Das Beste zum Schluss: an einem ziemlich durchwachsenen Eurovisions-Supersamstag unterhielt das moldawische Fernsehen TRM mit einer herausragenden O Melodie pentru Europa (OMpE), bei der – wie wir das von dem rumänischen Bruderstaat gewohnt sind – mal wieder ein Trash-Highlight das nächste jagte. Angefangen vom erwartbaren Siegersong: dass ‘My lucky Day’ von den DoReDos den Vorentscheid gewinnen würde, stand schon im Vorfeld fest. Stammt das uptemporäre, schlagerhafte Machwerk doch aus der Feder der barocken russischen Komponistentunte Phillip Karkorov (→ RU 1993). Und der verfügte über genügend Knete, um dem aus einem Dörfchen im abtrünnigen Transnistrien stammenden Trio sowohl eine mit militärischem Drill exekutierte, effektive Choreografie zu spendieren, als auch die Juroren zu überzeugen, die bis auf einen einzelnen, der anscheinend das Memo oder den diskreten Umschlag nicht erhalten hatte, geschlossen für die DoReDos stimmten. Auch beim Televoting überließ man nichts dem Zufall: die drei kassierten gut zehn mal so viele Anrufe (!) wie der Zweitplatzierte.
https://youtu.be/KYq1k5Egq54
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Niedlichste im ganzen Land? Sergiu Mita, das DoReDos-Bärchen, ist es!
Nun beteiligen sich in dem finanziell eher nicht auf Rosen gebetteten Land ohnehin traditionell sehr wenige Menschen am Televoting: die Letztplatzierte Viorela erhielt gerade mal 25 Anrufe, was bedeutet, dass wohl noch nicht mal sämtliche Familienangehörigen für sie zum Hörer griffen. Da hat jemand wie der in Chisinau persönlich anwesende, ehrgeizige Kirkorov natürlich leichtes Spiel. Um so trauriger, dass die DoReDos für ihre Eurovisionsteilnahme zuerst ihre Seele an den Teufel verkaufen mussten, gehören ihre weitestgehend selbst geschriebenen OMpE-Beiträge von 2015 und 2016, ‘Maricica’ und ‘Funny Folk’, doch zu den Juwelen meiner Perlen-der-Vorentscheidungen-Schatztruhe! Da passte es, dass sich das schmucke Bärchen Sergiu Mita und sein Bandkollege Eugeniu Andrianov in triste schwarze Anzüge warfen anstelle der sonst so gern vorgeführten farbenfrohen Folklore-Strickwaren. Dessenungeachtet: Spaß macht die mit transportablen Spiegeln und drei zusätzlichen Tänzern wohldurchdacht präsentierte Show dennoch, mit der das Land spielend an sein gutes Vorjahresergebnis anschließen können sollte.
Dagegen wirkt selbst das diesjährige spanische Pärchen noch progressiv: Bella und Luna sülzen sich die Hucke voll.
Interessanterweise beschritt der Sender TRM beim Zusammenstellen des OMpE-Line-Ups den umgekehrten Weg, den die EBU seit einigen Jahren beim Song Contest geht: nicht möglichst abwechslungsreich gestaltete man die Liedfolge, sondern so homogen, wie es gerade ging. Auf eine dröge Ballade folgte zugleich die nächste, rockige Songs gruppierte man gemeinsam, Folkloristisches ebenso. So startete von Position 3 aus beispielsweise das hemmungslos schmachtende ‘Moments’ des Duos Bella Luna, eine dermaßen altmodisch schleimtriefende Pärchenballade, wie sie sich heutzutage nur noch die Osteuropäer/innen trauen. Im Anschluss daran platzierte TRM das nicht minder schamlos schnulzige, von seiner Interpretin Anna Timofei allerdings kreischend schief in den Orkus gesungene ‘Endlessly’, einer von gleich zwei moldawischen Vorentscheidungsliedern aus der Feder der notorischen schwedischen Persson-Schwestern, die bei gleich beiden Nummern als Chordamen mit auf der Bühne standen. Bei dem zweiten Ylva-&-Linda-Song handelte es sich um den bislang schlechtesten Beitrag der OMpE-Dauerteilnehmerin Doinița Gherman, ‘Dance in Flames’.
https://youtu.be/fpdCm06H9Yk
Trank offenbar vor ihrem Auftritt literweise Red Bull: Doinița.
Das überzeugte leider weder musikalisch noch inszenatorisch: die bemüht dauergrinsende Doinița schmückte sich mit silbernen Flügelchen, ihre Komponistinnen mit albern bunten Röckchen und die beiden überflüssigen Tänzerinnen mit langen Wedeltüchern. Und dann stand da noch ein in silberner Rettungsfolie eingewickelter Klops mit auf der Bühne, der sich pünktlich zum Wechsel von unsicherem Englisch auf harmonischeres Rumänisch daraus befreite: ein mit Goldlack angesprühter Bodybuilder mit beeindruckenden Muskeln und einem ausgesprochen eng sitzenden Höschen, in das er sich entweder noch einen Doppelpack Tennissocken gestopft hatte – oder aber die Menschen solchen Ausmaßes sonst üblichen Steroide hatten bei ihm noch nicht ihre gemächtverkleinernde Wirkung entfaltet. Jedenfalls tanzte unser moldawischer Hulk dann dergestalt roboterhaft, dass es schmerzte, zuzuschauen. Womit sich mal wieder beweist: wenn das Ausgangsmaterial nichts taugt, nutzt jegliche noch so billige Anbiederung an die Kernzielgruppe nichts.
