Wenn die Serben etwas machen, dann machen sie es richtig! Nach zwei eher enttäuschenden internen Interpretenauswahlen ließ es der Sender RTS beim diesjährigen nationalen Vorentscheid unter dem historischen Titel Beovizija richtig krachen. Gleich 17 Beiträge bot man auf, die fast allesamt auf das Prächtigste unterhielten und den Fan des gepflegten Ethno-Popschlagers in einen dermaßenen Glücksrausch versetzten, als sei er versehentlich über Nacht in der Süßwarenabteilung des Kaufhauses eingeschlossen. Mindestens sechs absolute Lieblingslieder, die allesamt hätten gewinnen dürfen, zählte ich am Ende, und mit dem unter anderem durch einen zauselbärtigen Flötenschlumpf folkloristisch instrumentierten, klageweiberhaft dahingejammerten, druckvollen Balkanklopper ‘Nova Deca’ (‘Neue Kinder’) des 66jährigen Komponisten Sanja Ilić und seiner Formation Balkanika siegte dann, ungewöhnlich genug, sogar eines davon. Ilić verfügt als Songschreiber bereits über Eurovisionserfahrung: aus seiner Feder stammt das ungleich fadere ‘Halo, Halo’ (→ YU 1982).
Der schmucke vollbärtige Glatzkopf in der Mitte heißt übrigens Mladen Lukić.
Ein bisschen leid tun konnte einem der Belgrader DJ Milan Stanković (nein, nicht der ‘Ove je Balkan’-Space-Cowboy) alias Sevdah Bejbi, der das Konkurrentenfeld eröffnete. Und zwar direkt im Anschluss an einen pompösen Einleitungs-Showact, bei dem ein riesiger Chor die augenscheinlich neue serbische Nationalhymne ‘Molitva’ (→ RS 2007), die an diesem Abend noch mehrfach Erwähnung fand, grandios interpretierte. Dagegen fiel Sevdahs mittelguter Club-Track deutlich ab, und das sehr unglücklich an DJ Bobo (→ CH 2007) gemahnende Staging mit drei Pappaufstellern des Künstlers machte die Sache nicht besser. Beim Greenroom-Interview in der Halbzeit ignorierte die Moderatorin den sich immer wieder verzweifelt Richtung Mikrofon drängenden Milan dann hartnäckig: das war fast ein bisschen fies. Direkt nach ihm startete mit dem legendären Rambo Amadeus (→ ME 2012) einer meiner größten Eurovisionshelden, allerdings nur als vor sich hin knotternder Begleitrapper der völlig hinreißenden 72jährigen Beti Đorđević, die in den Siebzigern etliche Schlager-Hits hatte und nun hier mit absolut lässiger Grandezza eine fantastische Jazzballade ablieferte.
Lustig: Rambo Amadeus hatte scheinbar Vader Abrahams rote Melone geklaut.
Mit der prachtvoll aufgebrezelten, 42jährigen, mehrfachen serbischen Vorentscheidungsteilnehmerin Maja Nikolić und ihrem wunderbar trashigen ‘Zemlja čuda’ (‘Wunderland’) folgte der optische Höhepunkt des Abends. Offensichtlich ein kleines Vermögen kosten lassen hatte sich die gute Maja ihre neuen Möpse, Zeus und Apollo, die sie daher nun ausführlich in Kamera hielt, damit die Babys ihr Geld wieder verdienten. Wovon die meisten aus der Kernzielgruppe aber gar nichts mitbekommen haben dürften, denn links und rechts von ihr tanzten vier bunt beklebte, vor allem aber obenrum erfreulich nackte, muskulöse Kerle, die es beinahe schafften, von Majas ziemlich wackeliger Stimme abzulenken. Und von dem vergleichsweise billigen Bühenrequisit in Form zweier hastig aus dem Materialraum geholter und notdürftig mit Papierbahnen abgedeckter Konferenztische, auf und von welchen die kräftigen jungen Burschen den Cougar permanent hoch- und runterwuchteten, so als würden sie nach Stemmleistung bezahlt.
Den Reptil-Kragen hab ich schon mal in ‘Priscilla – Queen of the Desert’ gesehen!
