Sanft gestaltete sich der Start in Tag heute Morgen für die nach Lissabon gereisten Blogger/innen. Denn der vierte Probentag begann mit dem georgischen Beitrag. Die Kaukasusrepublik schickt in diesem Jahr bekanntlich die offiziell so benannte Ethno-Jazz Band Iriao – und betreibt mit dieser Auslobung klaren Etikettenschwindel. Schließlich hat das, was die für den ESC-Auftritt vom Septett zum Quintett geschrumpfte Formation in Portugal singt, weder etwas mit Ethno zu tun, noch mit Jazz. Stattdessen nehmen die Fünf, wie mir diesbezüglich bewanderte Quellen glaubhaft versicherten, die Melodie irgendeines uralten christlichen Kirchenliedes und tarnen diese mit Harmoniegesang in Landessprache. Das Ganze tun sie in tadellos sitzenden Maßanzügen und ohne jeglichen Ablenkungsschnickschnack, bis auf einen aserbaidschanischen Goldregen am Ende. Ohne starken Kaffee schläft man da gleich wieder ein. Das polnische Hutträgerduo Gromee + Lukas Meijer weckt einen dankenswerter mit dem (leider nur mittelprächtigen) Dance-Track ‘Light me up’ wieder auf, so dass man sich wunderbar das Lästerschnütchen über die komischen Hand-Wellenbewegungen zerreißen kann, mit denen DJ-Opi Gromee sich in seiner Kanzel vom Nichtgebrauchtwerden und Überflüssigherumstehen ablenkt. Und das ist dann auch das Interessanteste an diesem Auftritt.
My Name is Lukas, I sing on the second Floor: der niedliche Lederschwede muss stimmlich noch ein paar Schippchen drauflegen bis zum Semi.
Die maltesische Delegation nutzt die vom portugiesischen Fernsehen bereits im Vorfeld lang und breit verkündete Abwesenheit von LED-Wänden in Lissabon egoistischerweise zum Auffallen: sie hat nämlich selbst vier Stück davon mitgebracht, aus denen sie eine Art Duschkabine / Labyrinth / Gefängniszelle für Christabelle Borg baut. Soll wohl ihr in den Strophen von ‘Taboo’ skizziertes Eingesperrtsein in der eigenen Depression symbolisieren. Später kann sie sich aus der Kabine befreien, an ihre Stelle tritt eine Tänzerin, die anscheinend das Crystal Meth Koffein ein wenig überdosiert hat. Allerlei visuell sehr eindrückliche Projektionen aus dem Videoclip flirren über die LED-Wände, dazu kommen Laser- und Pyro-Effekte sowie ein eingeblendetes, medizinisch korrekt dargestelltes Herz (welches in einer der Durchläufe allerdings versehentlich in Christabelles Mund landet). All das Brimborium lenkt ziemlich erfolgreich von der eklatanten Abwesenheit eines ernstzunehmenden Refrains ab. So sehr, dass die ersten Blogger/innen gar anfangen, über eine mögliche Finalqualifikation Maltas nachzudenken. Jetzt wollen wir es aber mal nicht übertreiben, bitte!
Bei allem cleveren Staging: ein Song, dessen Refrain aus “Animals! Animals!”-Schreien besteht, mag bei mir einfach nicht reüssieren.
Keine Frage hingegen dürfte die Qualifikation Ungarns sein. In diesem Semi ist es der einzige (Hard-)Rocksong, und Genrefans aus ganz Europa werden sich dafür die Finger blutig wählen. Zumal die Jungs eine energiegeladene, kraftvolle Show abziehen: der Leadsänger rennt barfüßig (!) über sämtliche Brücken und Satellitenbühnen, headbangt bis zum Schleudertrauma und grölt sich die Lungen aus dem Leib. Der Gitarrist übt sich im Stagediving (!), und die Kamera fängt sehr ausführlich das visuelle Aushängeschild von AWS ein, den kurzbehosten, muskelshirttragenden und frisch vom Workout kommenden Drummer (herzlichen Dank!). Und auch, wenn viele in der Wolle gefärbte Schlagerfans hier nur Krach hören: der Song verfügt über einen klassischen Liedaufbau, im Gegensatz zu Malta über einen ordentlichen Refrain und sogar über eine Rückung! ‘Viszlát Nyár’ ist tatsächlich näher an ‘Hard Rock Hallelujah’ (FI 2006), als Euch lieb ist. Und das Fehlen einer Monster-Masken-Show bedeutet, dass auch die Jurys es nicht all zu weit abwerten werden. Für einen Gesamtsieg reicht das zwar nicht, aber eine Top-Ten-Platzierung am Finalsamstag sollte locker drin sein.
Entzückt auch den Fussfetischisten in mir: der Auftritt von AWS.
