Seit gestern sind sie abgeschlossen, die fünf Eurovisions-Workshops im Kölner Maarwegstudio. Zwanzig von den beiden Auswahljurys handverlesene Kandidat/innen hatte der NDR eingeladen. So wie es aussieht, folgten nicht alle dem Ruf des Senders: nach den Berichten des Prinz-Blogs nahmen lediglich 15 Acts an den Auftaktrunden zum deutschen Grand-Prix-Vorentscheid 2019 teil. Davon bedungen sich vier Diskretion aus, so dass wir momentan lediglich elf Kombattant/innen namentlich kennen. Von diesen wiederum tragen acht eine Castingshow-Vergangenheit mit sich herum – in hiesigen Zeiten nicht weiter verwunderlich, stellen diese Formate doch (bedauerlicherweise) so ziemlich die einzige verbliebene Präsentationsfläche für Musiker/innen im Fernsehen dar. Zumindest die einzige mit nennenswerten Einschaltquoten. Dennoch verbleibt angesichts der auffälligen Häufung von ehemaligen The-Voice- und DSDS-Partizipant/innen das ungustiöse Geschmäckle vom deutschen Eurovisionsvorentscheid als Wiederaufbereitungsanlage für ausgebrannte Castingshow-Sternchen nach dem Überschreiten ihrer Halbwertszeit. Als prominentes Beispiel dient hierbei sicherlich der Sieger von 2009 der menschenverachtenden RTL-Show Deutschland sucht den Superstar, Daniel Schuhmacher.
Schuhmacher bewarb sich bereits 2015 mit dieser feinen Elektro-Pop-Perle für die Wildcard-Runde des deutschen Vorentscheids.
Der optisch irgendwo zwischen schnöselig und schnuckelig changierende Schuhmacher, seit vier Jahren auch offiziell Teil der Familie, hat den Weg aller DSDS-Recken hinter sich: einem von Dieter Bohlen produzierten, direkt im Anschluss an Schuhmachers Sieg veröffentlichten Nummer-Eins-Album folgte nur wenige Monate später die Trennung und ein zweites, von Alex Christensen (DE 2009) produziertes Album mit dem schönen Titel ‘Nothing to lose’, das sich schon nur noch so mittelgut verkaufte. Vier Jahre später brachte der mittlerweile persönlich und künstlerisch gereifte Daniel dann seinen ersten Longplayer mit ausschließlich selbst geschriebenen Songs auf den Markt – und erreichte gerade noch die hinteren Chart-Ränge. 2015 bewarb er sich mit ‘Electric Heart’ um eine Wildcard für Unser Song für Österreich und folgte damit dem Beispiel seines unlängst traurigerweise freiwillig aus dem Leben geschiedenen DSDS-Kollegen und Vornamensvetters Daniel Küblböck, der nur ein Jahr zuvor versucht hatte, mittels Vorentscheidungsteilnahme den Weg zurück ins Rampenlicht zu finden. Ebenso erfolglos übrigens. Der letzte Tonträger Schuhmachers datiert von 2016, wo er unter dem Projektnamen DSfzkE (Die Suche führt zu keinem Ergebnis) unter anderem die wegweisende Bronski-Beat-Nummer ‘Smalltown Boy’ coverte. Bedauerlicherweise wollte das aber niemand kaufen.
Eine der wichtigsten Songs meiner Jugend: die Gay-Hymne ‘Smalltown Boy’, hier ziemlich übel massakriert von Herrn Schuhmacher (Repertoirebeispiel).
Wie es sich für eine ordentliche Homolette nicht anders gehört, glänzte Daniel im Gespräch mit den beim Workshop berichterstattenden Prinzen wohl mit umfangreichem Grand-Prix-Fachwissen, scheint also für den Wettbewerb zu brennen. Schon mal nicht die schlechteste Voraussetzung! Ebenfalls aus dem DSDS-Umfeld stammt das Youtube-Sternchen (mit knapp einer Million Followern) Nicole Cross, die es “beim RTL” allerdings nicht über die Vorrunden hinaus schaffte. Dafür kann sie mittlerweile prestigeträchtige Duette mit den Eurovisions-Royals Frans und Lena Mayer-Landrut vorweisen, in welchen die 25jährige Nürnbergerin selbst aber ziemlich blass bleibt. Und damit kommen wir zur Phalanx der The-Voice-of-Germany-Epigonen. Aus dem 2017er, von Natia Todua (ULfL) gewonnenen Jahrgang stammen ihre damalige Finalgegnerin BB Thomaz sowie das im dortigen Semi ausgeschiedene Milchgesicht Gregor Hägele. Bis ins The-Voice-Semi schaffte es 2015 auch Dimi Rompos (Siegerin und anschließend deutsche ESC-Repräsentantin damals: Jamie-Lee Kriewitz). Aus der ersten Staffel kommt schließlich noch die aus meiner Nachbarstadt Offenbach stammende Sängerin und Vloggerin Nina Kutschera hinzu, die Einzige mit einer unmittelbar wahrnehmbaren eigenständigen Persönlichkeit.
https://youtu.be/vT72NFCaAp8
Fantastische Stimme, gepaart mit absoluter Liebenswürdigkeit: Nina Kutschera ist jetzt schon meine Herzenskandidatin (Repertoirebeispiel) – und mittlerweile leider raus. Seufz.