Konkurrenz in Sachen Oberweite erwuchs Maja in Form der zehn Jahre älteren Lana Toković, die zwar als Teil des Duos Lana & Aldo auftrat, tatsächlich aber mit ihren monströs auftoupierten Haaren und ihrem gigantischen schwarzen Reifrock die Szene völlig dominierte, während Aldo den Bert gab. Ihr Song war nicht der Rede wert. Herrlich nostalgische, akkordeongeschwängerte Balkanschnulzen präsentierten der follikös stark Herausgeforderte Ivan Kurtić und der in einer Gardeuniform antretende ehemalige Operacija-Trijumf-Finalist und Marija-Šerifović-Halbbruder Danijel Pavlović, der in seiner Bühnenpräsentation auf die visuelle Kraft des bosnischen Blocks™ setzte, der erstmalig 2006 vom bosnischen Eurovisionsvertreter Hari Mata Hari verwendeten Menschenmauer aus hier vier baumlangen, ebenfalls militärisch gekleideten Herren. Die traten nach einem eher verhaltenen Liedauftakt zur Songmitte ins Bild, und ab da steigerte sich die Dramatik der leidenschaftlich vorgesülzten Ballade stetig bis zum Höhepunkt. Zu welchem eine kleine Ballerina auf die Bühne hüpfte, vor der die Gardeoffiziere denn auch artig das Knie beugten und so das schon grotesk Maskuline der Inszenierung wunderbar konterkarierten.
Die große alte Schule der Eurovisions-Darbietung: Danijel und seine erfrischend altmodische Balkanballade.
Den Peinlichkeitshöhepunkt des Abends lieferten Osmi Vazduh und seine Begleitband ab: was in den ersten drei Sekunden so klang, als habe sich bei einem Milli-Vanilli-Auftritt das Playback verklemmt, entpuppte sich schnell als ausgewachsener That’s Life-Gedächtnisact (→ Vorentscheid DE 1986), sowohl musikalisch wie optisch. Für jede Menge simplen, aber effektiven Spaß sorgte hingegen ein bebrillter junger Mann mit dem ein wenig blasphemisch anmutenden Künstlernamen Lord, der mit seiner sensationellen Nummer ‘Samo nek se okreće’ den damaligen britischen Rohrkrepierern Electro Velvet (→ UK 2015) mal eben locker vormachte, wie es richtig geht! Ins selbe Horn stieß auch der im bosnischen Banja Luka geborene Boris Režak, der mit ‘Vila’ dem Charleston frönte. Was, völlig ungeachtet der Frage, wie popmusikalisch aktuell dieses Stück nur war oder nicht war, sich einfach unglaublich vergnüglich anschaute und anhörte. Und mich hoffen lässt, dass RTS künftig wieder jedes Jahr eine Beovizija auflegen möge, die ich um keinen Preis der Welt verpassen möchte!
Pan Tau lebt jetzt in Serbien und hat sich einen Bart stehen lassen: der kleine Lord bei seinem Auftritt.
Der bosnische Robbie Williams: Boris Režak.
Zur Überbrückung der Stimmauszählung fuhr der Sender praktisch alles auf, was der Balkan in den letzten zehn Jahren zum Eurovision Song Contest schickte. Nicht nur – mit Ausnahme von ‘Nije ljubav Stvar’ (→ RS 2012, leider) und ‘Čaroban’ (→ RS 2011, Gott sei Dank) – sämtliche serbischen Grand-Prix-Beiträge seit 2008 brachten die Originalinterpret/innen zu Gehör, wenn auch leider nur im Vollplaybackverfahren. Selbst für Regina (→ BH 2009) und Knez (→ ME 2015) fand sich noch ein Plätzchen. Sodass die Textzeile “feels like I’ve been sentenced to Life” in Tijana Bogićevićs 2017er Beitrag ‘In too deep’ für die auf die Ergebnisse wartenden Zuschauer/innen eine ganz neue Bedeutung gewann. Doch natürlich bildete ihr Auftritt den Abschluss des Pausenprogramms, aus dem vor allem der bereits anfänglich erwähnte, nun aber echte Milan Stanković (→ RS 2010) in Erinnerung blieb. Wenn auch nicht in guter: augenscheinlich voll wie eine Natter torkelte der kaum wiederzuerkennende Sänger über die Bühne. Und wer immer ihn anzog, gehört eingesperrt. Dennoch: als die beste Vorentscheidung der bisherigen Saison (natürlich nach der französischen!) kann und muss man die Beovizija 2018 mit Fug und Recht bezeichnen. Bitte mehr davon!
Für die Blondierung reicht’s mittlerweile auch schon nicht mehr: Milan.