Be sure to wear / some Flowers in your Hair: Nicoleta.
Deutlich besser, weil organischer, wollte da schon der hoch repetitive Lateinamerika-Schlager ‘La Esencia del Sur’ (‘Die Essenz des Südens’) gefallen, der aus einer kurzen rumänischen Einführungsstrophe und gefühlt sechshundert Wiederholungen des spanischen Refrains bestand. Die Interpretin Nicoleta Sava channelte dazu ihre innere Achtzigerjahre-Madonna, schmiss sich in einen roten ‘La Isla Bonita’-Gedächtnisfummel, steckte sich einen marienhaften Blumenkranz ins Haar und ließ sich von mehreren tanzenden Zorros begleiten. Simpel und altmodisch, aber effektiv. Eine spektakuläre Performance lieferte hingegen die X‑Factor-Teilnehmerin Vera Țurcanu ab, die sich die meiste Zeit hinter einer riesigen, mit schwarzen Spanngurten bestückten Matratze versteckte, während ihr Körperdouble und ein halbnackter Akrobat auf besagter Bettstatt die ausgefallensten Verrenkungen vollführten. Nein – nicht was Sie altes Ferkel jetzt wieder denken: völlig jugendfreie Turnübungen natürlich!
https://youtu.be/9gL9a1TBKxQ
IM Horch & Guck: Vera und ihr Tänzer.
Veras Double bewegte dazu lippensynchron zu ihrem Gesang den Mund, und erst, als man anfing, sich zu wundern, dass man gar kein Mikrofon sah, sprang die Sängerin aus ihrem Versteck hervor und gesellte sich zu dem Duo. Das alles lenkte jedoch nicht genügend von ihrem furchtbaren Song ‘Black Heart’ ab, der dank großzügiger Jury-Liebe völlig unverdientermaßen auf dem zweiten Platz landete. Den unfreiwillig lustigsten Auftritt des Abends lieferte jedoch der an letzter Stelle startende Ruslan Tsar ab, ein offensichtlich gut gebotoxter Mittfünfziger in völlig unangemessen jugendlichen Klamotten, also gewissermaßen der moldawische Campino (Tote Hosen), der mit einer von der ersten Sekunde an unerträglichen, irgendwie säuerlich klingenden Reibeisenstimmen einen selbst geschriebenen, grausligen Popsong namens ‘Come to Life’ zuschande sang, dabei unterstützt von einem leicht disharmonisch agierenden, vierköpfigen Begleitchor. Unter Mitwirkung der Konkurrentin Doinița Gherman! Brauchte diese die Kohle denn wirklich dermaßen dringend?
Als modisches Statement sind schwarzlackierte Fingernägel bei heterosexuellen Herren auch schon seit den Neunzigern wieder out.
Vorentscheid MD 2018
O Melodie pentru Europa. Samstag, 24. Februar 2018, aus dem TRM Studio in Chisinau, Moldawien. 16 Teilnehmer/innen. Moderation:# | Interpret/in | Titel | TV | Jury | Gesamt | Platz |
---|---|---|---|---|---|---|
01 | Tolik | Broken Glass | 0385 | 10 | 030 | 03 | 13 | 04 |
02 | Lavinia Rusu | Altundeva | 0059 | 02 | 030 | 04 | 06 | 10 |
03 | Bella Luna | Moments | 0034 | 00 | 014 | 00 | 00 | 13 |
04 | Anna Timofei | Endlessly | 0039 | 00 | 028 | 02 | 02 | 11 |
05 | Ilia Soroceanu + Dasha DaGro | Minds and Veins | 0054 | 00 | 025 | 01 | 01 | 12 |
06 | Che MD | Inima‑n stângă | 0026 | 00 | 003 | 00 | 00 | 16 |
07 | Cobîlean Constantin | Numai tu | 0134 | 07 | 008 | 00 | 07 | 09 |
08 | DoReDos | My lucky Day | 3813 | 12 | 104 | 12 | 24 | 01 |
09 | Sandy C + Aaron Sibley | Once upon a Time | 0113 | 04 | 036 | 05 | 09 | 06 |
10 | Anna Odobescu | Agony | 0062 | 03 | 054 | 08 | 11 | 05 |
11 | Nicoleta Sava | Esencia del Sur | 0171 | 08 | 016 | 00 | 08 | 07 |
12 | Doinița Gherman | Dance in Flames | 0134 | 06 | 052 | 07 | 13 | 03 |
13 | Felicia Dunaf | Alien | 0056 | 01 | 040 | 06 | 07 | 08 |
14 | Viorela | The Gates of Love | 0025 | 00 | 005 | 00 | 00 | 15 |
15 | Vera Țurcanu | Black Heart | 0123 | 05 | 069 | 10 | 15 | 02 |
16 | Ruslan Tsar | Come to Life | 0032 | 00 | 008 | 00 | 00 | 14 |
Der Siegersong gefällt mir ganz gut, nur das miserable Englisch ist störend. Doinita hat es wieder nicht geschafft obwohl ich ihr es seit Jahren gönne. Deshalb hat sie sicher bei Ruslan mitgemacht, es erhöhte ihre Chancen auf eine Auslandsreise.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er Kirkorow heißt und 1995 teilnahm!