zu schüt­zen. Er fän­de es “merk­wür­dig”, dass eine “kom­mer­zi­el­le Orga­ni­sa­ti­on” einem Staat Vor­schrif­ten machen wol­le, wie die­ser sei­ne öffent­li­chen Funk­tio­nen wahr­zu­neh­men habe. “Der rus­si­sche Markt ist für die EBU extrem wich­tig, wegen der Mit­glieds­bei­trä­ge und des Mil­lio­nen­pu­bli­kums,” so Khare­bin wei­ter. “Jetzt, wo Russ­land die EBU mit ihrer Rück­tritts­dro­hung erpresst, macht die EBU das­sel­be mit der Ukrai­ne”. Mal abge­se­hen davon, dass der Ver­band der euro­päi­schen Rund­funk­an­stal­ten haupt­säch­lich öffent­lich-recht­li­che Sen­der ver­tritt und kaum als “kom­mer­zi­el­le Orga­ni­sa­ti­on” gewer­tet wer­den kann, so sind die Ein­wän­de Khare­bins nicht ganz von der Hand zu wei­sen. Dass die Ukrai­ne Künstler/innen, die auf der annek­tier­ten Krim auf­tre­ten, sank­tio­niert, war spä­tes­tens seit Sep­tem­ber 2016 bekannt – hier hat man es in Genf schlicht­weg ver­säumt, recht­zei­tig zu reagie­ren und auf eine ver­bind­li­che Garan­tie aus Kiew zu drin­gen oder dem Land den Wett­be­werb weg­zu­neh­men, so lan­ge es noch mög­lich war. Was aller­dings den immensen diplo­ma­ti­schen Scha­den, der nun droht, ledig­lich zeit­lich vor­ver­legt hät­te. Kein Wun­der also, dass man sich nicht die Fin­ger ver­bren­nen woll­te, zumal unter die­sen Umstän­den ver­mut­lich auch kein ande­rer Sen­der (außer dem rus­si­schen) die Aus­rich­tung über­nom­men hätte.

Kei­ne Lie­be zwi­schen der Ukrai­ne und der EBU: die­se Zei­ten lie­gen lan­ge zurück

Um so bedröp­pel­ter steht die EBU jetzt da, denn bei aller berech­ti­gen Ver­är­ge­rung über das bocki­ge Ver­hal­ten der bei­den Län­der, die uns nun mit ihren Kon­flikt hin­ein­zie­hen: hier rächt sich das blin­de Fest­hal­ten am Man­tra, dass der Wett­be­werb unpo­li­tisch sei, und das hier­aus fol­gen­de, oft­mals ziem­lich schwam­mig for­mu­lier­te Regel­werk des Wett­be­werbs. Not­wen­di­ge Debat­ten um eine ver­bind­li­che Wer­te­ord­nung, bei­spiels­wei­se über die – zuge­ge­be­ner­ma­ßen extrem dif­fi­zi­le – Fra­ge, ob man Kriegs­par­tei­en oder unde­mo­kra­tisch regier­te Län­der zum Euro­vi­si­on Song Con­test zulässt, wur­den bis­lang offi­zi­ell nie geführt. Fürs Pro­to­koll: ich bin dafür, dass man das tut, aber dann muss man sich auch mit der Fra­ge befas­sen, wie man den mög­li­chen Fol­gen umgeht und wel­che Hand­lun­gen man in wel­cher Form sank­tio­niert. Denn auch, wenn es sich bei dem Wett­be­werb zuerst ein­mal nur um eine TV-Show han­delt: die inter­na­tio­na­len poli­ti­schen Dimen­sio­nen die­ser Ver­an­stal­tung sind immens, wie wir gera­de ein­mal wie­der sehen. Und Khare­bin hat Recht: Frau Del­ten­re wird ihren mar­ki­gen Wor­ten kaum Taten fol­gen las­sen kön­nen, denn für eine Sper­re der Ukrai­ne vom Grand Prix besteht nach mei­ner Kennt­nis aktu­ell kei­ner­lei Hand­ha­be. Auch ihre brief­li­che Mit­tei­lung, etli­che Mit­glieds­sen­der erwäg­ten bereits, dem ESC 2017 in Kiew fern­zu­blei­ben, soll­te Samoy­l­o­va nicht auf­tre­ten dür­fen, muss als eben­so lee­re Dro­hung ver­stan­den wer­den, solan­ge sie kei­ne kon­kre­ten Namen nennt. Am stärks­ten irri­tiert mich jedoch, dass die EBU Russ­land gegen­über nicht eben­so ver­bal mar­kig auf­tritt, denn deren Wei­ge­rung, Jan Ola Sands Ver­mitt­lungs­vor­schlag anzu­neh­men oder eine unbe­las­te­te Reprä­sen­tan­tin nach­zu­no­mi­nie­ren, ist min­des­tens genau­so “inak­zep­ta­bel” wie das Fest­hal­ten der Ukrai­ne am Aus­schluss der Roll­stuhl­fah­re­rin. Die EBU setzt sich damit unver­meid­lich dem Ver­dacht aus, ihr Ver­hal­ten aus­schließ­lich an Ein­nah­men und Ein­schalt­quo­ten aus­zu­rich­ten, wie es sich bereits am → Big-Five-Pri­vi­leg mani­fes­tiert. Und zwar in einer Wei­se, die den Bestand der Show mitt­ler­wei­le nicht mehr sichert, son­dern gefährdet.

