Micha­el Schul­te auf Pap­pe: der sechs­te Pro­ben­tag in Lissabon

Eine Wun­der­tü­te an Pro­ben brach­te der heu­ti­ge Tag in Lis­sa­bon, mit Star­tern aus allen drei Shows auf der Büh­ne der Alti­ce-Are­na. Über die­je­ni­gen des Vor­mit­tag kön­nen wir schnell hin­weg­sprin­gen, für die Qualifikationsrundenteilnehmer/innen von Arme­ni­en (sym­pa­thi­scher­wei­se unaus­ge­schla­fen, aber immer noch der schöns­te Bart 2018) bis Däne­mark war das schließ­lich bereits der zwei­te Durch­lauf, und all zu viel Nen­nens­wer­tes änder­te sich nicht. Die Ser­ben (zweit­schöns­ter Bart) haben ihre Lakritz­schnü­re wohl auf­ge­fut­tert, die bei­den für San Mari­no star­ten­den Ladys war­fen sich heu­te immer­hin in – dem Mode­the­ma des Jah­res fol­gend – teils extrem durch­sich­ti­ge Büh­nen­kla­mot­ten. Und bewie­sen Humor, in dem sie den eigent­li­chen Star ihres Auf­trit­tes, dem größ­ten der vier put­zi­gen Spiel­zeug­ro­bo­ter, dies­mal ein Schild mit der Auf­schrift “Jus­ti­ce for Valen­ti­na” hoch­hal­ten lie­ßen. Ich bin mal gespannt, was im TV-Semi auf der Demo­ta­fel steht! Doch was uns alle wirk­lich inter­es­siert, spiel­te sich heu­te Nach­mit­tag ab: da prob­te Micha­el Schul­te zum ers­ten mal in der Hal­le! Und zwar zu mei­ner Über­ra­schung mit einem im Ver­gleich zu Unser Lied für Lis­sa­bon visu­ell deut­lich auf­ge­frisch­ten Sta­ging. Das, soweit man in den Blogs nach­le­sen konn­te, einen span­nen­den Effekt auf Fans und Hater zeitigt.

Man gewinnt nicht den Ein­druck, dass sich Jes­si­ka wirk­lich über die Unter­stüt­zung von Jeni­fer freut…

Der sti­li­sier­te Lap­top vom Vor­ent­scheid schaff­te es wohl nicht durch den por­tu­gie­si­schen Zoll. Statt­des­sen steht der Nord­deut­sche im Halb- bzw. Drei­vier­tel­dun­kel vor einer halb­kreis­för­mi­gen LED-Wand (!). Erst zum Beginn des Refrains tritt er ins Licht. Die Gra­fik wur­de gegen­über ULfL nach mei­nem Dafür­hal­ten etwas ent­bun­tet und kon­zen­triert sich zunächst auf die (illus­trier­ten) Lyrics. Was den Vor­teil bie­tet, dass ein Groß­teil Euro­pas auf­hö­ren kann, sich zu wun­dern war­um Micha­els Fami­lie aus “three Kids and ele­ven Mums” besteht, wie man sein Nuscheln inter­pre­tie­ren könn­te, son­dern liest, dass es “three Kids and a loving Mum” sind. Der Knal­ler kommt jedoch mit der Brü­cke: wäh­rend der Sän­ger in die Erlö­ser­po­se geht, taucht er hin­ten­dran als Comic­fi­gur in der­sel­ben Hal­tung wie­der auf, die sich sofort in einer psy­che­de­li­schen Spi­ra­le ver­liert, in etwa so wie bei einer Ego-Auf­lö­sung auf LSD. Und das passt sogar zu den aktu­el­len Gescheh­nis­sen: ver­ar­bei­tet Micha­el in dem Lied den frü­hen Ver­lust sei­nes Vaters, so kann er die­se Rol­le nun bald selbst über­neh­men, denn er und sei­ne Ver­lob­te erwar­ten ein Kind: da schließt sich der Kreis des Lebens, und das visua­li­siert die­se Spi­ra­le sehr gut.