Die leckere lettische Laura (Rizotto) gibt uns die ‘Lady in Red’. Roter Bühnenhintergrund, rote Beleuchtung, roter Lippenstift, rotes Negligée, rote Hot Pants, rote High Heels… Sie bespielt die Bühne alleine, mit versteckten Backings, und versucht, mit dramatischen Handbewegungen und Haarwürfen etwas Spannung in die zurückgenommene Nummer zu zaubern, wirkt aber nach der ungarischen Energie-Explosion vor ihr um so flacher. Das gibt eine rote Karte. Wie bereits am gestrigen Tag die skandinavischen Kollegen aus Norwegen und Dänemark transferierte auch das schwedische Team erwartungsgemäß die supersterile Sonnenbank-Show rund Benjamin Ingrosso eins zu eins auf die Altice-Arena-Bühne. Die man als Zuschauer übrigens erstmals nach zweieinhalb Minuten wahrnimmt, bis dahin könnte ‘Dance you off’ ein Videoclip sein. Einzige Veränderung zum Melodifestivalen: die Chorstimmen müssen beim ESC noch immer live sein, und das tut der Darbietung sogar gut und haucht ihr wenigstens ein Jota von Leben ein. Den hiesigen Blogger lässt diese Früher-Justin-Timberlake-für-Arme-Nummer noch immer vollkommen kalt, dennoch kann am Finaleinzug des Schwedenjünglings und der üblichen Top-Five-Platzierung kein Zweifel herrschen.
Aufmerksamen Augen sind natürlich die etwas enger sitzenden Bühnenklamotten nicht entgangen. Macht Benji für mich auch nicht sexy, aber die Geschmäcker sind ja verschieden…
Vanja Radovanović aus Montenegro schockierte bei der Probe durch seine modische Wahl: sein türkisfarbener, asymmetrisch geschnittener Pailetten-Sakko sieht ein wenig aus wie aus Luftpolsterfolie geschneidert und falsch zugeknöpft. Es begleiten ihn vier weiße Walküren. Und so sehr ich leidvolle Balkan-Ballade liebe: man denkt die ganze Zeit über unwillkürlich “Zejlko hätte das aber besser gemacht”. Pure Verzweiflung scheint im slowenischen Lager zu herrschen: dort pullte man eine Barei (ES 2016) und fakte mitten im Song eine technische Fehlfunktion, was Lea Sirk zum Acapella-Singen und zur Animation der Hallenbewohner nutzte. Zudem sang sie den letzten Refrain auf portugiesisch. Bleibt jedoch noch immer ein großes ‘Danke, nein’. Den heutigen Probentag beschließt der Ukrainer Melovin als singender Vampir: sein erhöht stehender Flügel dient ihm zunächst als Sarg (!), in welchen er mit einer Holzklammerkonstruktion festgeschnallt ist. Dann erhebt er sich, schreitet als Untoter die Treppe hinunter, wieder herauf, und nutzt seine Übernachtungsstätte nun zu ihrem musikalischen Zweck, während die Stufen in Flammen stehen. Die bizarre Show lenkt, ebenso wie die vier fingerschnipsenden Begleitchorist/innen – erfolgreich von dem furchtbaren Song und seiner entsetzlichen Aussprache ab. Seine Qualifikation sollte damit in trockenen Tüchern sein.
Lässt sich vermutlich auch als Menschentoaster verwenden: Melovins Sarghalter-Apparat.
Und damit sind die beiden Semis zum ersten Male durchgeprobt. Am Donnerstag kommt die erste Qualifikationsrunde wieder dran.
Reale Chancen mal beiseite: wer sollte es aus der zweiten Qualifikationsrunde 2018 unbedingt ins Semi schaffen (max. zehn Nennungen)?
- Moldawien: DoReDos – My lucky Day (10%, 110 Votes)
- Dänemark: Rasmussen – Higher Ground (9%, 95 Votes)
- Norwegen: Alexander Rybak – That’s how you write a Song (9%, 93 Votes)
- Ungarn: AWS – Viszlát Nyár (8%, 91 Votes)
- Australien: Jessica Mauboy – We got Love (8%, 86 Votes)
- Schweden: Sebastian Ingrosso – Dance you off (7%, 81 Votes)
- Polen: Gromee + Lukas Meijer – Light me up (7%, 72 Votes)
- Ukraine: Melovin – Under the Ladder (6%, 68 Votes)
- Slowenien: Lea Sirk – Hvala, ne! (5%, 56 Votes)
- Serbien: Sanja Ilić + Balkanika – Nova Deca (5%, 52 Votes)
- Montenegro: Vanja Radovanović – Inje (5%, 49 Votes)
- Rumänien: Humans – Goodbye (4%, 48 Votes)
- Georgien: Iraio – Sheni gulistvis (4%, 46 Votes)
- Lettland: Laura Rizotto – Funny Girl (4%, 42 Votes)
- Niederlande: Waylon – Outlaw in ‘em (4%, 41 Votes)
- Malta: Christabelle Borg – Taboo (3%, 28 Votes)
- Russland: Julia Samoylova – I won’t break (1%, 12 Votes)
- San Marino: Jessika Muscat + Jenifer Brening – Who we are (1%, 12 Votes)
Total Voters: 144

“Singender Vampir” ist wieder mal echt gut vom Hausherrn gewählt, hihihi…
Ansonsten: Es hat sich bestätigt, wie schwach dieses Semifinale besetzt ist. Heute fand ich nur Ungarn richtig gut!
Lea Sirk ist für mich im 2. Semi immer noch die Queen. Die muss sich einfach durchmogeln. Bitte ja!
Ich hätte nix dagegen, aber der Probenauftritt war wohl leider nicht gut.….