Hat das Land so eine Art von Geheimvertrag mit dem Karma? Oder wie schafft Israel es sonst, seine Eurovisionssiege mit einer derartigen mathematischen Präzision in Abständen von jeweils exakt 20 Jahren über die Grand-Prix-Geschichte zu verteilen? Und das auch noch mit einem jeweils ziemlich ähnlichen Konzept: 1978 schaffte es Izhar Cohen auf dem Höhepunkt der Discowelle mit einem tanzbaren, von der universalen Liebe unter den Menschen handelnden Kinderlied namens ‘A Ba Ni Bi’ und einer sensationellen Marge-Simpson-Frisur, die Jurys im Sturm zu erobern; 1998 gelang der kämpferischen Transsexuellen Dana International mit dem Tanzflächenfüller ‘Diva’ der bis heute wichtigste, weil ein unübersehbares, die gesellschaftliche Liberalität beflügelndes Zeichen für Toleranz und Respekt gegenüber dem Anderssein setzende Sieg in der Eurovisionshistorie. Und nun, weitere 20 Jahre später, führt die fantastische, vor selbstbewusstem Charme nur so sprühende Wuchtbrumme Netta Barzilai diese progressive Tradition fort und gewinnt mit der unglaublich spaßigen, ebenfalls extrem tanzbaren Emanzipationshymne ‘Toy’, einem so unverkrampften wie kraftvollen Beitrag zur aktuellen Feminismusdebatte, die europäischen Liederwettspiele. Wie wunderbar!
Sie sei eine “schöne Kreatur”, behauptet die hier vor ihren goldenen “Bären” (Peter Urban) zu sehende Netta in ihrem Song über sich selbst. Völlig zu Recht. Und ein Vorbild dazu (IL).
“Danke, dass ihr den Unterschied gewählt habt; danke, dass ihr die Verschiedenheit feiert,” freute sich die israelische Beth Ditto in ihrer knappen Ansprache – und nahm damit, bewusst oder nicht, Bezug auf das entsprechende Statement der letzten Eurovisionssiegerin mit gesellschaftlichem Anspruch, der Grand-Prix-Kaiserin Conchita Wurst (AT 2014). Ironischerweise schlug Netta mit den Stimmen des wie immer außerordentlich klug wählenden Publikums diesmal den Österreichern den Sieg aus den Händen, nachdem der alpenländische Vertreter und ehemalige bulgarische Backing Cesár Sampson mit seinem irgendwie ganz guten, irgendwie aber auch befremdlich düsteren Stück ‘Nobody but you’ im Juryvoting den ersten Platz belegte, während es bei den Zuschauer/innen für den doch sehr hölzern und roboterhaft agierenden Linzer nur für den dreizehnten Rang reichte. Um so erfreulicher, dass selbst die sich vermutlich in ihrer Männlichkeit bedroht fühlenden Spaßbremsen der ihre komplette Überflüssigkeit ein weiteres Mal drastisch unter Beweis stellenden Wertungsmafia den Sieg der quirligen Powerfrau Netta nicht verhindern konnten.
Nahm performatorisch kleinere Anleihen bei dem im Semi ausgeschiedenen polnischen DJ Heisenberg: Cesár Sampson (AT).
Das schönste Bild des Abends bot dabei ein kurzer Kameraschwenk ins Hallenpublikum während Nettas Auftritt, wo frenetisch feiernde, mit ziemlicher Sicherheit schwule Fans fröhlich die Textzeile “You stupid Boy” mitsangen und so zeigten, warum unsereins sich weder von dieser Ansage noch von dem Hühnergegacker angegriffen fühlt, mit dem die Sängerin sich über die Feigheit der Trumps dieser Welt lustig machte, die ihre Angst hinter Alphamännchengehabe verstecken: wissen wir aus eigener Erfahrung doch nur zu gut, dass Frauenfeindlichkeit und Homophobie zwei Seiten der selben hässlichen Medaille sind. Erquicklich auch, dass es der Israelin gelang, sich gegen ihre härteste Konkurrentin durchzusetzen, der für Zypern angetretenen, in Griechenland lebenden, gebürtigen Albanerin Eleni Foureira, deren feuriges ‘Fuego’ zwar einen mitreißenden Rhythmus, eine fantastische Hochleistungs-Tanzchoreografie mit wild im Windmaschinensturm fliegenden Haaren und das vom Vorjahressieger Salvador Sobral geschmähte Feuerwerk bot (ätsch!); mit einer sehr knappen Bühnenklamotte, weit gespreizten Schenkeln und einem komplett sinnbefreiten Text aber auch den exakten Gegenentwurf zur kämpferischen Netta darstellte.
Muss nach dem ESC entsetzlichen Muskelkater im Hals haben: Zyperns Ersatz-Shakira schüttelte drei Minuten lang ihr Haupthaar wie ein wildes Mädchen.
Dabei hatte der augenscheinlich auf Lebenszeit für die Startreihenfolge zuständige Christer Björkman (SE 1992) Eleni nach ihrem Publikumssieg im ersten Semifinale sogar eigens den Pimp Slot auf Startplatz 25 zugeschanzt. Mit der bemerkenswerten Zeile “You got me Pelican fly, fly, fly” unterlag sie im Rennen um den animalischsten Euphemismus für ein gut durchblutetes Geschlechtsteil nur ganz knapp ihrem tschechischen Mitbewerber Mikolas Josef und seinem “Set my Camel in the Mood”, nur einer von mehreren herrlich saftig-schweinischen Textstellen seines kontemporären, in keinem Formatradio fehlplatzierten (ja, das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, liebe Programmverantwortlichen!) Klopfers ‘Lie to me’, der musikalischen Bitte um ein letztes Abschiedsstößchen mit der aufgrund ihrer Untreue bereits in den Wind geschossenen Freundin, mit der er sich als würdiger Enkel Johnny Logans (IE 1987, ‘Hold me now’) empfahl. Mikolas, der sich bei den Proben fürs Semi bei einem Salto den Rücken verletzte und in ein Lissabonner Krankenhaus eingeliefert werden musste, gebührt die silberne Tapferkeitsmedaille dafür, dass er exakt diesen potentiell schmerzbringenden Stunt bei seinem Finalauftritt erneut hinlegte.
