Hurra, endlich startet sie ganz offiziell, die ESC-Saison 2019! Heute, am 13. September 2018, gab die EBU nach langem Gezerre doch noch die von Fans herbeigesehnte Entscheidung bekannt: der nächste Eurovision Song Contest findet am 14., 16. und 18. Mai 2019 (wie immer: Dienstag und Donnerstag die zwei Qualifikationsrunden, Samstag das große Finale) im International Convention Center (ICC) auf dem Expo-Gelände in Israels Partymetropole Tel Aviv statt. Damit haben sich die liberalen Kräfte gegenüber den Traditionalisten durchgesetzt, die das internationale Event in der politischen und religiösen Hauptstadt des Landes sehen wollten. Nicht nur den queeren Fans dürfte heute ein Stein vom Herzen gefallen sein, sondern auch den TV-Macher/innen. Thomas Schreiber vom NDR zählt die wichtigsten Gründe auf, die vermutlich den Ausschlag gaben: “ausreichend Hotelzimmer mit kurzen Wegen, keine zeitlichen Einschränkungen für Proben, dazu eine Stadt am Mittelmeer, die niemals schläft. Wir freuen uns auf Tel Aviv!” Und wie!
Dann kann der Golden Boy ja jetzt sein Versprechen “Before I leave / let me show you Tel Aviv” wahr machen. Ich freu mich drauf!
Der heutigen Verkündung ging ein scheinbar nicht enden wollendes Drama voraus, das bereits mit dem Sieg von Netta Barzilai in Lissabon begann. Stande pede reklamierten die politisch konservativen Kräfte des Landes, allen voran Premier Benjamin Netanjahu, dass der Contest 2019 in der heftig umstrittenen Hauptstadt Jerusalem stattfinden müsse, wo nur zwei Tage nach Nettas Grand-Prix-Triumph die von US-Präsident Donald Trump vorangetriebene Eröffnung der amerikanischen Botschaft blutige Unruhen mit sechzig palästinensischen Todesopfern provoziert hatte. Orthodoxe Religiöse – auch solche in der Regierung – drangen zudem umgehend darauf, dass der jüdische Sabbat auch während des Eurovision Song Contests eingehalten werden müsse, also zwischen Freitagabend und Samstagnachmittag weder Shows noch Proben über die Bühne gehen dürften. Was zu ungewöhnlich deutlichen Worten seitens der EBU führte, die offen drohte, dass man den Wettbewerb eher in ein anderes Land gebe, bevor man auf das Juryfinale am Freitagabend verzichte. Das Problem stellt sich in Tel Aviv, wo man es mit den religiösen Vorschriften deutlich lockerer nimmt, nun nicht. Ausreichende Bettenkapazitäten und ein seines gleichen suchendes Nachtleben in der mediterranen Touristenhochburg, die zugleich als queere Metropole fungiert, kommen hinzu.
Konziliante Worte für die unterlegenen Mitbewerber, aber erkennbare Erleichterung: Jan Ola Sand mit der Entscheidung für Tel Aviv.
Weniger erfolgreich verlief für den ausrichtenden Sender Kan die Auseinandersetzung mit der israelischen Regierung um die Finanzierung des Wettbewerbs. Selbst die Drohung, die Ausrichtung der größten TV-Show der Welt wieder an die EBU zurückzugeben, wenn der Staat sich nicht beteilige, fruchtete nicht: Kan muss den ESC aus dem eigenen Budget stemmen, lediglich eine Ausfallbürgschaft für die notwendigen Kredite ließ sich der Finanzminister aus den Rippen leiern. Der gegenüber journalistischer Kritik an seiner Arbeit extrem empfindliche Netanjahu, dem der Sender diesbezüglich ohnehin ein Dorn im Auge ist, kündigte im Gegenzug die endgültige Auflösung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an, sollte Kan den Grand Prix nicht wuppen. Schon 2017 hatten Versuche des Staatschefs, die seiner Meinung nach unbotmäßige Nachrichtenabteilung der Vorgängeranstalt IBA platt zu machen, zu einer Krise um einen möglichen Ausschluss Israels von der EBU (und damit auch vom ESC) geführt. Doch nicht nur aus der Innenpolitik warf man Treibsand: eine Reihe internationaler Künstler/innen, darunter der irische Grand-Prix-Gewinner von 1994, Charlie McGettigan, sowie einige finnische und isländische ESC- bzw. Vorentscheidungsteilnehmer/innen, unterzeichneten unlängst einen Boykottaufruf: solange Israel den Palästinensern ihre “Grundrechte verweigere”, dürfe die Show dort nicht stattfinden.
Auch Daddy Freier (hier beim isländischen Vorentscheid 2017) fordert den ESC-Boykott.
Tut sie nun aber doch, und das ist auch gut so! Ein Heulen und Zähneklappern könnte allerdings erneut ausbrechen, sobald der Ticketvorverkauf (noch nicht termininert) startet, denn die ausgesuchte Halle 2 des ICC fasst nur knapp 10.000 Besucher/innen, nach den erforderlichen technischen Umbauten mit Sicherheit sogar noch darunter. Das sind also nochmals weniger Plätze als in Lissabon, wo es auch schon zum Hauen und Stechen um die Eintrittskarten kam. Und nach den von vielen Fans geschilderten enttäuschenden Erfahrungen in Portugal mit dem katastrophal organisierten Public Viewing (sowie der überhaupt immer stiefmütterlicher werdenden Behandlung der Grand-Prix-Schlachtenbummler/innen durch die Organisatoren in Sachen Akkreditierung, Pressezentrum, Euroclub und Länderpartys) dürfte eine Anreise ohne Eintrittskarte fürs ICC kaum zu empfehlen sein, will man das Hauptevent nicht verpassen. Hotelzimmer sollte man dennoch zügig reservieren, sonst könnte es teuer werden. Die Proben gehen laut Mutmaßungen der Prinzen vermutlich am 5. Mai los. Die Anzahl der Teilnehmerländer steht derzeit natürlich noch nicht fest.
Ihr verdanken wir den Ausflug nach Tel Aviv: die fabelhafte Netta Barzilai beim Auftritt in Lissabon.