Zwei Vorentscheidungen vom Wochenende gilt es noch nachzureichen. Die letzte Vorrunde der litauischen Eurovizija vom vergangenen Samstag zeigte sich erstaunlich arm an… – nein, präziser: enttäuschend frei von Durchgeknalltem, wie wir es sonst von dem Baltenstaat kennen und lieben. Am schrägsten vielleicht noch der Auftritt einer gewissen Ofelija, deren rein musikalisch betrachtet (wäre da nur nicht der gräusliche Gesang!) noch nicht einmal schlechtes Elektropopliedchen den Titel ‘Butterfly’ trug und die sich, wenig überraschend, mit bunten Schmetterlingsflügeln ausgestattet hatte. Die sie allerdings erst nach zwei Minuten zur vollen Pracht entfaltete: zunächst saß sie hinter einer schäbigen Heimorgel, anschließend ließ sie sich von einem tanzenden Pärchen umspringen. Insgesamt vermittelte die gute Ofelija ein wenig den Eindruck, in den Neunzigern hängengeblieben zu sein. Und wer wollte es ihr verdenken: außer beim Song Contest war das schließlich popmusikalisch wie gesellschaftspolitisch die beste Dekade! Um so unvorbereiteter traf den Zuhörer der nihilistisch-profunde Schlusssatz ihres fluffigen Songs, der da lautete: “Because I’m like a Butterfly / and soon I’m gonna die”. Hoppla!
https://youtu.be/3YxgHOfspwk
Bestens für die anstehende Faschingssaison gerüstet: Ophelia und ihr Begleitballett (LT).
Mit diesem düsteren Schlusston kontrastierte Ofelija deutlich gegenüber dem restlichen Starterfeld, das eher optimistische Vibes verbreitete: sei es die Band The Roop, deren in eine Art modisch aufgepeppte Zwangsjacke gewandeter Frontmann die hoffnungsfrohe Botschaft verkündete: “Every Morning, World, I still love you / Yes, I do”; seien es die ‘Positive Thoughts’ von Rūta Loop (Roop und Loop: wo war Betty Boop?) oder gar das esoterisch-verspielte ‘Love is the Flower of Life’ von Rugilė Daujotaitė. Siegerin der Vorrunde wurde, wenig überraschend, die Gewinnerin der aktuellen litauischen The-Voice-Staffel (et tu, Brute!), Monika Marija, die der Sender LRT erst vor wenigen Tagen kurzfristig ins Line-up mit aufnahm: als Ersatzkandidatin für die aus Verärgerung über die herummäkelnde Jury unter großem medialen Getöse zurückgetretene Erica Jennings (→ LT 2001 als Teil der Band Skamp). Monika übernahm denn auch direkt Ericas – von dieser mitkomponierten – Titel, den LRT nach dem Motto “eingereicht ist eingereicht” behielt und an die Nachfolgerin weitervermachte. Frau Jennings dürfte am Samstag vermutlich zuhause auf der Couch gesessen und sich in den Hintern gebissen haben vor Wut.
Monika Marija denkt nachhaltig: warum nicht die alte, ausgediente Auslegeware als Abendgarderobe auftragen (LT)?
Am gestrigen Sonntag schlug dann die durchs Land tingelnde rumänische Vorentscheidungsreihe Selecția Națională ihre Zelte zum dritten von fünf Semis in Crajova auf, der Metropole der Kleinen Walachei. Das dortige Nationaltheater nutzte entweder die Gelegenheit, sämtliche bald ablaufenden Restbestände an Trockeneis an nur einem Abend zu vernebeln, oder aber eine im Untergeschoss der Spielstätte praktizierende Wäscherei hatte ihre Abluftrohre direkt vor der Bühne platziert: jedenfalls versank die komplette Show in endlosen Dampfschwaden. Sollten diese allerdings, und dies wäre die plausibelste Option, den Zweck verfolgt haben, die Sinne der im Saal sitzenden, alle entscheidungsberechtigten Juroren zu vernebeln, so gelang die Übung: zielsicher pickten die fünf Mächtigen aus einem ohnehin sehr fraglichen Gesamtangebot den übelsten Driss für das Finale am 25.02.2018 heraus. Von der faden Song-Stangenware einer sich pietätlos Xandra nennenden Kreischtüte will ich hier ebenso schweigen wie von dem fahlen Al-Bano-&-Romina-Power-(IT 1985)-Tribute-Act, mit dem sie sich die Höchstwertung teilte.