Dann sind da noch zwei Acts mit einer etwas ungewöhnlicheren Castingshow-Vergangenheit: zum einen der bereits seit frühester Kindheit als Schauspieler, Sänger und Songwriter tätige Thilo Berndt aus Bochum, der im zarten Alter von zehn seinen ersten Auftritt im ORF-Format Kiddy Contest hatte, wo er den zweiten Platz belegte. Einen (geteilten) Sieg fuhr er 2010 beim Teenage Rockstar Summercamp auf dem privaten Kinderkanal Super RTL ein. Auch an britischen und amerikanischen Komponistenwettbewerben nahm der mittlerweile Zwanzigjährige bereits teil. Wie Wikipedia weiß, sammelte er “seine ersten Gesangserfahrungen im Alter von vier Jahren bei einem Auftritt beim Kindergottesdienst an Weihnachten”, was man seiner am Gospel geschulten Stimme anhört. Aus dem Pro-Sieben-Format The Band mit Samu Haber von 2015 entstammt schließlich das aparte Pop-Rock-Trio Barna. Auf eine umfangreiche Trash-TV-Vergangenheit blickt Diana Schneider zurück, nämlich auf eine Big-Brother-Teilnahme und als Laienschauspielerin in der RTL-2-Vorabendserie Köln 50667. Sie war als Teil des Duos ZweiLand bereits letztes Jahr im Eurovisions-Bootcamp zugegen; mal schauen, ob sie diesmal weiter kommt. Denn von den 15 Workshop-Teilnehmer/innen werden es nur “sechs bis acht” (so Thomas Schreiber) in die deutsche Vorentscheidung schaffen, die im Februar 2019 in Köln oder Berlin stattfinden soll.
Thilo in the Middle: Berndt mit Gospelchor (Repertoirebeispiel).
Wobei die letztliche Anzahl der Startplätze pikanterweise wohl von der zur Verfügung stehenden Probenzeit abhängt: ein ziemliches Armutszeugnis für eine der reichsten Sendeanstalten Europas! Zu hoffen bleibt, dass sich unter den Finalisten die beiden einzigen bislang bekannten Kandidat/innen ohne Castingshow-Vergangenheit befinden, die bezeichnenderweise beide aus der Indie-Ecke kommen, beide 21 Lenze zählen und beide in Deutschland gebürtig sind, aber in Los Angeles bzw. London leben. Die selbstbewusste “Indie-Sensation” (Eigenlob) Aly Ryan behauptet, mit ihrer (übrigens wirklich hörenswerten) 2018er Debutsingle ‘No Parachute’ den zweitgrößten Hit auf SoundCloud gelandet zu haben, eine “Nummer 1 in Deutschland, Russland, Frankreich, den Niederland und Neuseeland”. Was man halt so schreibt, wenn der Song in den richtigen Charts gnadenlos floppt. Wobei diese ja im Hinblick auf die immer weiter rückläufigen Verkaufszahlen mittlerweile ihre Relevanz ziemlich eingebüßt haben. Ihr Kollege Sebastian Schub ist eher im Blues beheimatet, jedenfalls verfügt er über eine sehr beeindruckende Stimme. Seine Castingbühnen waren die Pubs der britischen Hauptstadt. Da hätten wir dann zumindest schon mal zwei “kantige” Acts. Wobei noch abzuwarten bleibt, wer sich hinter den vier geheimnisvollen Inkognito-Bewerber/innen verbirgt. Bis Weihnachten, so das Versprechen des NDR, wissen wir mehr.
https://youtu.be/sCCSzJH0D14
So was in dieser Preisklasse hätte ich auch gerne als Unser Lied für Tel Aviv: Aly Ryan mit ihrer Debütsingle (Repertoirebeispiel).
Die bislang bekannten Kandidat/innen im Überblick
- Barna, dreiköpfiges Pop-Rock-Trio, Sieger bei The Band von 2015 (Pro 7).
- Thilo Berndt (20), gospelstimmiger Singer-Songwriter aus Bochum, Sieger beim Teenage Rockstar Summercamp von 2010 (Super RTL).
- Nicole Cross (25), popstimmiges Youtube-Sternchen aus Nürnberg, DSDS-Vorrundenteilnehmerin von 2011 (RTL).
