“Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor”: dieses Faust-Zitat passt ganz wunderbar zu den aktuellen Ränkeschmieden um die Ausrichtung des Eurovision Song Contest 2019 in Israel. Dass der Wettbewerb nach dem Sieg von Netta Barzilai in Lissabon in dem Nahostland stattfinden soll, wissen wir bereits seit Mai 2018. Dass es eine Fehde um den mögliche Austragungsort gibt, mit dem weltoffenen Tel Aviv und der umstrittenen religiösen Hauptstadt Jerusalem als aussichtsreichste Bewerber, auch. Nun stand in den letzten Tagen die gesamte Ausrichtung auf Messers Schneide, weil sich der Sender Kan und die israelische Regierung eine Auseinandersetzung um die Finanzierung des von der EBU geforderten Pfandgeldes in Höhe von 12 Millionen Euro (!) lieferten. Das verlangen die Genfer seit diesem Jahr als Ausfallgarantie für den Fall, dass die Show aus irgendwelchen Gründen (Organisationschaos, Politik, höhere Gewalt) kurzfristig verlegt werden muss. Kan wollte diesen Betrag nicht aus seiner Schatulle nehmen, die bereits durch die Ausrichtung des Wettbewerbs belastet ist, und forderte Hilfe vom Finanzministerium. Dort war man allerdings der Meinung, bei einem Jahresbudget von 177 Millionen Euro müsse der Sender den Betrag selbst finanzieren. Aufgrund des anhaltenden Verhandlungsmarathons verlängerte die EBU die Zahlungsfrist bereits um 14 Tage – bis zum gestrigen Stichtag.
“I don’t care about your Stefa, Baby”: Netta ist Geld egal. Der EBU nicht.
Kurz vor knapp erhöhten die Streithähne dann nochmals den Einsatz: Kan verkündete öffentlich, die Austragung des Song Contests an die EBU zurückzugeben, wenn der Staat das Geld nicht vorschieße. Premier Netanjahu nahm das nach einem unbestätigten Bericht der Zeitung Haaretz zum Anlass, mit der unmittelbaren Einbringung eines Gesetzentwurfs zur Schließung der Rundfunkanstalt in die Knesset zu drohen. Wir erinnern uns, dass das Verhältnis zwischen dem konservativen Regierungschef und der eher liberalen TV-Organisation ohnehin angespannt ist: Anfang letzten Jahres zerschlug Netanjahu bereits die Vorgängeranstalt IBA und verfolgte dabei vor allem das Ziel, die Nachrichtenredaktion des Senders kaltzustellen, über deren regierungskritische Berichterstattung er sich ärgerte. Was, wohlgemerkt, die eigentliche Aufgabe eines jeden Journalisten ist: den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Die EBU sprang den Fernsehleuten zur Seite und betonte, nur ein Sender mit einem Vollprogramm – zu dem eben auch selbstproduzierte Nachrichten gehörten – könne Mitglied der europäischen Rundfunkunion bleiben. Nun gab es in allerletzter Sekunde einen Kompromiss, der im Wesentlich einer Kapitulation von Kan gleichkommt: der Sender muss sich die 12 Millionen von der Bank leihen.
“Dein Leben dreht sich nur im Kreis, so voll von weggeworf’ner Zeit”: Wolfsheim wissen Bescheid.
Haaretz zufolge habe sich das Finanzministerium jedoch bereiterklärt, dem Sender den Vorschuss zu erstatten, sollte der Contest “aufgrund eines Krieges, eines Erdbebens oder politischen Drucks der BDS-Bewegung” (einer Organisation, die durch Boykottaufrufe Israel zur “Rückgabe alles arabischen Landes” bringen will) nicht wie geplant stattfinden können. Uff! Da wirken die bisherigen Scharmützel um die Frage, ob am Sabbat – der Zeit zwischen dem Sonnenuntergang am Freitagabend und Samstagabend, an dem strenggläubige Juden ruhen müssen und das öffentliche Leben vor allem in Jerusalem komplett zum Erliegen kommt – die notwendigen Proben und das Juryfinale laufen können, richtiggehend harmlos. Jedenfalls ist das Pfand jetzt bei der EBU hinterlegt, der Grand Prix 2019 kann in Israel stattfinden, die bereits gestreuten Spekulationen, ob es stattdessen nach Zypern, Österreich oder gar Deutschland gehe, haben sich erledigt. Da dürfte dem NDR ein mittelschwerer Stein vom Herzen gefallen sein! Und damit sind wir nach all dem Tamtam wieder am Ausgangspunkt zurück und praktisch keinen einzigen Schritt weiter. Denn in welcher Stadt der Event nun steigen soll, steht immer noch nicht fest! Dass Netanjahu für Jerusalem plädiert, während Kan und die EBU eher mit Tel Aviv liebäugeln, ist ein offenes Geheimnis und vermutlich der eigentliche Grund für das Gezanke und die mangelnden Fortschritte. Mit weiterem Drama darf also gerechnet werden. Die EBU kündigte heute eine Entscheidung in der Städtefrage “für September” an: da bin ich mal gespannt!
Geben wir es ruhig zu: ohne ein bisschen Drama wüssten wir gar nicht, wie wir die ESC-Sommerpause überleben sollten.