Die Rumänen sind so arm, die können sich allesamt keinen Nachnamen leisten. Helft und kauft den Gyros von Vyros!
Um so mehr zu reden sein wird von dem Moldawier Vyros, der lyrisch auf den Spuren der siegreichen spanischen Song-Sirene Massiel (→ ES 1968) wandelte: ‘La la la’ hieß sein Titel, und exakt aus diesen Silben bestand natürlich sein Refrain, der an die Süffigkeit seines großen Vorbildes dennoch nicht heranzureichen vermochte. Als Handicap erwies sich zudem Vyros’ Begleitchor, der sich gerne mal um eine halbe Oktave im Ton vergriff, sowie das Bühnenoutfit des als amerikanischer Wanderarbeiter zu den Zeiten der Großen Depression verkleideten Barden, dessen dunkles Baumwolloberhemd schonungslos zur Schau stellte, wie anstrengend die mit zackigem Drill zelebrierte Hand-Choreografie sein musste. Erstaunlicherweise schaffte es auch dieses Elaborat ins Finale, während die pittoreske Powerlesbe Zavera mit ihrem possierlichen Ethno-Schlager ‘Come back to me’ zurückbleiben musste. Ein himmelschreiende Ungerechtigkeit, konnte die bezopfte Blondine mit dem ausrasierten Bürstenhaarschnitt nicht nur mit einer aparten Instrumentierung überzeugen, sondern auch mit einem Bühnenoutfit irgendwo zwischen Oktoberfest-Kellnerin, Trachtenträgerin und Domina.
Ihr Wunsch sei mir Befehl, alleine schon aus Angst: die rumänische Opel Zavera.
Dass der Sender TVR 2018 aufgrund seines Wunsches, unbedingt fünf Semis aufzuziehen, praktisch Jede/n nehmen musste, der oder die sich bewarb, manifestierte sich in Crajova am Beispiel von Diana Brătan, einer dezent manisch dreinblickenden Dame, die ihr selbstgeschriebenes Heile-Welt-Liedlein mit dem bemerkenswerten Titel ‘Paint it Rainbow’ hinter der Heimorgel (schon wieder!) festzementiert ins Beistellmikrofon hauchte. Wobei sie davon Zeugnis ablegte, dass das Singen ebenso wenig zu ihren Stärken gehörte wie das Komponieren oder die Beherrschung der englischen Sprache. Jedenfalls vermute ich mal aufgrund des Songnamens, dass sie versuchte, auf Englisch zu singen. In ihrem offensichtlichen Irrsinn und der rettungslosen Amateurhaftigkeit ihrer Darbietung wäre die Gute natürlich beim litauischen Vorentscheid, zu dem sich der Kreis damit wieder schließt, besser aufgehoben gewesen: dort steht man ja auf so etwas (vgl. 2011).
“Yes, I painted a Door”: Diana berichtete von ihrer Wohnungsrenovierung, bei der sie wohl ihre Haare als Pinsel verwendet hatte (RO).
Vorentscheid RO 2018 (3. Semifinale)
Selecția Națională 2018. Sonntag, 4. Februar 2018, aus dem Teatrul Național Marin Sorescu in Craiova, Rumänien. 12 Teilnehmer/innen. Moderation: Cezar Ouatu und Diana Dumistrescu.# | Interpret | Titel | Jury | Platz |
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01 | Eliza Chifu | So good without you | 13 | 09 |
02 | Carolina Gorun | Reach out for the Stars | 17 | 08 |
03 | Mareş Pană | Daydreamer | 07 | 11 |
04 | Ayona | The Story goes on | 08 | 10 |
05 | Aurel Dincă | Fire in the Sky | 19 | 07 |
06 | Vyros | La la la | 37 | 03 |
07 | Zavera | Come back to me | 25 | 06 |
08 | Elena Hasna | Revival | 25 | 05 |
09 | Diana Brătan | Paint it Rainbow | 06 | 12 |
10 | Tavi Clonda | King | 29 | 04 |
11 | Erminio Sinni + Titziana Camelin | All the Love away | 52 | 01 |
12 | Xandra | Try | 52 | 02 |
Und für Hartgesottene hier die ganze Show am Stück, nicht geschnitten.