Am vergangenen Sonntag ging im Gastgeberland des diesjährigen Eurovision Song Contest, in Portugal, die erste von zwei Halbfinalen des Festival da Canção über die Bühne. Auf der Halbinsel glaubt man noch fest an das Konzept des → Komponistenwettbewerbs, und so lud der Sender 26 Songschreiber ein, ein Lied für Lissabon zu komponieren und entweder selbst zu singen oder einen passenden Interpreten mitzubringen. Die Hälfte von ihnen, also 13, durften gestern ihre Ergebnisse vorstellen. Und wie zu erwarten, wurde es ein langer, lahmer Abend voll von sanften Balladen und introvertierten Auftritten. Wie ein Fanal stach da die völlig bizarre Darbietung des Singer-Songwriters JP Simões hervor, der – Halbplayback oder technischer Trick? – zweistimmig gewissermaßen gegen sich selbst sang und dabei vollkommen stoisch wirkte, auch als sein ohnehin ziemlich schräger, irgendwie latent bedrohlicher Beitrag ‘Alvoroço’ (‘Hooligan’) an der Zwei-Minuten-Marke plötzlich in eine wilde Kakophonie aus schrillen Trompeten und sich überschlagenden Trommeln abdriftete, begleitet von einem epilepsieauslösenden Blitzlichtstakkato. Ungerührt starrt JP weiter mit seinem “Verpiss Dich”-Blick in die Kameras und brachte die Nummer zurück in ruhigere Fahrwasser. Ganz großes Grand-Prix-Kino!
JP: der verheimlichte, noch bösere Zwillingsbruder des Film-Schurken Otto (Kevin Kline) aus ‘Ein Fisch namens Wanda’ (PT).
Die Jury bedachte JP, vermutlich aus Angst, mit akzeptablen sechs Punkten, während die verstörten Televoter/innen den Schnauzbartträger komplett im Regen stehen ließen, so dass er bedauerlicherweise ausschied. Schade, gehörte sein Song doch zu den beiden einzigen nennenswerten Wettbewerbsbeiträgen. Der andere, ins Finale weitergewählte und daher hier nicht weiter besprochene, stammte von einem ziemlich autistisch wirkenden jungen Liedermacher namens Janeiro, den der Vorjahressieger Salvador Sobral vorgeschlagen hatte. Der von seiner Herztransplantation mittlerweile erfreulicherweise wieder genesene ESC-Gewinner war denn auch im Studio anwesend und sorgte, gemeinsam mit seinem während des Green-Room-Interviews eine Banane essenden Kumpanen, für einen echten “Salvador-Moment”, von dem ich zwar mangels Portugiesischkenntnissen keinen Schimmer habe, um was es ging, der aber den Zuschauerreaktionen zufolge sehr lustig gewesen sein muss. Außer vielleicht für die augenscheinlich leicht überforderte Moderatorin.
Kann jemand das Gespräch ins Deutsche transkribieren? Meine Neugierde killt mich!
Gleich zwei ehemalige portugiesische Eurovisionsvertreter/innen fanden sich im Line-up des gestrigen FdC, beide mit bereits recht bis sehr lange zurückliegenden Repräsentanzen. Und sie illustrierten aufs Schönste die heutige, frappante Benachteiligung des Mannes: während Anabela Braz Pires (1993) mit ihrer harmonikadurchtränkten, recht fröhlichen Weise ‘Para te dar abrigo’ weiterkam, war am Sonntag für das Urgestein José Cid (1980) mit dem zwar sehr ähnlich instrumentierten, dennoch deutlich dröger daherkommenden ‘O Som da Guitarra é a Alma de um Povo’ bereits Feierabend. Andererseits kein Wunder: nicht nur, dass der mittlerweile 66jährige Sänger aussah wie ein aus dem Leim gegangener Elton John. Unter einem Fifi, der auch schon mal bessere Tage gesehen hatte. Zugleich strafte er, wie weiland Udo Jürgens (→ AT 1966) festbetoniert am Klavier sitzend, den Titel seines Beitrags Lügen, denn der behauptete ja, ‘Der Sound der Gitarre ist die Seele eines Volkes’. Hat José demnach im Umkehrschluss keine Seele? Oder gehört er nicht zum Volk?
Verdammte Text-Bild-Schere: Gitarren lobpreisen, aber am Piano sitzen (PT).
