Eigentlich gehört es zur Eröffnungstradition des Pressezentrums, dass die dort versammelten Schwurnalisten von der allerersten Probe aus technischen Gründen nichts mitbekommen, weil die Leitung von der Halle noch nicht steht. Das war am Sonntag zwar nicht der Fall, dafür aber am heutigen Montag: pünktlich zum Probenbeginn um zehn Uhr liefen noch Tourismuswerbeclips in Dauerschleife, während in der Altice-Arena bereits das mazedonische Duo Eye Cue auf der Bühne stand. Erst zum dritten Durchlauf drückte jemand den Knopf: auf den Monitoren erschien, wie OnU berichtete, bildfüllend der Hintern der Leadsängerin Marija. Und falls sich jemand noch mit Schaudern an das pinkfarbene Cameltoe-Outfit aus dem Video zu ‘Lost and found’ erinnert: etwas Ähnliches trägt sie auch in Lissabon, nur ohne Unterteil. Dort stolziert Marija in einem ebenfalls knallpinken, rückenfreien Läppchen über die Bretter, welches die Blicke auf ihr silbernes Höschen eher freigibt als bedeckt. Passt aber: dafür kommt ihr Begleiter Bojan halt obenrum ohne. Der Auftritt wirkt genau so unstrukturiert und chaotisch wie der aus mehreren Einzelteilen notdürftig zusammengetackerte Song. Das sehen wir am Samstag im Finale garantiert nicht wieder.
Leadsängerin Marija und ihr Schamlippenlappen.
Die kroatische Kollegin Franka Batelić gab in einem bodenlangen Kleid aus schwarzer, durchsichtiger Spitze eine exquisite Performance, wie die Fan-Presse fast übereinstimmend berichtet. Ohne Gimmicks (bis auf die unverzichtbare Windmaschine), ohne Ablenkung (mit hinter der Bühne versteckten Backings), stets wissend, wo die Kamera steht und immer genau die schmale Grenze zwischen verrucht und geschmackvoll wahrend. Kleiner Wermutstropfen: all das macht aus ‘Crazy’ noch immer keinen besonderen Song. Da hat Cesár Sampson doch deutlich bessere Finalchancen, zumal mit dem heute vorgestellten Staging und verbunden mit der im Vorfeld noch etwas fraglichen, heute jedoch unisono gelobten Selbstsicherheit und charismatischen Präsenz des ehemaligen bulgarischen Backings. Gewandet in ein figurbetonendes Shirt in silbergrauen Schattierungen und einer Drop-Crotch-Hose (mit dem tiefergelegten Schritt für den extragroßen Inhalt) gleicher Farbe, steht Cesár auf einer leicht an ein UFO erinnernden Hebebühne. Ein in Songmitte eingeblendetes Hologramm des Sängers (nur Torso und Kopf) akzentuiert den religiösen Vibe des Beitrags und sorgt für einen Wow-Moment. Nur das viele Gerenne könnte der Österreicher noch etwas reduzieren.
Die Erlöserpose kann er schon mal: Cesár. Lustig: der hinter der Hydraulikbühne platzierte Gospelchor, von dem nur die Köpfe hervorlugen. Erinnert ein bisschen an das Showassistenten-Panel bei Dalli Dalli (“Wie viel ist das in Schillingen?”).
Gianna Terzi scheint vor ihrer Probe ins Klo gegriffen zu haben. Und zwar in so eine Chemietoilette, wie sie auf Freiluft-Festivals herumstehen. Anders lässt sich ihre blaue (!) Hand nicht erklären. Oder leidet die Mittdreißigerin unter örtlich begrenzter Blutarmut? Die Griechin tritt in einer etwas züchtigeren Variante des weißen Hochzeitskleides ihrer aserbaidschanische Kollegin Aisel an – ebenfalls mit bodenlangen Flatterlappen ausgestattet, mit welchen sie während ihrer drei Minuten natürlich hochdramatisch herumwedelt. Wie so Viele versteckt auch Gianna ihrer Chorsängerinnen. Leider wirkt sie alleine auf der Bühne etwas verloren, was den Genuss ihres von mir eigentlich hoch geschätzten Ethnopopsongs mindert. “Mehr ist mehr” muss unterdessen das Motto von Saara Aalto lauten, die für ihre Bühnenshow schlichtweg die ausgefallensten Elemente ihrer drei finnischen Vorentscheidungsauftritte zusammenwürfelte. Ein bisschen unglücklich vielleicht die Outfits ihrer vier Tänzer / Chorsängerinnen, die einen subtil faschistischen Flavour hinzufügen. Immerhin gewinnt Saara den Wettbewerb mit der Mazedonierin um die kürzesten Schamlippenläppchen.