Ein Rätsel: wie kam Mikolas mit seinem Rucksack nur an den Sicherheitskontrollen vorbei (CZ)?
Die Goldmedaille geht zweifellos an die britische Vertreterin SuRie (Susanna Marie Cork), auch sie eine ehemalige ESC-Choristin. Sie wurde zum Opfer eines ebenfalls aus dem Vereinten Königreich stammenden Irren, der sich während ihres Auftritts an einer der Brücken über den Zuschauergraben hochhangelte, die Bühne stürmte und ihr das Mikrofon entriss, um irgendwelche wirren Forderungen hineinzublöken. Nach einem kurzen Schrecken berappelte sich die verständlicherweise schockierte Sängerin und schnipste im Takt zur Musik, während ihre Backings und die Fans in der Halle den Refrain von ‘Storm’ weitersangen, ergriff das von geistesgegenwärtigen Bühnenhelfern nach nur 15 Sekunden hingelegte neue Mikrofon und lieferte den Rest ihres im Lichte dieses Vorfalls beinahe prophetischen Songtextes über den Durchhaltewillen selbst bei widrigsten Umständen mit adrenalinverstärkten Aplomb ab. Höchster Respekt dafür sowie für ihre Entscheidung, die von den Veranstaltern angebotene Reprise abzulehnen, da sie “extrem stolz auf ihren Auftritt” sei. Das kann sie auch, im Gegensatz übrigens zu den feigen Hühnern der EBU, die das Youtube-Video dieses Vorfalls auf dem offiziellen Eurovisionskanal zensierten und durch den Auftritt aus dem Juryfinale ersetzten.
Heldinnenhaft: SuRie lässt sich trotz sichtbaren Schocks nicht von ihrer Performance abbringen (UK).
Dieselbe EBU übrigens, die erst diese Woche vorbildlich reagierte, als herauskam, dass der chinesische Streamingdienst Mango TV, der den ESC bis dato im potentiell zuschauer/innenstarken Reich der Mitte ausstrahlte, aufgrund dort seit Ende 2017 bestehender Zensurgesetze den irischen und den albanischen Beitrag aus seiner Übertragung des ersten Semis herausschnitt: den von Ryan O’Shaugnessy wegen seiner sich “abnormal” umturtelnden Tänzer, den von Eugent Bushpepa aufgrund seiner Tattoos (!). Außerdem wurden die von den Fernsehkameras eingefangenen Regenbogenflaggen im Publikum verpixelt. Umgehend entzogen die Genfer den Chinesen die Übertragungsrechte: “Das steht nicht im Einklang mit den Werten der EBU von Universalität und Inklusivität und der stolzen Tradition, Vielfalt durch Musik zu feiern”, so die Stellungnahme. Nun dürfte den Schweizern dieser Schritt trotz der damit verbundenen Einnahmeverluste nicht all zu schwer gefallen sein, kommt eine Vollteilnahme des autoritär regierten Landes am europäischen Wettbewerb ohnehin nicht in Frage. Dennoch: ein Lob, EBU!
Könnte die Jugend im Reich der Mitte verderben: der Softrocker Eugen Buschpfeffer und seine Körperbemalung (AL).
Zurück zu SuRie: leider setzte sich, wie schon 2010 bei dem von einem ähnlichen Vorfall betroffenen Spanier Daniel Diges, ihr Mut nicht in Punkte um: ‘Storm’ landete auf Rang 24.Viel mehr war für das okayene Liedchen allerdings auch nicht zu erwarten, denn bei allem Wohlwollen für die supersympathische Susanna fiel es in die Kategorie eines Nebenbei-Musikteppichs fürs Bügeln, die Playlist fürs Fitness-Studio oder das Supermarktradio, löste aber keinerlei Anruf-Impuls aus. Da leidet die Big-Five-Nation Großbritannien nach wie vor unter dem bereits seit 1957 virulenten Problem, dass in einem Land mit einem gesättigten Musikmarkt kaum ein Verleger das Risiko eingehen mag, einen wirklich starken Song mit ungewissem Ausgang beim Eurovision Song Contest zu verheizen und sich bei seinem Scheitern die Chancen auf die kommerzielle Verwertung zu versauen. Wie es besser geht, machte in diesem Jahr zum allgemeinen Erstaunen die von ähnlichen Problemen geplagte ARD vor, wo sich das vom NDR mit großem Tamtam angekündigte neue Vorentscheidungskonzept tatsächlich auszahlte.
Die Familie als Schutzraum vor dem bedrohlich tosenden Sturm des Weltengeschehens: Michael Schulte inszenierte sich als Messias des Cocooning (DE).
