Sie haben schon einen besonderen Sinn für Humor, die Belarussen. Einen großen nationalen Vorentscheid aufzuziehen mit zehn Teilnehmer/innen und noch einmal zehn Interval Acts, und das alles, obwohl der Beitrag für Lissabon bereits lange vorher feststand: sicherheitshalber mit zwei Mal 12 Punkten im Tele- und Juryvoting siegte heute Abend erwartungsgemäß der in Moskau lebende Ukrainer Nikita Alekseev mit dem umstrittenen Titel ‘Forever’. Mit dem bewarb er sich zunächst erfolglos beim Vorsingen in seinem Herkunftsland und wechselte, als er dort abblitzte, nach Minsk. Das sorgte für erheblichen Unmut bei den weißrussischen Konkurrent/innen; sechs von ihnen drohten mit Boykott (und eine zog es tatsächlich durch), falls er nicht ausgeschlossen würde, da er den Song in einer russischen Sprachfassung bereits vor dem 1. September 2017 live auf Konzerten gesungen habe. Alekseevs Produzenten schraubten daraufhin so lange an dem Beitrag herum, bis er sich genügend von der beanstandeten Live-Version unterschied. Und trieben ihm dabei auch noch das letzte bisschen an melodischer Harmonie aus.
Wenn es in Lissabon schon keine LED-Wand gibt, dann bringt Alekseev halt eine LED-Jacke mit.
Und so jaulte sich der Ukrainer mit rettungsloser Atonalität durch die (angeblich) englischsprachige Fassung seines musikalisch entstellten Machwerks und nölte ständig etwas von “Fore-waaaaah”, was in etwa so klang, als ob irgendein Fiesling gerade einen Kater stranguliert. Doch das spielte keine Rolle: etwas über 5.000 Anrufe – fragt sich, wie viele davon aus einem Callcenter? – reichten für die Douze Points in der Publikumsabstimmung, und die Jury gab nach anschließender, sehr ausführlicher Beratung zu niemandes Überraschung ebenfalls ihr Plazet. Wobei die extrem lange Überbrückungspause zwischen der Verkündung des Televoting-Ergebnisses und der Siegerehrung vermutlich nötig wurde, weil die um ihre Bakschisch-Einforderungsmöglichkeiten bei den Teilnehmer/innen gebrachten Juroren vergeblich versuchten, mit dem Sender eine finanzielle Kompensation auszuhandeln. Den zweiten Platz hinter Alekseev belegte die Unverdrossene Gunesh Abasova, die es neben ihrer Türkvizyons-Teilnahme seit gefühlten Jahrzehnten beim weißrussischen Vorentscheid versucht und trotz der überzeugendsten stimmlichen Leistung des Abends auch heuer wieder das Nachsehen hatte.
Durfte zum Trost den Whitney-Houston-Gedächtnispreis für das langgezogenste “Eeeeeiiiiiii” seit dem ‘Bodyguard’-Titelsong mit nach Hause nehmen: Gunesh.
Beim Publikum landete sie mit dem Geständnis ihrer ewigen Feuchte (“I won’t dry”) – was zumindest ein bisschen den pottenhässlichen Umstandsmoden-Wintermantel erklärte, in den sie sich hüllte – allerdings noch hinter dem Elektro-Experimental-Duo Shuma, das an seinem Wettbewerbsbeitrag ‘Hmarki’ ebenfalls Änderungen vornehmen musste, da es im Original Passagen eines alten belarussischen Volksliedes enthielt. Die bereinigte Version klang dann nochmals experimenteller als die bei den Auditions vorgestellte Fassung und wäre wohl selbst für die Eesti Laul zu sperrig gewesen. Keine Unbekannte auch die Polin Olga Schimanskaja alias Napoli, die ebenfalls über Türkvizyons-Erfahrung verfügt. Ihr Sieg hätte eine diplomatische Krise auslösen können, klang ihr Titel ‘Chasing Rushes’ dank osteuropa-typischer Aussprache ziemlich unmissverständlich nach “Chasing Russians”, was selbst im TV-Studio zu Minsk für pikierte Gesichter im Publikum sorgte. Kein Wunder, dass sie und ihre beiden Chorsängerinnen sich anfänglich hinter schwarzen Augenmasken versteckten und mit einem Trickkleid weitere Verwirrung zu stiften versuchten.