Nicht mehr lan­ge allein, allein: Micha­el Schul­te in Lissabon.

Nun ist ‘You let me walk alo­ne’ ohne­hin ein Song, der die Gemü­ter spal­tet, und lus­ti­ger­wei­se scheint die neue Insze­nie­rung zu einer Art Umkehr­ef­fekt zu füh­ren, wie sich bei­spiel­haft in den Bespre­chun­gen auf ESC Nati­on ver­fol­gen lässt. Dort schreibt Blog­ger Yair: “Vor­ab: Der hier nervt mich mas­siv, was für Deutsch­land gute Nach­rich­ten sind: bes­ser [nega­ti­ve] Emo­tio­nen als gar kei­ne Mei­nung, so wie es mir mit ihren vori­gen, geschei­ter­ten Songs ging. […] Nach dem Durch­lauf: […] Die Pro­jek­tio­nen dre­hen gegen Ende hin durch, wenn sein Kör­per eine Schat­ten­spi­ra­le wirft, dann ist es rot, und ver­dammt noch mal, ich begin­ne, es zu mögen.” Sei­ne Kol­le­gin Elin hin­ge­gen, die sich stolz zum “Team der Lieb­ha­ber die­ses Lie­des” zählt, meint: “Der Wech­sel in der Gra­fik macht es total kit­schig, fürch­te ich. Lie­be den Song noch immer, aber ich hof­fe, sie pro­bie­ren noch ande­re visu­el­le Ele­men­te aus und ent­schei­den sich für etwas ande­res”. Auch Prinz-Blog­ger Jan fin­det, “über den letz­ten Teil ab der Spi­ra­le soll­te man viel­leicht noch ein­mal nach­den­ken”. Tau­schen sich die Lager nun kom­plett aus? Und kann Micha­el mehr neue Fans hin­zu­ge­win­nen, als er alte ver­liert? Es bleibt spannend!

Wie bestellt und nicht abge­holt: Clàu­dia steht etwas ver­lo­ren auf der schmuck­lo­sen Büh­ne herum.

Doch auch die rest­li­chen Big Five und das Gast­ge­ber­land prob­ten heu­te zum ers­ten Mal. Die Por­tu­gie­sen ver­zich­ten dan­kens­wer­ter­wei­se auf den Bar­ho­cker und die Zwangs­ja­cke vom Fes­ti­val da Can­çaõ für die Kom­po­nis­tin und Zweit­stim­me Isau­ra, die ein­fach so lan­ge im Dun­keln bleibt, bis ihr Ein­satz kommt. Front­fau Cláu­dia trägt heu­te ein Bar­ba­ra-Dex-far­be­nes Nacht­hemd, Isau­ra ein Metal­li­ca-T-Shirt. Bleibt wohl für den Final­auf­tritt (hof­fent­lich) nicht so! Das Ver­ei­nig­te König­reich hat sei­ner Ver­tre­te­rin SuRie einen schi­cken, qua­dra­ti­schen Neon-Tun­nel spen­diert (böse Zun­gen sagen: ein in die Pres­se gera­te­nes Wal­fisch­ske­lett), das ein schö­nes Acht­zi­ger­jah­re-Fee­ling auf die Büh­ne zau­bert und das annie­lenn­ox­haf­te von SuRies Äuße­rem kom­pli­men­tiert. Die zwei­fa­che ESC-Hin­ter­grund­sän­ge­rin ent­bie­tet noch immer gele­gent­lich den Hit­ler­gruß, aber als his­to­risch nicht vor­be­las­te­te Bri­tin steht ihr das natür­lich auch frei. Die Inter­pre­tin wirkt ent­spannt und sym­pa­thisch; alles in allem ein fei­nes Paket, dass die Bri­ten geschnürt haben. Wäre da nur nicht die­ser lei­der etwas zu lasche Song.