Dabei entpuppte sich der mithilfe einer internationalen Jury ausgewählte deutsche Beitrag keineswegs als “kantig”, wie von NDR-Mann Thomas Schreiber versprochen, sondern musikalisch als formatradiotaugliche, superseichte Ed-Sheeran-Soße. ‘You let me walk alone’ wucherte bei den Jurys (und etwas weniger stark bei den europäischen Zuschauer/innen) aber mit einem anderem Pfund, nämlich seiner Glaubwürdigkeit und Michael Schultes Mut zur Verletzlichkeit. Die anrührende Hommage an seinen früh verstorbenen Vater, von dem Buxtehuder Rotschopf mit angemessen brüchiger Stimme intoniert, öffnete nicht nur beim hiesigen Blogger verlässlich alle Schleusen. Ebenso verlässlich übrigens, wie sie bei Gefühlskitsch abholden Menschen für Würgereize sorgte. Und die damit erneut bewies, dass ein Beitrag mit Spaltpotenzial stets dem kleinsten gemeinsamen Nenner vorzuziehen ist. Positiv hervorzuheben übrigens die visuelle Inszenierung, der man anmerkte, dass sich erstmals seit Jahren jemand Gedanken gemacht hatte, wie der ESC funktioniert und wie man die Botschaft so transportiert, dass die Abstimmenden sich beim Schnelldurchlauf noch an das Lied erinnern. Es geht also, wenn man nur will! Bleibt zu hoffen, dass das überraschend gute deutsche Abschneiden 2019 zu einem Vorentscheidungsfrühling mit ein paar tatsächlich “kantigen” Songs führt.
Die ungarischen Melodie-Metaller von AWS verarbeiteten in ihrem Gedenksong eher aggressive Gefühle (HU).
Dabei war Schultes Song lediglich einer von insgesamt dreien (!), die sich mit dem Tabuthema Tod auseinandersetzten. Die beiden anderen taten dies allerdings mit deutlich weniger Erfolg: die ausgesprochen schmucken Schwermetaller von AWS erzählten in ‘Viszlát Nyár’ die Geschichte aus der umgekehrten Perspektive, als galliges Grußwort des auf dem Sterbebett liegenden Vaters an seinen Sohn, was insbesondere den Juroren wohl zu wenig Trost bot. Immerhin sprang für die Ungarn eine Einladung zum heiligen Gral der Fans von harten Tönen heraus, dem Wacken-Festival. Noch schlechter lief es für dem Heimbeitrag: Cláudia Pascoal reflektierte in ‘O Jardim’ über ihre verstorbene Großmutter, deren Garten sie nun in ihrem Angedenken pflegt. Die Begeisterung Europas für portugiesische Folklore entpuppte sich erwartungsgemäß als Strohfeuer: die Gastgeber pullten einen MakeMakes (AT 2015) und landeten unsanft auf dem letzten Platz. Und damit zurück im eurovisionären Jammertal. Interessanterweise verdankten die Portugiesen den Totalabsturz ausgerechnet der angeblich doch so auf Qualität achtenden Jury: die Zuschauer/innen bewerteten nämlich einen anderen Titel als noch schlechter.
Soviel Sympathie ich auch für die subtil sapphische Show von Cláudia empfinde: bei dem Lied schlafen einem die Füße ein (PT).
Nämlich den australischen. Die optisch wie akustisch auf der großen Bühne alleine völlig verlorene Jessica Mauboy sammelte für ihren mittelprächtigen Dance-Schinken ‘We got Love’ gerade mal neun Zähler beim Publikum ein. Von den Jurys gab es zehnmal (!) so viel. Ein zwar nicht ganz so krasses Missverhältnis wie noch im Vorjahr, wo mageren zwei Televotingpünktchen die 87,5‑fache Menge an Jurystimmen gegenüberstanden, aber bereits das zweite Mal in Folge, dass die amtlich bestellten Manipulatoren die Mates aus Down Under vor der Letztplatzschmach retteten. Riecht schon ein wenig fischig! Ganz besonders absurd gestaltete sich der Votingsplit jedoch beim italienischen Duo Ermal Meta und Fabrizio Moro, die mit ‘Non mi avete fatto niente’ einen der erfreulich zahlreichen politischen Beiträge des Jahrgangs lieferten, und einen erquicklichen noch dazu: stellten sie dem in poetisch-grausamen Bildern skizzierten Terror unserer Tage die wichtigen menschlichen Tugenden Besonnenheit, Durchhaltevermögen und vor allem Liebe entgegen. Eine Botschaft, die kriegslüsterne konservative Hardliner, für welche jeder neue Vorfall eine willkommene Gelegenheit darstellt, uns weitere Freiheitsrechte wegzunehmen, sicher nicht goutieren.
“Es existiert keine pazifistische Bombe”: hören Sie, Mister Trump (IT)?
Um so bezeichnender (und ärgerlicher), dass die tendenziell eher konservativen Jurys nur ein Fünftel so viele Stimmen für das erbauliche Machwerk von M&M übrig hatten wie das (erwähnte ich es bereits? stets klügere) Publikum, das den Italienern die Bronzemedaille verlieh und damit erneut bewies, dass eine starke Botschaft sich über jede Sprachgrenze hinwegsetzen kann. Fast immer: leider versandete der fantastische französische Beitrag ‘Mercy’, geschlagen mit einem sehr suboptimalen Startplatz und einer überraschend nervösen Interpretin, im Mittelfeld. Dabei erwies es sich als etwas unglücklich, dass die Sängerin Émilie Satt ihr hellblondes Haar streng scheitelte, was im fahlen Bühnenlicht zeitweilig so aussah, als habe sie eine Glatze. Dem Lied wäre es zu vergönnen gewesen, europaweit die Herzen zu erreichen: erzählte das Duo Madame Monsieur in so klaren wie poetischen Sprachbildern die wahre Geschichte des Flüchtlingsmädchens Mercy, die letztes Jahr auf einem im Mittelmeer kreuzenden Rettungsschiff zur Welt kam, nachdem ihre hochschwangere Mutter – im Gegensatz zu so vielen anderen, glücklosen Fliehenden – in letzter Minute aus der See gefischt wurde. Mercy lebt übrigens derzeit in einem Camp in Sizilien. Viel Glück!
Kamen in der Pflichtfarbe dieses Jahrgangs, in schwarz: Émelie Satt und Jean-Karl Lucas (klingt ziemlich allemand, n’est-ce pas?) alias Madame Monsieur (FR).
