Da kommt eine spannende Grundsatzdebatte auf uns zu: wie weit darf der Einsatz von Technik beim Eurovision Song Contest gehen? Am gestrigen Abend gewann die 25jährige Wuchtbrumme Netta Barzilai mithilfe der Jury ziemlich knapp die israelische Grand-Prix-Castingshow HaKokhav Haba, hierzulande gefloppt unter dem Titel Rising Star. Nettas Markenzeichen in der Show war der exzessive Einsatz eines Loopers, also eines manuell gesteuerten technischen Trickkästchens, mit dessen Hilfe man Instrumente, Geräusche oder die eigene Stimme aufnehmen, elektronisch beliebig bearbeiten (sprich: mit Hall unterlegen, verstärken, verdoppeln, verfremden) und in Dauerschleife gewissermaßen als selbstgemachten Begleitchor oder musikalische Untermalung zum eigenen Live-Gesang abspielen kann. Diese relativ preisgünstigen Geräte erfreuen sich seit Jahren zunehmender Beliebtheit, besonders virtuose Anwender/innen sind damit in der Lage, acapella und live ein Lied mit kompletter Instrumentierung und allen Finessen zu bauen. Netta beeindruckte bei HaKokhav Haba dank des Loopers mit sensationellen Bearbeitungen von Hits wie ‘Rude Boy’ oder ‘Gangnam Style’.
Erklärt mehr als tausend Worte: Netta führt der israelischen Jury die Einsatzmöglichkeiten des Loopers vor (Repertoirebeispiel).
Nun höre ich die Lordsiegelbewahrer des Grand-Prix-Wesens bereits aufheulen, dass beim Eurovision Song Contest live gesungen werden muss. So stellt sich die Frage, inwieweit der Einsatz eines Loopers das Kriterium “live” noch erfüllt oder schon nicht mehr. Denn die Bearbeitung der Stimme, beispielsweise durch Zugabe von Hall oder eines Delays, also eines zeitverzögerten Echo-Effektes, kommt auch beim Grand Prix bereits seit Anbeginn der Zeitrechnung zum Einsatz. Selbst das elektronische Verfremden ist erlaubt. Das hier verwendete Trickkästchen visualiert diese Vorgänge im Grunde genommen nur, treibt die Möglichkeiten allerdings auf die Spitze. So wird vermutlich in Kürze die Frage auf die EBU zukommen, wie sie es mit dem Einsatz dieser Technik hält. Auch wenn Nettas ESC-Beitrag noch nicht feststeht: die komplette Castingshow diente, anders als beispielsweise die spanische Schwester Operacíon Triunfo, nur zur Ermittlung der Interpretin. Doch auch falls die EBU den Looper nicht zulässt, ist Polen nicht verloren: die adorable Netta kann auch ohne Technik, wie sie mit einer Akustiv-Version des israelischen Eurovisionsklassikers ‘A Ba Ni Bi’ (1978) eindrucksvoll unter Beweis stellte. Vor allem aber geht von der quirligen Künstlerin eine dermaßen ansteckende Fröhlichkeit und Energie aus, dass wir uns auf ihren Eurovisionsauftritt auf jeden Fall freuen können.
Ich wäre sehr dafür, dass Netta die Jungs ihrer Impro-Band The Experiment mit zum Song Contest bringt. Aus Gründen (Repertoirebeispiel).

Die sollen singen auf der Bühne und nicht an irgendwelchen Geräten herum hantieren – sonst kann man gleich alles freigeben was Töne produziert.…obwohl bei manchen Sängern wäre ein Stimmenverbesserungsgerät ein Segen 😀