Nur so als Tipp: da stimmt was mit Euren Zahnspangen nicht. Sucht Euch mal einen anderen Kieferorthopäden.
Dass die Weißrussen über einen besseren Musikgeschmack verfügen als die bereits erwähnten Esten, belegte schließlich der letzte Platz für das furchbare Popera-Trio Adagio. Die drei jungen Tumore schafften es allerdings noch nicht einmal, auch nur ansatzweise synchron zu singen. Von der Abwesenheit eines als “Lied” zu qualifizierenden Beitrags erst gar nicht anzufangen. Der Farce die Krone auf setzte schließlich das Engagement von Angelica Pushnova (→ Vorentscheid 2017) für das Pausenprogramm. Und zwar mit ihrem aktuellen Song ‘Fighting for Love’, einem erfreulich uptemporären Qualitätstitel aus der eurovisionären Hit-Schmiede von Vladimir Graić (‚Molitva‘, RS 2007) und Charlie Mason (‚Rise like a Phoenix‘, AT 2014). Mit dem sie eigentlich auch zum Wettbewerb antreten wollte, von der Vorauswahl-Jury aber schnöde zurückgewiesen wurde. Kein Wunder: das textlich filigrane und musikalisch eingängige Lied hätte Alekseev am Ende noch gefährlich werden können. Also räumte man sie lieber gleich ganz aus dem Weg – da überlässt man in Europas lustigster Diktatur nichts dem Zufall.
Der indignierte Blick aus dem Zuschauerraum bei Minute 2:37 – großes Kino!
Und so darf sich nun eben, wie gewünscht, der ehemalige Junior-ESC-Teilnehmer Alekseev in Lissabon für Weißrussland das sichere Final-Aus erjodeln. Die Konkurrenten wird’s freuen!
Vorentscheid BY 2018
Samstag, 16. Februar 2018, aus den BTRC-Studios in Minsk, Weissrussland. 10 Teilnehmer/innen. Moderation: Teo und Olga Ryzhikova.# | Interpret | Titel | TV | Jury | Gesamt | Platz |
---|---|---|---|---|---|---|
01 | Adagio | You and I | 01 | 01 | 02 | 10 |
02 | Alekseev | Forever | 12 | 12 | 24 | 01 |
03 | Shuma | Hmarki | 10 | 04 | 14 | 03 |
04 | Napoli | Chasing Rushes | 07 | 06 | 13 | 04 |
05 | Anastasia Malashkevich | World on Fire | 05 | 07 | 12 | 07 |
06 | Gunesh Abasova | I will not cry | 08 | 06 | 14 | 02 |
07 | Radio Waves | Subway Lines | 02 | 10 | 12 | 06 |
08 | Alen Hit | I do not care | 04 | 02 | 06 | 09 |
09 | Lexy | Ain’t you | 03 | 04 | 07 | 08 |
10 | Kirill Hood | Déjà vu | 08 | 05 | 13 | 05 |

Wie jetzt, es gibt keine LED-Wand in Lissabon?
Wo war denn Alekseev beim JESC dabei?
Das nostalgische Ostpop-Lied mag ich sogar, die gesangliche Leistung war allerdings ein Stich ins Herz. 🙁
@porsteinn
geht mir genauso, schade dass es in Lissabon so ziemlich sicher gegen die Wand fährt wenn nicht ein Wunder geschieht…
Dachte ja der Alekseev wir unterschätzt, aber ich hab ihn wohl eher überschätzt nach dem Auftritt
Puuuuh, da ziehen sich die 3 Minuten aber wie ein stundenlang gekauter Bubble-Gum. In einem solchen Fall suche ich immer verzweifelt die Skip-Taste…
Irgendwie klingt es fast wie eine Parodie. Musikalisch könnte es glatt aus dem Mülleimer von Dieter Bohlen stammen und die Weißrussen haben sich erbarmt. Der Gesang ist quäkig und die Aussprache ätzend. Wegen des Unterhaltungswertes werte ich noch mit 1/10, nur Malta noch schlechter.
Na immerhin hat sich weissrussland in der wett-rangliste auf platz 9 verbessert.DD