Eine der brennenden Fragen dieses Jahrgangs: was zur Hölle hat Christer Björkman eigentlich gegen die Spanier/innen? Deren altmodisches, extrem verkitschtes, heterosexuelles Pärchengeschleime ‘Tu Canción’, dargeboten von den TV-inszenierungsgerecht im Zuge des als iberische Vorentscheidung dieses Jahr aus dem Mottenschrank geholtem Castingshowformat Operación Triunfo frisch ineinander verliebte Duo Amaia Romero Arbizu und Alfred García Castillo fiel bei aller Verstaubtheit des Songs und der Bühnenklamotten in dieselbe Kategorie wie ‘You let me walk alone’: je nach Prädisposition seufzte man beim Anblick der menschgewordenen Susi & Strolch entweder vor Ergriffenheit oder würgte hart. Nicht zu vergessen: 2011 in Düsseldorf gewann genau so etwas, sogar noch deutlich unglaubwürdiger Vorgespieltes! Mit der Startposition 2 markierte Christer die diabetesinduzierende Ballade jedoch als hoffnungslos und zum Abschuss freigegeben, und entsprechend reagierten die Zuschauer/innen in der Abstimmung. Zumal die dröge Show direkt auf einen visuell aufmerksamkeitsstarken Opener folgte, der in seinem Semi am Donnerstag noch als Abschluss-Eyecatcher fungiert hatte.
Eine männliche 5 trifft auf eine weibliche 8: mal schauen, wie lange es hält (ES).
Nämlich dem ukrainischen Freizeit-Vampir Mélovin. Der fügte den bislang bekannten eurovisionären Mißbrauchsoptionen wehrloser Klaviere eine weitere hinzu: neben Versteckmöglichkeiten für vom KGB gesuchte Tänzerinnen (RU 2006), schlichtes Brennmaterial (AT 2015) oder als WC-Brille (RO 2014) lässt sich das Piano nämlich auch zu einer Art von Kreaturentoaster mit eingebautem Auswurf umfunktionieren. Auf selbigem allerdings noch klimpern zu wollen, während einem gerade die Showtreppe unter dem Hintern abfackelt, wirkt hingegen nur mäßig überzeugend: wo soll denn in dieser Apparatur noch Platz für die Klaviersaiten sein? Doch solch faktenhuberisches Gemäkel muss natürlich fehlgehen, richtete sich das nuschelige Gewimmer des blässlichen Kontaktlinsenzombies schließlich an die Zielgruppe der unter juvenilem Weltschmerz leidenden Pubertierenden, und denen braucht man mit Argumenten erst gar nicht kommen. Die Slowenin Lea Sirk erdreistete sich tatsächlich, im Finale denselben durchschaubaren Ups-eine-Tonband-Pannentrick anzuwenden wie in ihrem Semi. Die Zuschauer/innen fielen erneut darauf rein und ich dislike die lilahaarige Tröte jetzt noch mehr.
Hatte Feuer unterm Arsch: Mélovin in the Middle (UA).
Um nochmals auf Christer Björkman zurückzukommen, der sich langsam zum Running Gag dieses Jahrgangs entwickelt: was hat der Schwede eigentlich gegen die Juror/innen Europas in der Hand? Oder wie anders erklärt es sich, dass die Korrupten von der Manipulationsfront dem von dort entsandten Ersatz-Justin (Bieber oder Timberlake, suchen Sie sich nach Belieben einen aus) Benjamin Ingrosso 253 Punkte zuschaufelten und ihn so in die Top Ten hievten, während die europäischen Zuschauer/innen es bei 21 Zählern und dem viertletzten Platz beließen, einer deutlich angemesseneren Bewertung des halbgaren Justin-Werauchimmer-Albumfülltitels, den die mumpsgesichtige, laut Peter Urban mit fast der gesamten heimischen Pop-Prominenz verwandte Grinsebacke ablieferte? Und dem nicht einmal die mitgebrachte, gigantische Sonnenbank etwas Farbe einbräunen konnte? Mit musikalischer Qualität oder Kommerztauglichkeit kann es offensichtlich nichts zu tun haben. Wohl eher schon etwas mit der Vormachtstellung der Blaugelben in den Bereichen Styling og Consulting, ESC-Produktionstechnik und bezüglich der Zahl der auf den Grand Prix spezialisierten, international tätigen Komponist/innen. Ich verlange einen Untersuchungsausschuss!
I will be do‑, do‑, dozing off: der Inkasso-Benji mit dem wohl unoriginellsten schwedischen Beitrag seit ‘Listen to your Heartbeat’ (SE).
Andersherum verlief es beim skandinavischen Kollegen Rasmussen: der dänische Musicaldarsteller und Publikumssieger in seinem Semi räumte auch im Finale für seinen Shanty-Stampfer die Punkte nur so ab und landete im Televoting auf Rang 5 (gesamt: 9). Bei seinem Anblick wird sich der 2016 von der EBU aus pekuniären Gründen verhinderte rumänische Repräsentant Ovidiu Anton in den Hintern gebissen haben, wilderte der rothaarige und ‑bärtige Wikinger doch musikalisch arg in seinen Gefilden des Meat-Loaf-Gedächtnis-Pomps. Das auf einer christlichen Heiligensage beruhende, pazifistische ‘Higher Ground’, das davon erzählte, den Pfeil stecken zu lassen und lieber zu beten als zu brandschatzen (ich hätte da ja weitere Ideen zur alternativen Freizeitgestaltung!), entwickelte sich auch bei mir aufgrund seiner hymnenhaften Mitsingbarkeit rasch zum heimlichen Guilty Pleasure. Ein Land weiter, in Norwegen, zerstoben die Hoffnungen des Siegers von 2009, Johnny Logan zu beerben: das ebenfalls ganz schön ohrwurmhafte ‘That’s how you write a Song’ bescherte dem Dorian Gray der Eurovision, dem seit damals keinen Tag gealterten Alexander Rybak, nur eine Mittelfeldplatzierung. Vermutlich erwies sich das Scatten als eine nicht ganz so brillante Idee.