Vorentscheid RS 2018
Beovizija. Dienstag, 20. Februar 2018, aus dem Sava Centar in Belgrad, Serbien. 17 Teilnehmer;innen. Moderation: Dragana Kosjerina, Kristina Radenković und Marija Veljković. Dreiköpfige Jury (50%) und SMS-Voting (50%).# | Interpret/in | Titel | Televote | Jury | Platz |
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01 | Sevdah Baby | Hajde da igramo sada | 262 | 00 | 17 |
02 | Rambo Amadeus + Beti Đorđević | Nema te | 1.342 | 03 | 09 |
03 | Maja Nikolić | Zemlja čuda | 2.110 | 00 | 10 |
04 | Srđan Marijanović | Bar da znam | 327 | 00 | 16 |
05 | Ivan Kurtić | Ni sunca ni meseca | 1.791 | 08 | 06 |
06 | Sanja Ilić + Balkanika | Nova Deca | 14.698 | 12 | 01 |
07 | Koktel Balkan | Zato | 487 | 01 | 11 |
08 | Boris Režak | Vila | 2.489 | 04 | 07 |
09 | Lana & Aldo | Jača sam od svih | 631 | 00 | 15 |
10 | Dušan Svilar | Pod krošnjom bagrema | 5.403 | 07 | 03 |
11 | Igor Lazarević | Beži od mene | 1.308 | 00 | 13 |
12 | Saška Janks | Pesma za tebe | 5.959 | 10 | 02 |
13 | Lord | Samo nek se okreće | 2.884 | 06 | 04 |
14 | Danijel Pavlović | Ruža sudbine | 2.188 | 02 | 08 |
15 | Rejbass | Umoran | 1.297 | 00 | 14 |
16 | Osmi Vazduh + Drugari | Produbi se | 1.334 | 00 | 12 |
17 | Biber + DJ Niko Bravo | Jutros | 4.981 | 05 | 05 |
Der Balkan irritiert mich immer wieder: Warum tragen die beiden Trauerweiden nicht schwarz? Müssen sie das dem glatzköpfigen Bestattungsunternehmer überlassen? Und wie man Trauer und Ethno-Stampfer verbinden kann, ist auch eine Spezialität dieser Region. Aber recht hübsch isses schon.
Ich habe wirklich mein Bestes versucht ‚diesen Beitrag lieb zu gewinnen.
Nachdem ich aber sofort nach hören des Liedes an meine heute Nacht erfroren Blumen auf den Balkon gedacht habe – fällt es mir echt schwer.
2 gen Himmel klagende Nymphen machen alles noch viel schlimmer und das Flötenspiel des ergrauten Satyrs bringt auch nix mehr zum stehen. Optisch solls dann der pausbäckige Pan richten .
Beim Barte des Zeus , ich finds schlimm !
Oder mit den Worten der Wald Nymphen ab 0:50 gesagt :“Ehhhhhhhehhhhhh, Na na Na!
Hurra – ich habe mein Toilettenpausenlied gefunden. Allein schon um dem sofortigen Schlafanfall zu entkommen, werde ich mich aufs Häusl verziehen. Der Vergleich des Vorredners mit den erfrorenen Pflanzen ist ausgesprochen treffend. Jetzt mach ich mir Sorgen um meine zarten Wohnzimmergewächse…
An Vader Abraham habe ich auch gleich gedacht, hihi.…. In Audio war “Nova Deca” einer meiner Favoriten, live überzeugt es mich nicht so. Die Truppe wirkt irgendwie nicht wie eine Einheit und , melodisch ist das Stück ein wenig monoton. Sympathie gibt es für das Balkanflair, deswegen hoffe ich auch auf die Qualifikation. Ich werte mal 5 von 10 Punkten.
1. Italien 9/10
2. Griechenland 8/10
3. Frankreich 8/10
4. Dänemark 7/10
5. Albanien 7/10
6. Tschechien 6/10
7. Schweiz 5/10
8. Serbien 5/10
9. Spanien 4/10
10. Montenegro 2/10
11. GB 1/10
12. Belarus 1/10
13. Malta 0/10
Das ist nicht Sanja Ilić ;). Nicht immer ist der, der am auffälligsten ist, oder am lautesten brüllt, der Boss ;). Ilić selber, ist der unscheinbare Kerl, am Keyboard. Balkanika hat insgesamt 12 Mitglieder.
Der Einsteinverschnitt, bzw., verrückte Wissenschaftler/Professor ist Ljubomir Dimitrijević.
Balkanika hatten viele geile Titel, wie New Gajde, Kermes, Dolina Suza … und zahlreiche andere. Nova Deca ist so la-la. Insgesamt war die Auswahl, bei der Beovizija, etwas schwach. Man hat einen der akzeptablen Titel ausgesucht.
Also mich hat der “Flötenschlumpf” sofort an Catweazle erinnert, falls den hier noch jemand kennen sollte…
Der “schmucke Glatzkopf”, heißt übrigens auch nicht “Nemanja Kojić”, sondern Mladen Lukić ;).
Da hat der gute Oliver wieder mal meisterlich recherchiert ;). Die sehen sich noch nicht einmal ähnlich ;).
@Stefan
Stimmt ;)))!!!
I like den Siegertitel.
Der schmucke vollbärtige Glatzkopf in der Mitte heißt NICHT Nemanja Kojić sondern Mladen Lukić. Vielleicht schafft ihr es, den Artikel vor dem Finale noch zu korrigieren 🙂
Danke für die zahlreichen Hinweise, da hatte mich die Google-Bildersuche leider komplett in die Irre geführt. Text ist korrigiert.