Heil Saara, unserer neuen Herrscherin vom Planeten Lesbos aus der fernen Galaxie Lapponia.
“Bart” und “Stonehenge” sind die meistgenutzten Begriffe in den internationalen Blogger-Kommentaren zur Probe des schmucken Armeniers Sevak Khanagyan. Der tauschte seinen schwarzen Plaste-Brustpanzer vom Vorentscheid gegen ein graues, ungebügeltes Leinen-Bettlaken aus, in welches er sich in Lissabon hüllt, wohl um dem allgemeinen Trend zum Flatterlappen entgegen zu kommen. Nur, dass sich sein Cape ob der Schwere des Stoffes selbst im Windmaschinensturm auf Endstufe nicht bewegt, genau so wenig wie der Sänger, dessen fünf sehr deutlich hörbare Backings nicht zu sehen sind. Sevak, der sowohl den Barbara-Dex-Award als auch den soeben von mir gestifteten Sonderpreis für den männlichsten Vollbart diesseits von Conchita Wurst einstreichen könnte, steht inmitten einer kreisrunden Stelenlandschaft, von der im Ungewissen bleibt, ob sie eine mystische Versammlungsstätte oder ein Genozid-Mahnmal symbolisieren soll. Visuell bringt das leider nicht ganz den erforderlich Ooomph, um die musikalisch erst im letzten Drittel richtig aus dem Quark kommende Ethno-Ballade genügend zu pushen.
In den Jurys und in den europäischen Wohnstuben dürften aber genügend Bartophile sitzen, um Sevak ins Finale zu kriegen.
Die Schweizerin Co, Leadsängerin des Geschwisterduos Zibbz, gibt auf der Bühne das energiegeladene, wütende Rock-Chick. Sie schleift ihren Mikrofonständer hinter sich her wie eine Mutter ihr bockiges Kind beim Schlussverkauf, fordert von der Brücke aus alle auf, “die schon einmal verletzt wurden” (also: alle), die Hand zu heben und besteigt am Ende gar die von ihrem anmutigen Bruder Steef gespielten Drums. Ist alles ganz nett, genau so wie ihr Song ‘Stones’. Und wo “nett” beim Contest landet, wissen wir ja. Dieses Schicksal dürfte auch Irland ereilen. Ryan O’Shaugnessy steht bewaffnet mit Nicoles weißer Friedensgitarre unter einer Laterne wie einst Lili Marleen, begleitet von einer Frau am Flügel. Ah, sie haben die schwulen Tänzer aus dem Videoclip nicht mitgebracht, denkt man noch – und schwupps, schweben die beiden über die Brücke herein und ziehen ihre zu der lahmarschigen Ballade überhaupt nicht passende, hektische Choreografie auf der eigens hingestellten Parkbank ab. Zum Schluss schneit es dann noch. Falls man bei RTÉ hofft, dass die Punkte am Dienstagabend ebenso hereinschneien, sollte man sich schon mal auf eine bittere Enttäuschung einstellen.
Tsk! Mit Straßenschuhen auf die Parkbank! Diese Rowdys!