Hatten die Wikinger schon Haargel oder Rasmussen sich schlicht seit einer Woche die Mähne nicht mehr gewaschen (DK)?
Die vergnüglichsten drei Minuten dieses Jahrgangs steuerten unterdessen die als Spaßlieferanten seit Jahren hochgradig verlässlichen Moldawier bei. Ihr vom russischen Ralph Siegel, Filip Kirkorov (RU 1995), geschriebener und vom Frankfurter Produzenten und zeitweiligem Oberbürgermeister-Kandidaten Shantel remixte Balkan-Schlager ‘My lucky Day’ verschmolz hart pumpende Beats, supergeile Bukovina-Trompeten, einen mehr als süffigen Refrain und legendäre Aua-Reime wie “Do you feel the Magic? / Are you real? Fantastic!” zu einem unwiderstehlichen Ohrwurm, der sich nunmehr seit Monaten fest in meinem Gehirnwindungen eingenistet hat und sich dort sehr wohlfühlt. Dazu lieferten die aus dem abtrünnigen Transnistrien stammenden DoReDos mithilfe von drei Doppelgänger/innen und einer weißen Schrankwand ein grandioses Verwechslungstheater. Bei dem übrigens die rosafarbene Zweitbesetzung eine Doppelgänger-Doppelrolle übernehmen musste und obenrum als Mann, untenrum als Frau agierte. Eine genderfluider Show aus einem homophoben Land, wer hätte es gedacht? Fantastic!
The Rhythm is driving me wild: die doppelten DoReDos beim Finalauftritt. Gewissermaßen die DoDoReReDosDos (MD).
Das Gegenprogramm für die Spaßhasser kam vom Baltikum: die Litauerin Ieva Zasimauskaitė schlug in der familienorientierten Beziehungsballade ‘When we’re old’ in die gleiche Kuschelkerbe wie Michael Schulte oder das spanische Pärchen. Auch sie brachte ihren Gemahl mit auf die Bühne, allerdings nicht als vokale Unterstützung. Sondern als Anschmachtobjekt für die Schlusseinstellung, nachdem sie die ersten 2 Minuten 50 in der Hocke auf dem Bühnenboden verbracht hatte. Was zusammen mit ihrer unglaublich fragilen Stimme den Gesamteindruck vermittelte, ihr Mann gebe ihr wohl nichts zu essen. Könnte sich als schwierig erweisen mit dem Altwerden! Elina Netšajeva aus dem benachbarten Estland wiederum gab in ihrem völlig sinnfreien Opernzitate-Medley ‘La Forza’ die in höchsten Tonlagen (ziemlich dünn) kreischende Eisprinzessin, verschwand in der Wahrnehmung jedoch völlig hinter ihrem medial bis zum Erbrechen ausgeschlachteten Projektionskleid, mit dessen Stoffmenge man vermutlich ein komplettes Flüchtlingscamp bezelten könnte. Erwartungsgemäß schaffte das geschmackspolizeiliche Schwerverbrechen spielend die Finalqualifikation und dort eine Top-Ten-Platzierung. Manchmal fällt einem die Wertschätzung für seine Mitmenschen doch ziemlich schwer…
Hänschen, piep einmal: die Zasimaus mit ihrer ja doch ganz anrührenden Ballade (LT).
Bleibt noch das Rahmenprogamm, das im Finale natürlich etwas üppiger ausfiel als in den Semis und erneut zu einer unnötig langen Sendedauer führte. Bei allem Verständnis für das Bedürfnis der gastgebenden Nationen, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, wo sie die Show schon in großen Teilen bezahlen müssen: lässt sich das nicht ein bisschen straffen? Zumal es für den auf eine Ansammlung von verrückten Inszenierungen und schrägen Kostümen eingestellten Zuschauer eine ganz schöne Qual ist, zum Auftakt erst einmal gefühlt eine Stunde lang portugiesische Selbstmordmusik über sich ergehen zu lassen. Schön natürlich, den Helden von Kiew, Salvador Sobral, nach überstandener Herztransplantation wieder auf der Bühne begrüßen zu können. Die eigenwillig gehüpfte Freestyle-Interpretation seines Siegertitels ‘Amar pelos Dois’ sorgte jedoch weniger für neuerliche Gänsehaut als für dezentes Befremden. Ein großes Lob hingegen für die schönen Matrosen (und ‑innen), die den Einzug der Finalteilnehmer/innen begleiteten und für den einzigen wirklich amüsanten Moment in der Moderation sorgten, als ein scheinbar nackter, an entscheidender Stelle leider von der grafischen Bauchbinde bedeckte Seemann einer der Vier etwas überreichte und am TV-Gerät zuschauende Homoletten in ganz Europa verzweifelt an ihren Bildschirmen rubbelten.
Leider nur in der zensierten Fassung (mit ausgetauschtem britischen Auftritt) erhältlich: das Finale 2018. Aber sich über die Zensur der Chinesen aufregen! Schon mal das Wort “Doppelmoral” gehört, liebe EBU?
Nächstes Jahr also nach Jerusalem. Wenn es die Stadt bis dahin noch gibt – der vor wenigen Tagen erfolgte Austritt der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran hat leider einen verheerenden Krieg in der Region wieder ein Stück wahrscheinlicher gemacht. Hoffen wir das Beste!