- Gregor Hägele (18), hellstimmiges Milchbübchen aus Stuttgart, The-Voice-Finalist von 2017 (Pro 7 / Sat 1).
Nina Kutschera, versatilstimmige Vloggerin aus Offenbach, The-Voice-Teilnehmerin von 2011 (Pro 7 / Sat 1).- Dimi Rompos, soulstimmiges Sternchen aus Aschaffenburg, The-Voice-Finalistin von 2015 (Pro 7 / Sat 1).
- Aly Ryan (21), indie-pop-stimmige Weltenbummlerin aus Oberursel, ohne Castingshow-Vergangenheit.
- Diana Schneider, soulstimmiges Trash-TV-Sternchen (Köln 50667), ESC-Workshop-Teilnehmerin von 2017.
Sebastian Schub (21), bluesstimmiger Singer-Songwriter aus Hamburg, ohne Castingshow-Vergangenheit.- Daniel Schuhmacher (31), leichtstimmiger Pop-Schnuckel, DSDS-Sieger von 2009 (RTL).
- BB Thomaz (34), soulstimmige Vloggerin aus Düsseldorf, The-Voice-Finalistin von 2017 (Pro 7 / Sat 1).
Taufrisch und damit ein möglicher ULfTA-Beitrag: ‘Amber Rose’, die aktuelle Single von Barna. I like!
Nachtrag: zwischenzeitlich bestätigte der NDR hinsichtlich der fünf Eingeladenen, aber nicht Erschienenen: “Die restlichen Fünf standen aus zeitlichen Gründen nicht zur Verfügung, haben für 2019 musikalische Pläne, die mit dem ESC nicht kombinierbar sind oder sehen sich nicht auf der ESC-Bühne”. Nicht weiter erstaunlich, schließlich befanden sich auch Wunschkandidat/innen im Rennen, die gar nichts von ihrem Glück wussten – ein bewusst kalkuliertes Risiko seitens des Senders. Allerdings will man die so frei gewordenen Slots nun offensichtlich auffüllen: “Darüber hinaus arbeiten wir mit weiteren Acts, die außerhalb des Workshops, aber unter vergleichbaren Rahmenbedingungen, ein Video für die nächste Auswahlrunde herstellen werden”, so der NDR-Unterhaltungschef Thomas Schreiber und der deutsche Delegationsleiter Thomas Pellander heute in einem auf dem Prinz-Blog verbreiteten Statement. “Basierend auf diesen Videos werden die Juries entscheiden, wer in die Sendung kommt und wen wir in der nächsten Runde, beim Song Writing Camp, hoffentlich wiedersehen”. Damit sind es nun elf namentlich bekannte und neun geheime Kandidat/innen – wir können uns also womöglich noch auf die eine oder andere Überraschung gefasst machen!
Nachtrag: Sebastian Schub (hier mit der erstaunlichen Akustikgitarrenversion der krassen Pop-Perle ‘Toxic’) sagte zwischenzeitlich leider ab – er hat bereits andere Termine (Repertoirebeispiel).
Was sagst du zu den bislang bekannten ULfTA-Kandidat/innen?
- Mir fehlt immer noch die versprochene Kantigkeit, auch wenn es schon etwas stärker in die richtige Richtung geht. Aber noch zuviel Casting-Durchschnitts-Seich. (31%, 23 Votes)
- Immer wieder nur diese abgehalfterten Castingshow-Sternchen, das enttäuscht wirklich! (29%, 22 Votes)
- Das ist doch bislang eine ganz vielversprechende, runde Auswahl. Ich bin gespannt, wer es in die Show schafft. (17%, 13 Votes)
- Mir fehlen die richtig großen, etablierten Namen. Wie soll so denn Interesse entstehen? (12%, 9 Votes)
- The Voice ist ein gutes Format, das tolle Künstler hervorgebracht hat. Schön, dass etliche von ihnen für Deutschland zum Grand Prix wollen. (5%, 4 Votes)
- Ich habe schon meine/n Lieblingskandidat/in gefunden und bin happy. (5%, 4 Votes)
Total Voters: 75
Und wer von den bislang Bekannten ist dein/e Favorit/in?
- Daniel Schuhmacher (29%, 34 Votes)
- Eine von den vier Unbekannten, egal wer! (24%, 28 Votes)
- Aly Ryan (17%, 20 Votes)
- Nina Kutschera (9%, 11 Votes)
- Sebastian Schub (8%, 10 Votes)
- Gregor Hägele (5%, 6 Votes)
- Barna (3%, 3 Votes)
- Nicole Cross (2%, 2 Votes)
- Diana Schneider (2%, 2 Votes)
- Dimi Rompos (1%, 1 Votes)
- BB Thomaz (1%, 1 Votes)
- Thilo Berndt (0%, 0 Votes)
Total Voters: 118