Wie Eurofire unter Bezugnahme auf die niederländische Tageszeitung De Standaard vermeldet, ist die holländische Eurovisionsvertreterin von 1964, Anneke Grönloh, heute im Alter von 76 Jahren in ihrer Wahlheimat Frankreich verstorben. Zu ihren Lebzeiten war sie die kommerziell erfolgreichste Künstlerin des Landes und verkaufte weltweit rund 30 Millionen Schallplatten. Die Trägerin des Oranien-Nassau-Ordens wurde 1942 im damals noch unter holländischer Besatzung stehenden Indonesien als Tochter eines niederländischen Soldaten und einer einheimischen Mutter als Johanna Louise Grönloh geboren. Sie durchlebte dort stürmische erste Jahre: im Zuge der feindlichen Übernahme der Inselkette durch die Japaner im Zweiten Weltkrieg geriet Annekes Vater in Kriegsgefangenschaft, die Familie lebte in einem Lager. Nach ihrer Freilassung flohen die Grönlohs vor den indonesischen Unabhängigkeitskämpfen zurück in die Niederlande, wo die junge Anneke (deutsch: Ännchen, das Diminutiv ihres ersten Vornamens) die Musik für sich entdeckte. 1959 gewann sie einen Talentwettbewerb und schon 1960 erzielte sie mit ihrer allerersten Single ‘Asmara’ ihre erste goldene Schallplatte und einen Nummer-Eins-Hit. Allerdings nicht zu Hause, sondern auf Malaysia.
Annekes größter Hit im Heimatland: eine Coverversion von ‘Heißer Sand’.
Die heimischen Charts toppte sie dann 1962 mit ‘Brandend Zand’, der (akkuraten) niederländischen Übersetzung des vom deutschen Komponistenteam Feltz & Scharfenberger geschriebenen Bestsellers ‘Heißer Sand’ von Mina Mazzini, eines wunderbar vage gehaltenen und vielfältig interpretierbaren, hochdramatischen Schlagers, der mir noch heute beim Hören angenehme Schauer über den Rücken jagt und den ich (in der deutschen Originalversion) für einen der besten seines Genres halte. Eine von Anneke selbst eingespielte englischsprachige Fassung unter dem Titel ‘Oh Malaysia’ diente in den Gründungsjahren des jungen, an Indonesien grenzenden Inselstaates im südchinesischen Meer dort als eine Art inoffizieller Nationalhymne. Zu Hause folgte Hit auf Hit und auch im deutschen Fernsehen war Frau Grönloh mit Schlagern wie ‘Wenn wir beide Hochzeit machen’ ein gerne gesehener Gast. Zum Zeitpunkt ihrer Direktnominierung für den Eurovision Song Contest 1964 konnte sie also mit Fug und Recht als international erfolgreicher Star gelten. Die Auswahl ihres Grand-Prix-Beitrags erfolgte in einem im Fernsehen übertragenen Vorentscheid, bei dem drei Lieder zur Auswahl standen. Nach Kopenhagen delegierten die Zuschauer/innen mehrheitlich das überaus druckvolle und temporeiche wie zugleich lyrisch melancholisch-resignative ‘Jij bent mijn Leven’ (‘Du bist mein Leben’).
https://youtu.be/dC54L5LS5TA
Selbstbewusst: Anneke mit ihrem völlig unterbewerteten Eurovisionsbeitrag, von dem es leider nur den Audiomitschnitt gibt.
Darin kündete die Protagonistin davon, bei ihrem Herzbuben bleiben zu wollen, auch wenn sie nur zu gut wisse, dass dieser lüge und sie betrüge. Interessanterweise trug Frau Grönloh den schicksalsergebenen Text keinesfalls in einem unterwürfig hauchenden Duktus vor, sondern mit klarer, lauter Stimme und beinahe schon kämpferischer Attitüde. Ein selbstbestimmtes Akzeptieren der Schwächen des Lebenspartners also, das die gute Anneke proklamierte – und damit eine auf ihre Weise fortschrittlich-liberale Geisteshaltung. Die konservativen Eurovisionsjurys goutierten das nicht: lediglich aus Großbritannien und Dänemark gab es jeweils einen Punkt. Schande! Der weiteren Karriere der als “Jahrhundertsängerin” ausgezeichneten Künstlerin tat dies keinen Abbruch: Frau Grönloh konnte noch etliche Schlagererfolge erzielen und wechselte dann ins Jazzfach. 2002 geriet sie unfreiwillig in die Schlagzeilen, als der äußerst grobhumorige niederländische Comedian und TV-Moderator Paul de Leuuw (der 2006 als Hollands Punktefee für einen Fremdschammoment sorgte, als er den damaligen ESC-Moderator Sakis Rouvas während der Live-Schalte offensiv anbaggerte), Grönloh als “Schlampe” und “Schnapsdrossel” diffamierte, woraufhin diese sich schockiert und verletzt aus der Öffentlichkeit und nach Frankreich zurückzog sowie de Leuuws Sender auf ein Schmerzensgeld von einer Viertelmillion Euro verklagte. 2016 erlitt sie zwei Lungenembolien und war zuletzt auf ein Sauerstoffgerät angewiesen.
https://youtu.be/FV4Z6H5cPSs
Erinnert optisch ein wenig an Dionne Warwick: Anneke Grönloh singt bei einer Gala ihren ersten Nummer-Eins-Hit.