Ähnlich wie in der Ukraine verlor auch im benachbarten Ungarn gestern Abend beim dortigen Eurovisionsvorentscheid A Dal die machtbewußte Jury den bis zuletzt eisern geführten Kampf gegen den Willen des Publikums. Allerdings mit einem zumindest musikalisch deutlich erfreulicheren Ergebnis. Die mutigen Magyaren schicken nämlich mit der von den Musikexperten bei Wiwibloggs als “Post-Hardcore-Band” bezeichneten Kapelle AWS fünf sehr laut aufspielende und herumschreiende, ausgesprochen kernige Buben. Mit leider arg kryptofaschistisch anmutenden Popper-Haarschnitten, so dass man sich spontan zunächst fragt, ob das Band-Akronym für “Amazon Web Services” oder doch eher für “Aggressive White Supremacists” stehen mag. Da sie auf ungarisch singen, hilft nur ein Blick auf die Lyrics ihres Titels ‘Viszlát Nyár’ (‘Tschüss, Sommer’) weiter: augenscheinlich ein harmloser Trennungsschlager, in welchem der Protagonist seine Sommerliebe in den Wind schießt, weil sie nicht gekommen sei (interpretieren Sie das, wie Sie möchten!). Weswegen man dabei so brüllen muss, erschließt sich zwar nicht, es macht aber dennoch Spaß.
Eine interessante Kombination: eine klassische 80erjahre-Popper-Mähne und ein brutal gegröhlter Metal-Schlager.
Zumal die Jungs dabei mit zwei essentiellen Eurovisionszutaten nicht geizen: einer klassischen Melodie nämlich und, man mag es kaum glauben, einer amtlichen → Rückung an der vorschriftsmäßigen Stelle, bei 2 Minuten 30! Damit liegen sie, trotz fehlender Masken, gar nicht so weit entfernt von Lordi (→ FI 2006) und ihrem siegreichen ‘Hard Rock Hallelujah’. Mit dem Unterschied, dass die Ungarn – mit Ausnahme des etwas teiggesichtigen AWS-Frontmanns – im Unterschied zu den maskierten finnischen Monstern ausgesprochen schmuck anzuschauen sind. Was insbesondere, wie eigentlich fast immer, für den Drummer des Quintetts gilt. Dennoch hätten die Juroren den durchaus chancenreichen Beitrag beinahe verhindert: in der ersten Abstimmungsrunde des gestrigen A‑Dal-Finales, wo sie unter den letzten acht Liedern vier herauszupicken hatten, über welche dann gnädigerweise das Publikum abstimmen durfte, schafften es AWS mit mageren acht Pünktchen gerade noch so eben ins Superfinale. Juryliebling Gergely Dánielfy kassierte für seine geigengetränkte Schmalzballade ‘Azt mondtad’ (‘Du sagtest’) die dreieinhalbfache Menge an Panel-Stimmen.
Was für ein Schmachtlappen!
Einen weiteren Schönling, nämlich Tamás Horváth, verhinderte die Jury allerdings sehr effektiv, in dem sie ihm einfach überhaupt keine Punkte zukommen ließ und dem Publikum damit keinerlei Gelegenheit gab, über ihn und seine dezent ethnotisierte Pop-Nummer ‘Meggyfa’ (‘Kirschbaum’) abzustimmen. Doch gegen die in den klassischen Mainstream-Medien stets stiefmütterlich behandelten Metal-Fans, die sich bekanntlich nur zu gerne konspirativ zusammenrotten, wenn es gilt, einen der ihren bei einem Wettbewerb durchzuboxen, hätte Horváth, der sich von zwei ziemlich albern herumhüpfenden Tänzern mit wagenradgroßen Hüten begleiten ließ, wohl ohnehin den Kürzeren gezogen. Die einzige ernsthafte Konkurrenz für AWS räumte die Jury ebenfalls hilfreich zur Seite: die vergleichsweise erwachsen wirkenden Leander Kills scheiterten mit zwei Zählern weniger am Superfinal-Einzug und konnten ihren Mitbewerbern somit nicht mehr gefährlich werden.
Tamás Tattoos sahen allerdings aus, als habe seine achtjährige Nichte sich auf ihm mit schwarzem Edding ausgetobt.
Vorentscheid HU 2018
A Dal. Samstag, 24. Februar 2018, aus Budapest, Ungarn. Acht Teilnehmer/innen. Moderation: Freddie.# | Interpret/in | Titel | Jury | TV | Platz |
---|---|---|---|---|---|
01 | Zsolt Süle | Zöld a május | 00 | x | 07 |
02 | Gergely Dánielfy | Azt montad | 36 | – | 02 |
03 | Gábor Heincz Biga | Good Vibez | 04 | x | 06 |
04 | Leander Kills | Nem szól harang | 06 | x | 05 |
05 | AWS | Viszlát Nyár | 08 | 01 | 01 |
06 | Viktor Király | Budapest Girl | 30 | – | 03 |
07 | yesyes | I let you run away | 28 | – | 04 |
08 | Tamás Horvárth | Meggyfa | 00 | x | 07 |

Ich liebe den song, aber AWS hatten 4 backing singers hinter der Bühne bei A Dal, besonders für den chorus und am Ende vom Song (3 frauen und 1 Mann der den leadsingers beim schreien in der bridge unterstützt hat). Nun sind sie bereits 5 und anscheinend kann nur einer singen.
Bin mal gespannt wie sie das lösen werden und wie sich das dann in Lissabon anhört.
hier mit den backings: https://www.youtube.com/watch?v=rpDQkoejZoQ
PuH, ist ja ganz schön wütend, der Kleene. Hoffentlich gibts im greenroom Snickers.
Man möge mir bitte mal erklären, wo sich in dem rumgebrülle die Melodie versteckt. Ich kann da beim besten Willen nix entdecken. Hört sich für mich an, wie wenn man einem Zweijährigen sein Lieblingsspielzeug wegnimmt.Aber dank der vielen Ostblockstimmen wird das wohl seinen Weg gehen – leider 🙁
Habe irgendwo gelesen, es ginge um den verstorbenen Vater (nicht eine verflossene Liebe). Also gleiches Thema wie bei M. Schulte. Wer hat das nun besser umgesetzt? Tja.…
Tamás Horvárth hätte im Superfinale durchaus gefährlich werden können, weil er zusammen mit AWS im Televoting der Vorrunde und des Halbfinals die höchsten Punkte bekommen hat. Wahrscheinlich wusste die Jury, dass Herr Orban nicht 2 Jahre in Folge von einer Romanummer vertreten werden will. Ein ungarischer Freund hat mir auch gesagt, dass die Tänzer traditionell waren und perfekt zu dieser Art Musik passen. Ist aber auch egal: Tamás und AWS waren bei mir auf einem geteilten ersten Platz.
Nicht mein Geschmack aber ich bin den ungarischen Televotern unendlich dankbar für die Abwechslung!
Schön, daß sich die ungarischen Zuschauer nach dem Jury-Skandal um “Meggyfa” wenigstens etwas getraut haben und nicht etwa diese Belanglosigkeiten namens “Budapest Girl” gewählt haben (die war etwa auf dem Niveau von Spanien 2017). Für die Abwechslung bin ich auch froh – endlich mal wieder ein Beitrag weit entfernt vom ESC-Fan-gefälligen Mainstream. Am Anfang finde ich es durchaus erträglich, es klingt fast wie Die Toten Hosen auf Ungarisch. Ab etwa der zweiten Minute wird es ein wenig anstrengend.…. Aber für den Mut werte ich mal mit 6/10.