Seitdem die Startreihenfolge beim Eurovision Song Contest nicht mehr ausgelost, sondern manuell festgelegt wird, enden die Shows traditionell mit einem visuellen Kracher. Zypern auf den letzten Startplatz im ersten Semi zu legen, war insofern eine kluge Wahl, ist die gebürtige Albanerin Eleni Foureira doch vor allem Tänzerin. Und als solche enttäuscht sie nicht: gemeinsam mit vier Backings liefert sie eine minutiös durchchoreografierte Synchrontanzshow ab, die vor gravitätischem Umherschreiten, energischen Fingerzeigen und wildem Haareschütteln nur so brummt. Dazu kommen den Berichten zufolge tricktechnische Köstlichkeiten wie Lasertunnel oder animierte Flammen – pikanterweise auf Höhe von Elenis Hintern, so dass sie im Pressezentrum bereits den Namen “Königin Methangas” trägt. Die Interpretin selbst ist ein Fest für die Augen in ihrem hautengen, goldglitternden Dress, stimmlich wird sie von ihren vier Mitstreiterinnen durch die Nummer getragen, die wir mit absoluter Sicherheit am Samstag wiedersehen. Der einzige winzige Wermutstropfen: anders als im Vorschau-Video ist keine Sponsor-Ananas auf der Bühne zu sehen. Fast schade!
Es war schon immer etwas teurer, billig auszusehen: die göttliche Trash-Queen Eleni.
Und damit endet der Montag in Lissabon. Morgen probt die erste Hälfte des zweiten Semis.
Reale Chancen mal beiseite: wer sollte es aus der ersten Qualifikationsrunde 2018 unbedingt ins Semi schaffen (max. zehn Nennungen)?
- Israel: Netta Barzilai – Toy (9%, 195 Votes)
- Österreich: César Sampson – Nobody but you (9%, 180 Votes)
- Tschechien: Mikolas Josef – Lie to me (8%, 172 Votes)
- Bulgarien: Equinox – Bones (7%, 148 Votes)
- Belgien: Sennek – A Matter of Time (7%, 142 Votes)
- Griechenland: Gianna Terzi – Oneira mou (7%, 142 Votes)
- Zypern: Elena Foureira – Fuego (7%, 139 Votes)
- Finnland: Saara Aalto – Monsters (6%, 121 Votes)
- Albanien: Eugent Bushpepa – Mall (5%, 101 Votes)
- Estland: Elina Netšajeva – La Forza (5%, 93 Votes)
- Aserbaidschan: Aysel Mammadova – X my Heart (4%, 92 Votes)
- Schweiz: Zibbz – Stones (4%, 90 Votes)
- Armenien: Sevak Khanagyan – Qami (4%, 88 Votes)
- Irland: Ryan O’Shaugnessy – Together (4%, 82 Votes)
- Mazedonien: Eye Cue – Lost and found (4%, 79 Votes)
- Litauen: Ieva Zasimauskaitė – When we’re old (4%, 74 Votes)
- Kroatien: Franka Batelić – Crazy (3%, 56 Votes)
- Weißrussland: Alekseev – Forever (2%, 44 Votes)
- Island: Ari Ólafsson – Our Choice (1%, 16 Votes)
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Klingt alles schon mal sehr spannend! Ich finds gut bzw. Spannend, dass es dieses Jahr keine riesen LED Wand gibt, die jeden Beitrag wie ein Musik Video wirken lassen (versteht mich nicht falsch – ich liebe LED Leinwände – nur in den letzten Jahren waren sie etwas zu omnipräsent)
Muß ich wirklich noch um Griechenland zittern ? Dabei ragt “Oniro mou” musikalisch in der Tat heraus und verkörpert für mich das, was den ESC eigentlich ausmacht (und warum ich mal Fan geworden bin). Mit der finnischen Monstershow konnte ich eh noch nie viel anfangen und meine Einschätzung hat sich mit dieser albernen Performance bestätigt. Das ist nicht finalwürdig ! Zypern setzt zwar in der Tat auf die “Billigmasche”, aber da zündet es passend zum Songtitel wenigstens gut.
Was haben die Blogger bloß alle mit Israel und Österreich? Ich finde beides schrottig, daher werden wohl beide ins Finale kommen.