Immer­hin ist hier die Büh­nen­de­ko­ra­ti­on kantig.

Wohl­tu­en­der Ver­zicht bei den Spa­ni­ern: hier wur­de das Büh­nen­bild vom Kla­vier ent­rüm­pelt, unse­re bei­den jun­gen Lie­ben­den star­ten nun am jeweils ent­ge­gen­ge­setz­ten Ende und schrei­ten lang­sam auf­ein­an­der zu, wie­der von­ein­an­der weg, und ver­ei­nen sich natür­lich gegen Ende. Also, nicht im bibli­schen Sin­ne, das ist schließ­lich eine Fami­li­en­sen­dung. Alfred wirkt nach wie vor recht ein­ge­schüch­tert, so als kön­ne er kaum glau­ben, so einen Fang gemacht zu haben. Und natür­lich war­tet der schwar­ze Teil mei­ner See­le nun dar­auf, dass es sich Ama­ia am Sams­tag noch anders über­legt und ihren dackel­au­gi­gen Galan vor Mil­lio­nen von Zuschauer/innen ein­fach ste­hen lässt. Dann – und nur dann! – wür­de ich viel­leicht sogar für Spa­ni­en anru­fen! Die Ita­lie­ner bewei­sen mal wie­der ihr Unver­mö­gen, einen bril­lan­ten Song euro­vi­si­ons­ge­recht zu insze­nie­ren. M & M ste­hen sta­tisch auf der Büh­ne und gucken grim­mig. Auf dem Bild­schirm wer­den in ver­schie­de­nen Schrift­ar­ten die ver­schie­de­nen Über­set­zun­gen ein­zel­ner Text­zei­len ein­ge­blen­det, wie wir es auch schon aus dem Video­clip oder aus der Sen­dung mit der Maus ken­nen. Ist gut gemeint, lenkt aber eher vom Lied ab, weil man sich die gan­ze Zeit fragt, was das jetzt gera­de wie­der für eine Spra­che ist.

Lost in Lis­sa­bon: so schaf­fen es die Bei­den nicht, den Inhalt ihrer Anti-Ter­ror-Hym­ne zu transportieren.

Den Abschluss des Tages bil­det mein Her­zens­sie­ger ‘Mer­cy’. Selbst­re­dend erschei­nen Madame und Mon­sieur wie­der in ihren exis­ten­zia­lis­ti­schen schwar­zen Roll­kra­gen­pul­lis, schwar­zen Fischer­ho­sen und roten Turn­schu­hen. Auch sie nut­zen die gan­ze Brei­te der Büh­ne mit­samt ihrer Außen­an­la­gen und haben dabei eine ganz schö­ne Weg­stre­cke zurück­zu­le­gen, was den Auf­tritt aber dyna­mi­scher macht. Soweit ich das lesen und sehen konn­te, gibt es – anders als beim fran­zö­si­schen Vor­ent­scheid Desti­na­ti­on Euro­vi­si­on – kei­ne Ein­blen­dun­gen von Fotos geret­te­ter Flüch­ten­der. Und, anders als bei den Ita­lie­nern, kei­nen Erklär­text. Es scheint, die gal­li­sche Dele­ga­ti­on ver­lässt sich dar­auf, dass die anrüh­ren­de Hin­ter­grund­ge­schich­te des Lie­des schon im Vor­aus über die Medi­en oder die Kom­men­ta­to­ren Ver­brei­tung fin­det. Dafür darf natür­lich die “Zieh mich an Bord”-Hand­be­we­gung zum “Je vais bien, mer­ci”-Part am Ende nicht feh­len – und das wird in der voll­be­setz­ten Hal­le, wenn die Fans das mit­ma­chen, fan­tas­tisch aus­se­hen! Soll­te die­ser fabel­haf­te huma­nis­ti­sche Appell doch ein Sieg­chan­ce haben? Es wäre jeden­falls ein gran­dio­ses State­ment Europas.

Mon­sieur belegt übri­gens Rang 3 in der Schönster-ESC-Vollbart-Liste.