Vorentscheid PT 2018 (1. Semifinale)
Festival da Canção. Sonntag, 18. Februar 2018, aus dem RTP Sendestudio in Lissabon, Portugal. 13 Teilnehmer/innen. Moderation: Jorge Gabriel + José Carlos Malato.# | Interpret | Titel | TV | Jury | Gesamt | Platz |
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01 | Bruno Vasconcelos | Austrália | 00 | 00 | 00 | 13 |
02 | Rui David | Sem medo | 05 | 02 | 07 | 07 |
03 | Beatriz Pessoa | Eu te amo | 00 | 04 | 04 | 11 |
04 | Anabela Braz Pires | Para te dar abrigo | 10 | 03 | 13 | 04 |
05 | Catarina “Emmy Curl” Miranda | Para sorrir não preciso de nada | 08 | 08 | 16 | 03 |
06 | Joana Espadim | Zero a zero | 02 | 05 | 07 | 06 |
07 | Janeiro | Oficialmente (sem Título) | 04 | 12 | 16 | 02 |
08 | José Cid | O Som da Guitarra é a Alma de um Povo | 06 | 01 | 07 | 08 |
09 | Joana Barra Vez | Anda estragar-me os Planos | 01 | 07 | 08 | 05 |
10 | Peu Madureira | Só por ela | 12 | 10 | 22 | 01 |
11 | Rita Dias | Com gosto Amigo | 03 | 00 | 03 | 12 |
12 | JP Simões | Alvoroço | 00 | 06 | 06 | 10 |
13 | Maria Amaral | A mesma Canção | 07 | 00 | 07 | 09 |
In Rumänien ging unterdessen mit dem fünften und letzten zugleich auch das musikalisch uninteressanteste Semifinale des dortigen Vorentscheidungsmarathons Selecția Națională über die Antenne. Nicht einer der insgesamt zwölf Titel des Abends hob sich in irgendeiner Weise aus dem Sumpf des Semiprofessionellen heraus. Noch nicht einmal der letztplatzierte Tomer Cohen aus Israel, dessen völlig verunglückte, selbstgeschriebene Nummer ‘Baby you’re the only one’ je unglaubwürdiger wirkte, je öfters er die Titelzeile wiederholte. Und er wiederholte sie sehr, sehr oft. Ganz putzig noch ein brustbehaartes Bärchen names Evermorph, der optisch entfernt an den schwulen deutschen Comic-Zeichner Ralf König erinnerte, und der ziemlich hilflos mit seiner hübsch tapezierten Schmuckgitarre hantierte – auch dann, wenn in seinem watteweichen Liedchen gar keine zu hören war. Highlight des glanzlosen Abends blieb somit der als Running Gag eingesetzte Vlad der Pfähler: der literarisch als Graf Dracula bekannt gewordene, aus dem Austragungsort Schäßburg stammende Heerführer verfolgte die ganze Sendung über die beiden Moderator/innen Cezar Ouatu (→ RO 2013) und Diana Dumistrescu. Blut floss aber keins.
https://www.youtube.com/watch?v=mbXcGqUSD98
Evermorphs Vorsingen. Das Semifinal-Video fehlt leider noch (RO).
Vorentscheid RO 2018 (5. Semifinale)
Selecția Națională 2018. Sonntag, 18. Februar 2018, aus dem Casa de Cultură Mihai Eminescu in Sighişoara (Schäßburg), Rumänien. 12 Teilnehmer/innen. Moderation: Cezar Ouatu und Diana Dumistrescu.# | Interpret | Titel | Jury | Platz |
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01 | Save | All we need | 14 | 09 |
02 | Tomher Cohen | Baby you’re the only One | 01 | 12 |
03 | Sergiu Bolota | Every little Thing | 28 | 04 |
04 | Dora Gaitanovici | Fără tine | 42 | 03 |
05 | Teodora Dinu | Fly | 50 | 02 |
06 | The Humans | Goodbye | 58 | 01 |
07 | Iliana | I won’t lie | 21 | 06 |
08 | Evermorph | Live your Life | 09 | 10 |
09 | Alexandru Ungureanu | Sail with me | 17 | 08 |
10 | Manuel Chivari | Somebody to love | 20 | 07 |
11 | Maria Suciu | Sweet Nothing | 02 | 11 |
12 | Denisa Trofim | Tears | 28 | 05 |