Zu Lachen gibt es mitt­ler­wei­le nichts mehr: ESC-Sie­ge­rin Jama­la beim Vor­ent­scheid 2011

[Nach­trag 01.04.2017, 15:30 Uhr]: Heue­te mel­de­te sich auch der stell­ver­tre­ten­de Pre­mier­mi­nis­ter und Vor­sit­zen­de des natio­na­len ESC-Komi­tees, Wjat­sches­law Kyry­l­en­ko, zu Wort und beton­te, dass Russ­land selbst­ver­ständ­lich am Euro­vi­si­on Song Con­test 2017 in Kiew teil­neh­men kön­ne – wenn es denn einen Teil­neh­mer schickt, “der kei­ne ukrai­ni­schen Geset­ze gebro­chen hat”. Kyry­l­en­ko stell­te nach einer Mel­dung von escK­AZ dabei die inter­es­san­te Behaup­tung auf, dass ande­re Mit­glieds­staa­ten der EBU wie “Frank­reich, Deutsch­land, Groß­bri­tan­ni­en oder Polen die glei­che Ent­schei­dung” getrof­fen hät­ten. Er nann­te es “inak­zep­ta­bel”, von sei­nem Land zu ver­lan­gen, dass es die eige­nen Geset­ze “sowie inter­na­tio­na­le Nor­men” miss­ach­ten sol­le, um Russ­land einen Gefal­len zu tun. “Die rus­si­sche Teil­neh­me­rin Julia Samoy­l­o­va hat mit ihrem Auf­tritt auf der annek­tier­ten Krim lei­der gegen ukrai­ni­sche Geset­ze ver­sto­ßen. In Sachen Krim hält sich die Ukrai­ne an die Sicht­wei­se sämt­li­cher inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen, von denen welt­weit kei­ne ein­zi­ge die Anne­xi­on der Krim aner­kannt hat. Wir ver­tei­di­gen daher nicht nur unse­re eige­nen Geset­ze, son­dern brin­gen auch die Nor­men des inter­na­tio­na­len Rechts zur Anwen­dung,” so Kyry­l­en­ko. Soll­te Russ­land einen neu­en Reprä­sen­tan­ten ernen­nen, wer­de die Ukrai­ne für einen freund­li­chen Emp­fang und die Sicher­heit der Dele­ga­ti­on in Kiew garan­tie­ren. Andern­falls wer­de der Euro­vi­si­on Song Con­test ledig­lich mit 42 Teil­neh­mer­län­dern stattfinden.

Rus­sia good­bye”: klei­ne Sti­che­lei­en sind ja noch lus­tig. Ein­rei­se­ver­bo­te nicht mehr.

4 Comments

  • Dann sol­len die Rus­sen Ser­gey ein­fach noch­mal mit dem im ver­gleich zum letz­ten Jahr bes­se­ren Lucky Stran­ger schicken!

  • Es hat ja schön längst der­lei poli­ti­sche Verwirrungen/Rückzüge/Anfeindungen beim ESC gege­ben. Bis­lang war dann immer ein Teil­neh­mer, der sei­ne Pro­vo­ka­ti­on ins­ge­heim ein­ge­stand und unter faden­schei­ni­gen Grün­den den Bei­trag zurück­zog oder Tex­te oder Sänger/innen aus­tausch­te. Die­ses Mal las­sen es die Betei­lig­ten eska­lie­ren. Zwei Beknack­te plus EBU – also drei.
    Ich weiß nicht, ob es recht­lich mög­lich ist, aber ich wür­de den ESC zur zeitlich/räumlich begrenz­ten Diplo­ma­ten­zo­ne erklä­ren und die Regeln für den Inhalt der Songs durch­zie­hen ( ist ja eh sehr bieg­sam…) und dann kön­nen und sol­len Alle mit­ma­chen kön­nen. Viel­leicht ein guter Vor­schlag für die EBU. Für die­ses Jahr ist das Kind in den Brun­nen gefal­len und offen­sicht­lich auch schon ersof­fen. Wir kön­nen die Poli­tik nie ganz aus­klam­mern aber die Num­mer die­ses Jahr ist wirk­lich trau­rig und unnö­tig. Ver­ant­wort­lich sind alle Betei­lig­ten und krie­gen ein Pfui-Bäh-Würg! Ich will mich auf die Mucke und die tol­len oder schrä­gen Auf­trit­te freu­en. Für eine Woche gehört der gan­ze Welt­po­li­tik­scheiss mal aus­ge­he­belt und ger­ne auch per­si­fliert. Es fehlt hier defi­ni­tiv an Gelas­sen­heit. So wich­tig muss das nun wirk­lich nicht sein, wer wo, wann oder wie beim ESC per­formt – außer natür­lich für das gemein­sa­me zele­brie­ren einer wun­der­ba­ren Woche vol­ler Musik, Tanz, Froh­sinn, Tra­gik und frei­wil­li­ger sowie eher unge­plan­ter Komik. Und tra­gisch und auch pein­lich isses jetz ja auch. Bravo!
    Das las­se ich aber ganz eigen­nüt­zig ver­puf­fen und freue mich auf das hof­fent­lich gute Abschnei­den mei­ner Favo­ri­ten (woher auch immer) und auf unter­halt­sa­me und auf­re­gen­de Tage in der ESC Woche.

  • Ist wirk­lich irre, wie Para­gra­fen­rei­ter und bocki­ge Nomi­nie­rungs­ver­ant­wort­li­che (aber nicht nur die­se Spe­zi­es ) die Vor­freu­de auf den ESC trü­ben. Sie haben wirk­lich nicht den tie­fe­ren Sinn des Events ver­stan­den, dass euro­päi­sche Natio­nen wenigs­tens zu einer Gele­gen­heit im Jahr etwas gemein­sam zele­brie­ren können.
    Das dies­jäh­ri­ge Mot­to “Cele­bra­te diver­si­ty” wirkt in die­sem Zusam­men­hang irgend­wie pas­send und deplat­ziert zugleich.

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