ESC 2018, Finale
Finale des Eurovision Song Contest 2018, Samstag, der 12. Mai 2018, 21 Uhr, aus dem Pavilhão Atlântico in Lissabon, Portugal. 26 Teilnehmernationen. Moderation: Filomena Cautela, Sílvia Alberto, Catarina Furtado und Daniela Ruah.# | Land | Interpreten | Songtitel | Televoting | Jury | Summe | Platz |
---|---|---|---|---|---|---|---|
01 | UA | Mélovin | Under the Ladder | 119 | 011 | 130 | 17 |
02 | ES | Amaia Romero Arbizu + Alfred García Castillo | Tu Canción | 018 | 043 | 061 | 23 |
03 | SI | Lea Sirk | Hvala, ne! | 023 | 041 | 064 | 22 |
04 | LT | Ieva Zasimauskaitė | When we’re old | 091 | 090 | 181 | 12 |
05 | AT | Cesár Sampson | Nobody but you | 071 | 271 | 342 | 03 |
06 | EE | Elina Netšajeva | La Forza | 102 | 143 | 245 | 08 |
07 | NO | Alexander Rybak | That’s how you write a Song | 084 | 060 | 144 | 15 |
08 | PT | Cláudio Pascoal | O Jardim | 018 | 021 | 039 | 26 |
09 | UK | SuRie | Storm | 025 | 023 | 048 | 24 |
10 | RS | Sanja Ilić + Balkanika | Nova Deca | 075 | 038 | 113 | 19 |
11 | DE | Michael Schulte | You let me walk alone | 136 | 204 | 340 | 04 |
12 | AL | Eugent Bushpepa | Mall | 058 | 126 | 184 | 11 |
13 | FR | Madame Monsieur | Mercy | 059 | 114 | 173 | 13 |
14 | CZ | Mikolas Josef | Lie to me | 215 | 066 | 281 | 06 |
15 | DK | Rasmussen | Higher Ground | 188 | 038 | 226 | 09 |
16 | AU | Jessica Mauboy | We got Love | 009 | 090 | 099 | 20 |
17 | FI | Saara Aalto | Monsters | 023 | 023 | 046 | 25 |
18 | BG | Equinox | Bones | 066 | 100 | 166 | 14 |
19 | MD | DoReDos | My lucky Day | 115 | 094 | 209 | 10 |
20 | SE | Benjamin Ingrosso | Dance you off | 021 | 253 | 274 | 07 |
21 | HU | AWS | Viszlát Nyár | 065 | 028 | 093 | 21 |
22 | IL | Netta Barzilai | Toy | 317 | 212 | 529 | 01 |
23 | NL | Waylon | Outlaw in ‘em | 032 | 089 | 121 | 18 |
24 | IE | Ryan O’Shaugnessy | Together | 062 | 074 | 136 | 16 |
25 | CY | Eleni Foureira | Fuego | 253 | 183 | 436 | 02 |
26 | IT | Ermal Meta + Fabrizio Moro | Non mi avete fatto niente | 249 | 059 | 308 | 05 |
Chapeau! Dir an dieser Stelle mal ein ganz großes Danke für die Nachlese! Du weißt, dass ich nicht immer und in allen Punkten Deiner Meinung bin, trotzdem wollte ich einfach mal loswerden, wie toll ich es finde und wie gut es mir speziell in dieser Saison getan hat, dass Du immer eine klare Kante hast und Dir gestattest, einen Beitrag auch dann toll zu finden, wenn ihn alle blöd finden und umgekehrt. Das hat mir in diesem Jahr sehr gut getan.
Das Finale in voller Länge inklusive Zwischenfall gibt es übrigens hier:
https://www.eurovision.de/videos/2018/ESC-2018-Das-Finale-in-voller-Laenge,finale1378.html
SuRie kann man nur huldigen. Ich habs mir gerade nochmal angeschaut ‑Wahnsinn. Boah, war die souverän. Und sauer. Und toll. Ich hätte mir gewünscht, dass sich das auch auf dem Scoreboard etwas mehr niederschlägt. Das war unglaublich, wie sie reagiert hat. Und super, dass sie NICHT nochmal gesungen hat, sie konnte dabei nur verlieren.
Ansonsten bin ich heute super zufrieden. Riesengratulation an Israel, ein absolut würdiger Sieger, auch wenn ich mit dem Song nicht viel anfangen kann. Aber die Frau und die Botschaft sind toll!
Ich freu mich wahnsinnig für Österreich, Italien und Tschechien, hätte Irland gern etwas weiter vorn gehabt, nun ja, und Deutschland hat leider in diesem Jahr meinen Hassbeitrag geliefert, der mich nach wie vor nur schüttelt, nicht rührt (da gibt es andere, obwohl ich eigentlich genau zu seiner Zielgruppe gehöre). Dennoch, der vierte Platz ist insofern ideal, als das Gewerkel und Gewürge des NDR endlich mal ein Ergebnis gebracht hat. Das macht Mut für die kommenden Jahre.
Alles in allem war das gestern ein ausgesprochen kurzweiliger und pläsierlicher Abend. Und jetzt muss ich weiter entgiften 🙂 (werde aber demnächst auch noch nachlesen).
wie üblich wunderbar zusammengefaßt und bewertet wie man es besser nicht könnte – nur bei lea sirk hat der autor nicht genau hingehört. die hat nämlich zum glück eben nicht versucht, uns die gleiche “technische panne” zu verkaufen (was ja zu befürchten war), sondern den “are-you-ready-to-sing-with-me”-animationsteil mit einem “stop the music!” eingeleitet, was wohl spontaner aussehen sollte als es am ende rüberkam – aber immerhin.
Puh, das ist ja gerade noch mal gut- und der zypriotische Kelch an uns vorbeigegangen! “Toy” war zwar nicht mein persönlicher Favorit, ich hatte es aber ziemlich weit oben auf dem Zettel, und war richtig erleichtert, als klar wurde, dass Netta gesiegt hat.
Ich finde es unmöglich, wie sterk Björkmann und Co durch Platzierung der Titel auf die Wertung Einfluss nehmen. Eleni und Melovin haben sowohl im Semi als auch im Finale Super-Startplätze zugeschanzt bekommen (im Fall von Melovin glücklicherweise ohne Erfolg), und andere, wie etwa die Spanier, wurden dagegen, wie hier völlig richtig festgestellt, bewusst kaltgestellt.