Et c’est fini! Damit haben alle 43 Natio­nen min­des­tens ein­mal geprobt. Wir haben den / die Sieger/in also mit Sicher­heit schon gese­hen, ich kann nur mit Sicher­heit nicht sagen, wer es sein wird. Natür­lich geht der Pro­ben­zir­kus die nächs­ten Tage wei­ter, hier wird aller­dings kurz Funk­stil­le herr­schen, da sich der Blog­ger zur musi­ka­li­schen Kurz­zeit-Ent­gif­tung am Wochen­en­de ande­ren Genüs­sen hin­gibt. In der Zwi­schen­zeit ste­hen die Über­sichts­sei­ten für alle drei Shows mit­samt der Kurz­be­wer­tung und Vor­her­sa­ge für alle 43 Lie­der hier bereit:

Ers­tes Semifinale

Zwei­tes Semifinale

Fina­le

6 Comments

  • Inter­es­sant die Bewe­gun­gen bei den Boo­kies: Kei­ne Ände­rung bei UK, blau bei Deutsch­land (ohne jedoch nen­nens­wert nach oben zu kom­men, rot bei Por­tu­gal, rot-blau bei Spa­ni­en, Ita­li­en und Frank­reich, alle drei aber mehr rot als blau. Und was sagt das jetzt?

    Span­nend auch, dass aus Hatern jetzt Lover und aus Lovern jetzt kei­ne mehr wer­den. Bevor ich aller­dings ein Lover unse­res Bei­trags wer­de, friert die Höl­le zu. Den Shit­s­torm dürft Ihr Euch alle spa­ren, ich bin mit der sub­op­ti­ma­len Insze­nie­rung mei­nes Lieb­lings aus Ita­li­en schon gestraft genug.

  • Ich fin­de das ja dem por­tu­gie­si­schem Ver­an­stal­ter gegen­über etwas respekt­los auf die Büh­ne eine kino­lein­wand­gro­ße LED-Wand auf­zu­stel­len. Nach dem Mot­to inter­es­siert uns nicht was ihr als Gast­ge­ber für eine Show wollt wir brin­gen unse­re eige­ne Büh­ne mit.
    Der Song braucht die­se gra­phi­schen Gim­mi­ks auch nicht, das macht den Song eher bil­li­ger als dass es ihn aufwertet.
    Bin weder Hater noch Lover von dem Song aber ich krieg ne Gän­se­haut wenn er singt und den­ke daher mal er wird ein Ergeb­nis so um Platz 10 her­um einfahren.
    Viel Glück Michael! 

    Oh Por­tu­gal der Charme aus dem Vor­ent­scheid ist lei­der ein Stück weit weg in dem Ausschnitt!
    Ita­li­en braucht nichts wei­ter als die Sän­ger oft in Nah­auf­nah­me zu zei­gen, das wird schon!
    Frank­reich steht zum Schluss auf einer Büh­nen­in­sel im Publi­kum? Dann wird das auch gut!!

  • Inter­es­san­te Inter­pre­ta­ti­on der Spi­ra­le. Da nimmt das Gim­mick doch gleich mit ganz ande­ren Augen wahr.

  • @ Tho­mas

    Dann sind die Schwe­den und Mal­te­ser aller­dings nicht weni­ger respekt­los. Ich fin­de aller­dings nichts dabei. Das macht die Show viel­fäl­ti­ger und auf Klein­kunst grei­fen schon genug ande­re Dele­ga­tio­nen (Weiß­russ­land, Mol­da­wi­en, …) zurück.

  • @porsteinn

    Hab grad die 2 Pro­be im Prinz­blog von DE gele­sen und neh­me reu­mü­tig mei­ne unqua­li­fi­zier­te Kri­tik von oben zurück. Die haben ja gar kei­ne LED Wand genom­men son­dern Irlands Fes­sel­bal­loon vom letz­ten Jahr recykelt.
    Sehr löblich!!!

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