Ein einziger Song in Landessprache stand zur Wahl im heutigen Finale der armenischen Eurovisionsvorentscheidung Depi Evratesil, und er siegte mit den Höchstwertungen der Jury und des Televoting. ‘Qami’ (‘Wind’) heißt das Stück, es ist eine ziemlich klassische, leicht düstere, sachte beginnende und sich langsam, aber stetig ins Dramatische steigernde Ballade, die ab der Zwei-Minuten-Marke so richtig aufdreht. Dann kommt ein gospeliger Chor (hier offensichtlich vom Band) hinzu, und der vollbärtige, mit einem schwarzen Gladiatoren-Wams aus Plaste angetane Sänger Sevak Khanagyan beschränkt sich ab dieser Stelle vollständig darauf, mit voller Inbrunst immer und immer wieder nach seinem bereits vor einer Viertelstunde bestellten, aber noch nicht gebrachten Tee zu rufen: “Kamiiiil, Kaaaa-haa-miiiiiiiil!”. Nervt aber auch, warten zu müssen! Sevak, soviel verrät das Netz, wurde vor 30 Jahren in Armenien geboren, zog mit 15 mit seiner Familie nach Moskau, wo er durch die Teilnahme an der Castingshow The Voice erste Bekanntheit erlangte. Den Durchbruch schaffte er aber mit dem Sieg bei der ukrainischen Ausgabe von X‑Factor.
Batman lebt!
Zu den Favoriten zähle im Vorfeld auch Kamil Show, eine knallbunt aufgebrezelte Trümmertranse. Die hatte mit dem fluffigen Sommerhit ‘Puerto Rico’ einen gar nicht mal so schlechten Strand-und-Sonne-Schlager im Gepäck, der ohne ihr Zutun sicherlich stärker überzeugt hätte. Denn Kamils Aufgabe beschränkte sich auf Mit-weit-aufgerissenem-Mund-Herumstehen, hyperaktives Herumhampeln und lippensynchrones Mimen, während ihr dreiköpfiger Begleitchor den Song für sie sang. Und das wirklich ausgesprochen gut machte. Leider aber meinte Kamil, zwischendrin darüber rappen zu müssen wie seinerzeit Dustin the Turkey (→ IE 2008) bei ‘Irelande Douze Points’. Man konnte an dieser Stelle förmlich sehen, wie den Juroren die Stifte aus der Hand fielen und sie den Beitrag vom “vielleicht”-Stapel auf den mit der Überschrift “unter keinen Umständen” verschoben. Da half auch der zweite Platz im Televoting nicht mehr, was die offensichtlich extrem aufmerksamkeitssüchtige Drag-Queen, die im Green-Room auch während der Interviews der anderen Teilnehmer/innen ohne Unterlass ihr Programm abzog, mit einem gespielten Ohnmachtsanfall quittierte. Wie nervig!
Ohne die kribbelbunte Faschingstranse hätte das richtig Spaß gemacht: die Kamil Show.
Ein bisschen tragisch die Darbietung des armenischen X‑Factor-Teilnehmers Gevorg Harutyunyan, an dem offensichtlich ein sehr graziler und talentierter Ballettänzer verloren ging. Ein Sänger hingegen nicht. Seine hoch melodramatische Musicalnummer ‘Stand up’ setzte er so komplett in den Sand. Dann gab es noch eine pseudo-coole Rockband namens Nemra, die prätentiös “No Show. Enjoy the Music” auf die LED-Screens schrieb, dennoch aber eine Show unter Zuhilfenahme einer Lupe abzog. Aber, wie sie selbst sangen: ‘I’m a Liar’. Eine billige Disconummer beschloss das ansonsten völlig vergessenswürdige Line-up. Allerdings zeigte deren Interpretin, Asmik Shiroyan, sich stimmlich noch nicht einmal ihren wenig fordernden Song gewachsen. Den einzigen erfolgversprechenden Depi-Evratesil-Beitrag, Tamar Kaprelians eingängigen Ethno-Elektro-Stampfer ‘Poison (Ari Ari)’ hatten die Armenier/innen bereits im zuvor abgehaltenen Semifinale aussortiert. Die Amerikanerin, 2015 noch Teil des Sextetts Genealogy, nahm es unentspannt: sie verglich sich auf Twitter mit Nancy Kerrigan, der US-Eiskunstläuferin, auf die 1994 ihre Konkurrentin Tonya Harding einen Angriff verüben ließ. Äh, sicher, Hase.
Auch Tamars Begleittänzern legte man bereits Maulkörbe an. Ein Unterdrückungsstaat, dieses Armenien!
Vorentscheid AM 2018
Depi Evratesil. Samstag, 25. Februar 2018, aus Jerewan, Armenien. 10 Teilnehmer/innen. Moderation: .# | Interpret | Titel | TV | Jury | Gesamt | Platz |
---|---|---|---|---|---|---|
01 | Sevak Khanagyan | Qami | 12 | 12 | 24 | 01 |
02 | Gevorg Harutyunian | Stand up | 05 | 03 | 08 | 07 |
03 | Lusine Mardanian | If you don’t walk me home | 01 | 07 | 08 | 08 |
04 | Kamil Show | Puerto Rico | 10 | 02 | 12 | 04 |
05 | Amaliya Margaryan | Waiting for the Sun | 07 | 08 | 15 | 03 |
06 | Nemra | I’m a Liar | 08 | 10 | 18 | 02 |
07 | Mariam Petrosian | Fade | 04 | 05 | 09 | 05 |
08 | Mger Armenia | Forever | 06 | 01 | 07 | 09 |
09 | Robert Koloyan | Get away with us | 02 | 04 | 06 | 10 |
10 | Asmik Shiroyan | You & I | 03 | 06 | 09 | 06 |
“Qami” ist ein würdiger Vertreter Rayatans ind Lusitanien. Was will der ESC-Fan mehr ??? Schöne Melodie, ein Recke mit Stimme und ganz bewußter Gesang in Landessprache (laut eines Interviews). Für mich einer der besten Beiträge des Landes beim ESC. Ich drücke die Daumen, 8 von 10 Punkten.
Zu Kamil Show: Fand ich in keinster Weise originell oder unterhaltsam, sondern schlichtweg billig. Nur interessant zu beobachten, daß selbst in sehr konservativen Ländern solche Acts beim Publikum ziehen.…..
Was für ein geiler Mann … das Lied? Wen interessiert, bei so einem Leckerbissen, denn bitteschön das Lied ;)?
“Poison (Ari Ari)” wäre schon cool gewesen – Bollywood auf Armenisch ;).
Songs in Landessprache haben bei mir ja immer einen Bonus. Fragt sich nur ob dieser jetzt nicht doch noch auf englisch umgemodelt wird. In dieser Version jedenfalls eine angenehme Überraschung nach all dem Schrott, den ich den letzten Wochen gehört habe.