Natürlich mag eine derartige Komposition für die Zuschauer positiv sein (es ist definitiv ein abwechslungsreicher Mix entstanden), aber die Show ist schließlich auch ein Wettbewerb, und da ist derartiges einfach unfair. Ich plädiere ganz dringend für eine Rücjkkehr zum reinen Losverfahren.
SuRie habe ich wirklich bewundert, Respekt für ihre Nerven und ihre Professionalität! Habe sogar für sie angerufen, aber die meisten fanden den Song (im Gegensatz zur Künstlerin) eben tatsächlich nicht besonders.
Umso schlimmer, dass in britischen Medien jetzt schon wieder das Gewinsel von wegen “endlich aus der Eurovision aussteigen, denn, buhu, niemand mag uns” eingestellt hat.
Eine Anmerkung zum Text oben: Portugal landete sowohl bei den Juries als auch im Televoting auf dem vorletzten Platz. Hier eine einseitige Rettung zu sehen ist nicht korrekt.
Und ebenso wie Tamara möchte ich mich (auch wenn wir sehr oft nicht einer Meinung sind) ganz herzlich für das Engagement des Bloggers bedanken.
@huckbert: den gleichen Fehler hat auch Peter Urban gemacht.
Das erste Jahr, wo ich des Hausherrens Aversion gegen die Jurys vollkommen zustimmen muss. Österreich und Schweden auf der 1 und der 2? Dagegen ist ja jeder Programmdirektor jeglichen Format-Dudelsenders innovativer.
Ich würde ja gern mal wieder einen ESC erleben, bei dem der Sieger nicht schon Wochen vorher feststeht. Wird wohl ein Traum bleiben. An das System mit den getrennten Jury- und TV-Wertungen werde ich mich scheinbar nie gewöhnen. Hatte mich doch gewundert weshalb der Sieger nicht ausgerufen wird und die zweite Wertung vergessen.
SuRie hatte ich als Pause genutzt und so natürlich das Debakel live verpaßt. Dank an alle, die das echte Video ins Netz stellten.
Moldawien hätte ich gern weiter vorn gesehen, für mich der beste Auftritt des Abends.
Daß an den Shows gespart wurden war nicht zu übersehen, hat mir aber trotzdem gefallen. Der ESC braucht keinen Bombast wie damals in Moskau. Letztendlich zählen nur die Musik in ihrer ganzen Diversität und ihre Interpreten. Es war sicher für jeden Geschmack was dabei und Tel Aviv ist nicht der schlechteste Austragungsort. Allerdings ein teures Pflaster und zum ESC werden die Preise sicher noch drastisch ansteigen. Laßt das Sparen beginnen!
1. Schweden von den Jurys deutlich überschätzt und von den Zuschauern deutlich unterschätzt.
2. Italien auf 3 bei dem Zuschauern ist für mich absolut unverständlich, Botschaft hin oder her. Für mich ist dieser Song viel zu sperrig.
Oje. Es wurde vieles richtig und vieles falsch gemacht. Schweden auf 1 bei der deutschen Jury ! gehts noch ?
Wohingegen ich mit einem österreichischen Sieg hätte leben können. Richtig wiederum das Televoting für Schweden und vor allem für Australien. Zypern völlig überbewertet und auch Moldau fand ich im Semi um Klassen besser als im Finale. Daher wohl auch der Mittelplatz. Ebenso fatal die Jurywertung für Italien. Schande !!
Was aber wiederum zufrieden stimmt ist die Ausgewogenheit beider Wertungsblocks, die das Gesamtergebnis durchweg akzeptabel macht. Ein schöner Jahrgang wars…
Irgendwo ist es nicht konsequent, das deutsche Auswahlverfahren zu loben und gleichzeitig die Überflüssigkeit der Jury hervorzuheben. Beim nationalen Auswahlverfahren gab es, wie ich es hier schon vor einigen Jahren für den ESC gefordert habe, nämlich gleich zwei Juries (ein internationales Experten-Panel und ein nationales Fan-Panel) und das Televoting zählte nur 33 %. Ich bleibe dabei. Auf das Format könnte man sich auch beim ESC gerne einigen, 33 % für Expertenjuries (die vergrößert werden sollten und dringend um akademische Vertreter erweitert werden sollten um die Beiträge auch auf ihren konzeptionellen und musiktheoretischen Wert zu prüfen), 33 % für OGAE Mitglieder, ausgewählte Blogger etc. und 33 % für das Televoting. Dass sich die Wiedereinführung der Juries in den letzten 10 Jahren positiv auf die Qualität der Beiträge ausgewirkt hat im Vergleich zu den teilweise schrecklichen Jahren nach der Jahrtausendwende, sollte unbestritten sein. Mit einer weiteren Reduktion des Televotings könnte dieser Trend verstetigt werden. Wenn dann noch das Live-Orchester wieder eingeführt würde (zumindest fakultativ), wäre ich vollends glücklich.
Beim ESC 2018 wurde…
…guter Gesang belohnt (Dänemark) und schlechter bestraft (Irland)
…schlechter Gesang belohnt (Zypern) und guter bestraft (UK)
…gute Show belohnt (Tschechien) und schlechte bestraft (Slowenien)
…schlechte Show belohnt (Schweden) und gute bestraft (Norwegen)
…Trash belohnt (Zypern) und bestraft (Finnland)
…gut rübergebrachtes Emotionales belohnt (Deutschland) und schlecht transportiertes bestraft (Frankreich)
Mit anderen Worten: ein ganz normaler ESC. Mit einem berechtigten Sieger, was ja nicht immer der Fall ist.
