Nach einiger Verzögerung gegenüber dem ursprünglich avisierten Veröffentlichungstermin gab das polnische Fernsehen TVP am gestrigen Donnerstag seine Vertreterinnen für den Eurovision Song Contest 2019 bekannt: das Damenquartett Tulia, bestehend aus den Sängerinnen Patrycja Nowicka, Dominika Siepka, Joanna Sinkiewicz und der Namenspatronin Tulia Biczak. Das erst 2018 gegründete, im Lande ausgesprochen erfolgreiche Quartett, das sich der traditionellen slawischen Stimmtechnik des Weißen Gesangs bedient, interpretiert gerne Pop- und Rockklassiker im folkloristischen Stil, hat aber auch eigene Folkrocksongs im Repertoire und liefert damit, vermutlich unbeabsichtigt, so etwas wie den Soundtrack zum aktuellen ultrakonservativen gesellschaftlichen und politischen Rollback (nicht nur) in ihrem Heimatland. Dazu passt auch ihre Optik: die vier Frauen erinnern in ihren farbenfrohen Trachten, mit Kopftuch, dicken Zöpfen und ebenso dick aufgetragener Schminke unwillkürlich an die legendären Buttermägde von Cleo & Donatan, allerdings ohne die geringsten erkennbaren Spuren von Sex oder Ironie, die diesem bahnbrechenden Act anhafteten. Tulia meinen das, was sie machen, offensichtlich sehr ernst.
Kein Sex, keine Drogen, kein Rock’n’Roll: die züchtigen Tulia mit der gesäuberten Variante des Metallica-Klassikers.
Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Tulia laut Eurovoix letztes Jahr noch eine Eurovisionsteilnahme ablehnten, weil sie, wie das Bandmitglied Joanna Sinkiewicz sagte, die dem Wettbewerb innewohnenden “Elemente der Rivalität zwischen Nationen” nicht mögen, heuer aber ohne ihre Kenntnis von ihrer Plattenfirma dem Sender vorgeschlagen wurden und letztlich doch akzeptierten. Über ihr Lied für Tel Aviv hüllt sich TVP noch in Schweigen. Wiwibloggs spekulierte bereits, dass sich die erst im November 2018 veröffentlichte und exakt 3 Minute lange Single ‘Pali się’ (‘Sie brennen’) als Eurovisionsbeitrag geradezu aufdrängt. Allerdings heißt es laut Eurovoix, das Quartett habe nun bis März 2019 Zeit, ein Musikvideo für ihren Song zu produzieren, der auch dann erst der Öffentlichkeit präsentiert werde. ‘Pali się’ verfügt indes bereits über ein solches, in dem die vier Grazien durchs ländliche Polen prozessieren, um im Dorfgemeinschaftshaus vor einem zunächst reservierten älteren Publikum aufzuspielen: ein Clip mit dezentesten Verweisen an Madonnas ikonisches ‘Like a Prayer’, aber bereinigt um sämtliche auch nur im Entferntesten kontroversen oder blasphemischen Elemente. Und so bleibt ein diffuses Unbehagen über die möglichen Absichten von Tulia; vor allem, da das, was sie machen, musikalisch verdammt ansprechend ist.
Rurale Gegend, riesige Kreuze, Feuer, ein keuscher Flirt, dornenkranzgleiche Blumenkronen, ein gottesdienstähnliches Konzert: Tulia zitieren sehr subtil die religiös-rassistischen Elemente aus ‘Like a Prayer’, ohne jedoch Madonnas kontrovers-progressive Auflösung zu bieten.
Optisch wie akustisch irgendwo zwischen Westfälischem Frieden und Belagerung von Wien einzuordnen. Ein absolutes Gräuel.
Covernde Trachtenjungfrauen, dienstbeflissen vor Kirchen und in der weißen Winterlandschaft Polens – wenn das nicht für feuchte Träume bei der Obrigkeit sorgt, weiß ich auch nicht. Die Sendeleitung kennt eben die Gelüste der PiS. Idealtypischerweise stellt sich später noch eine verwandtschaftliche Beziehung einer Sängerin zu Parteigranden oder Bauernverbandsvorsitzenden heraus. ^^
Wofür die steifen Damen persönlich stehen, kann ich noch nicht beurteilen. Aber in dem rückwärts gewandten Flair der Videos finde ich mich persönlich nicht wieder, der ESC-Durchschnittstelevoter mag da anders drüber denken.
Das eigentliche Verbrechen hat die Viererbande an zwei meiner Alltime-Favoriten “Nothing Else Matters” und “Enjoy The Silence” begangen. Somit auch nicht besser als Dark Tenor und Konsorten …
Was sich Österreich mit Hyäne Fischer nicht getraut hat, macht jetzt also irgendwie Polen. Allerdings meinen die das wohl ernst, wie man unschwer an den Resting Bitch Faces der drei Damen ablesen kann und enthalten keine Spur von Ironie oder Satire.
Also die Cover-Versionen von Tulia mag ich ja nicht so, aber ‘Pali się’ ist ja schon fast Folk-Metal. Musikalisch hat der Song was. Aber mal abwarten, womit sie letztendlich antreten.
Also ich finde die Kaczyński – Schwestern super und herrlich schräg, hoffentlich treten sie mal im Musikantenstadel zusammen mit Gabalier auf 😀