Und der ESC fängt ja eigentlich schon Monate vor der Finalwoche an. Weshalb wir hier im Blog gut bedient werden. Merci.
Die größte Freude für mich war das Abschmieren meiner beiden Haßtitel beim Televoting: Nur 9 Punkte für Australien und vor allem nur 21 Punkte (!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!) für den quäkenden Bubi aus Schweden.
Zum Glück haben diesmal die Zuschauer Geschmack bewiesen und dem mit Abstand qualitativ besten Beitrag (nämlich den aus Italien) auf Platz 3 vorgewählt. Hätte ich SO niemals gedacht.…. Besonders krass zeigen sich die Unterschiede bei der deutschen Wertung -.da liegen Welten zwischen den “Experten” und dem Publikum !
Und in der Tat: Man kann sich sowohl für “Amar pelos dois” als auch für “Toy” begeistern.
@ Usain
Da stimme ich Dir gerne zu. Ich habe lange Zeit für die Jurys plädiert. aber dieses Jahr haben sie lediglich Deutschland, Albanien und Frankreich goutiert (LItauen hätte es auch ohne sie in die bessere Hälfte geschafft) und der österreichische Titel läßt mich leider vollkommen kalt. Insofern hoher Nervfaktor !
@Sebastian: Zwei verschiedene Paar Schuhe: beim Vorentscheid können (internationale) Jurys ein sinnvolles Instrument sein. Dort geht es ja drum, einen Beitrag auszuwählen, der bei den europäischen Zuschauer/innen ankommt. Und da tut sich das heimische Publikum oft schwer, weil es nach dem eigenen, heimischen Geschmack wählt und dann sauer ist, wenn die europäischen Nachbarn anderes bevorzugen. Eine internationale Jury kann hier ein Indiz dafür geben, was außerhalb der eigenen (Geschmacks-)Grenzen ankommt.
Beim ESC selbst besteht hierfür kein Bedarf.
Und nein, “dass sich die Wiedereinführung der Juries in den letzten 10 Jahren positiv auf die Qualität der Beiträge ausgewirkt hat im Vergleich zu den teilweise schrecklichen Jahren nach der Jahrtausendwende,” ist keinesfalls unumstritten. Für mich persönlich waren das die besten Jahre des Contests mit Beiträgen genau nach meinem persönlichen Geschmack. Worüber sich nicht streiten lässt, ist, dass die Jurys Balladeskes bevorzugen, während die Zuschauer/innen mehrheitlich auf fröhlich-Buntes stehen. Und dass die Jurys gewissermaßen als Verbündete für die Balladenfans dienen, die in den “schrecklichen Jahren” halt nicht so stark bedient wurden, weil sie in der Minderheit sind.
Jurys sind insofern, je nach persönlicher Disposition, Instrumente des geschmacklichen Minderheitenschutzes oder mafiöse Manipulatoren, die den Zuschauer/innen den Willen einer kleinen Gruppe von Menschen aufzwingen. 🙂
Ich kann zwar nicht behaupten (dazu fehlen einfach eindeutige Belege) dass es wirklich an den Juries liegt, aber das mit den “schrecklichen Jahren” sehe ich auch so, und zwar ***nicht*** wegen schrillbunt gegen Balladen (da habe ich keine klaren Präferenzen, ich mag Balladen genauso gern wie etwa Punk oder Hardrock), sondern wegen der Gesangsqualität. Die ist in den letzten Jahren enorm gestiegen, gerade im diesjährigen Jahrgang gab es da fast gar keinen Ausschuss. Allerdings geht das auch einher damit, dass nicht nur die unteren, sondern auch die oberen “Spitzen” weggefallen zu sein scheinen, es also eine Tendenz zum Mittelmaß im Sinne von technisch perfekt aber uninspiriert und risikofrei gibt. Das hat aber wohl mehr mit der Kombi aus Tele und Jury zu tun, ein reines Juryvoting hätte diesen Effekt vermutlich nicht. Und mit der wachsenden Zahl von Berufskomponisten für egal-welches-Land, was wiederum vielleicht die Kehrseite der Professionalität ist.
Stylistische Vielfalt jedenfalls war dieses Jahr auf jeden Fall vorhanden.
Im übrigen: ich hatte gerade dieses Jahr nicht den Eindruck, dass die Juries de Anwälte der Balladenn waren. Im Gegenteil, ich war recht überrascht, dass sie oftmals den “rockigeren” Geschmack hatten. Das hätte es “zu meiner Zeit” (70er) definitiv nicht gegeben (und ich freue mich über diese Tendenz). 🙂
Nachträglich auch mein Dankeschön für die unterhaltsame Nachlese.
Und mein Dank an Portugal für eine schöne Bühne ohne LED, das hat mir sehr gut gefallen.
Und auch mein Dank an Salvador, durch seinen Sieg gab es wieder mehr Mut zu anderen Sprachen als Englisch (immerhin 9 Titel im Finale)
Die Show war zweigeteilt, alle Pinkelpausen waren in der ersten Hälfte, das Finale hat erst ab Albanien Fahrt aufgenommen.
Der Sieg Nettas geht natürlich i.O. wobei viele Titel auf einem ähnlichen Level waren, der ganz große Überflieger war dieses Jahr nicht dabei.
Es ist schon erstaunlich wenn der Sieger im Semi nur Vierter im Televote wird (Punktgleich mit Österreich!)
Die deutschen Jurypunktevergabe war ja mal eine einzige Lachnummer, und was alle Jurys mit meinen 2 Siegern des Abends, Tschechien und Italien gemacht haben spottet jeder Beschreibung.…
Dafür haben sie meinen Landsmann aufs Podest gehoben 🙂
Dann auf nach Tel Aviv nächstes Jahr ! (Ein ESC in Jerusalem, der neuen Hauptstadt mit Trump´schen Segen kann ich mir nur schwer vorstellen) 🙂