Wird der 26jährige Alessandro Mahmoud, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Mahmood, Italien beim Eurovision Song Contest 2019 in Tel Aviv vertreten? Nach seinem Überraschungssieg beim San-Remo-Festival am vergangenen Samstag sagte er noch in der Nacht zu, und eurovision.tv listet ihn dementsprechend als Repräsentanten der Halbinsel in Israel. Zwischenzeitlich ruderte der Milanese auf Druck seiner Plattenfirma jedoch wieder zurück, die Mahmood offenbar auf eine ausgedehnte Promotiontour im Land schicken möchte, was sich mit den zeitlichen Verpflichtungen der Eurovisionsteilnahme nicht so gut verträgt. Derzeit werde, wie zu hören war, hinter verschlossenen Türen zwischen der Rai und Mahmoods Management über die Details verhandelt. Kommt kein Deal zustande, kann der italienische Sender nach dem bestehenden Reglement frei aus den übrigen 23 San-Remo-Teilnehmer/innen wählen. Aus dem Rennen sein dürfte dabei der Zweitplatzierte Ultimo, der im Superfinale zwar das Televoting gewann, jedoch von der Jury überstimmt wurde, woraufhin er in einem Video seiner Enttäuschung und Verärgerung in einem emotionalen Rant Luft machte.
https://youtu.be/Ue5Lm8MAUlM
Schlechter Verlierer: Ultimo unterstellt den Juroren, dass sie ihn nicht ausstehen konnten und deshalb seinen Sieg sabotierten.
Ultimo blieb indes nicht der Einzige, der die Rai und die Jury hart anging. Unqualifizierte Kommentare kamen auch von höchster Stelle: der rechtsradikale Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident Italiens, Matteo Salvini, berüchtigt für seine rassistischen Äußerungen und seine flüchtlingsfeindliche Politik, bezweifelte in der Nacht zum Sonntag in einem Tweet, dass ‘Soldi’ tatsächlich “das schönste italienische Lied” gewesen sei. Grund seiner Empörung vermutlich: der siegreiche San-Remo-Song enthält in Referenz auf Mahmoods ägyptischen Vater eine Textzeile auf arabisch. Salvinis Kabinettskollege Luigi Di Maio geißelte das Ergebnis auf Facebook gar als “Wunsch einer aus Journalisten und Salonbolschewisten bestehenden Minderheit”, die sich über “die Mehrheit der Zuschauer” hinweggesetzt habe. Wie der britische Guardian berichtet, stützt ein Musikkritiker der Zeitung La Republicca ein Stück weit diese These: zwar gebe es “jedes Jahr Gezeter,” so der Journalist Federico Capitoni im Hinblick auf das ständige wechselnde Wertungsverfahren beim ligurischen Liederfestival und dem teils sehr unterschiedlichen Abstimmungsverhalten von Publikum und Jurys.
Der Liveauftritt beim San-Remo-Festival 2019.
“Aber mit dieser Art von Regierung, die wir jetzt haben, und Salvinis [strammer Anti-Immigrations-Politik] scheint nun eine Vorgeschichte zu bestehen”. Er halte es für durchaus möglich, dass ein Teil der aus Pressevertretern zusammengesetzten Sala-Stampa-Jury bewusst für Mahmood gestimmt habe, um ein politisches Signal zu setzen und es dem Einwanderer- und Medien-feindlichen Salvini heimzuzahlen. Mahmood selbst sagte zu den ganzen Anfeindungen, dass er sich als “hundertprozentiger Italiener” empfinde und mit seinem Lied keine politische Geschichte erzählen wolle, sondern eine sehr persönliche. In ‘Soldi’ verarbeite er das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, der die Familie verließ, als Alessandro sechs Jahre alt war und der in Ägypten weitere drei Mal verheiratet war sowie mehrere Kinder in die Welt setzte. “Mein ganzes Leben habe ich nach einem Weg gesucht, diese Lücke zu füllen,” erzählte der Sänger der Zeitschrift Vanity Fair in Bezug auf die fehlende Vaterfigur. Die die Faschisten so offensichtlich triggernde Textzeile “Waladi waladi habibi ta’aleena” (“Mein Sohn, Liebling, komm herüber”) sei eine seiner wenigen Kindheitserinnerungen.
Der offizielle Videoclip.
Im Zuge der Debatte um Mahmoods Sieg tauchte, wie unter anderem queer.de berichtet, auch die Bezeichnung “schwuler muslimischer Migrantensohn” auf, die eine weitere Debatte um die sexuelle Orientierung des Sängers auslöste, zu welcher sich der Milanese aber bis dato nicht eindeutig positionierte. Aufhänger: ein Interview aus dem Jahre 2016 für das Internetportal gay.it, in dem sich Mahmood zur schwierigen Situation von Schwulen in Ägypten äußerte und zudem sagte, er bewundere Künstler, die den Mut zum öffentlichen Coming-Out hätten, finde aber auch, das müsse jeder für sich selbst entscheiden. Unlängst von der Vanity Fair auf die hierdurch ausgelösten Spekulationen über seine eigene Person angesprochen, eierte er jedoch herum: “schwul, hetero…. Ich denke, es sollte keine solchen Unterschiede mehr geben. Wenn wir mit diesen Unterschieden fortfahren, wird Homosexualität nie als eine normale Sache wahrgenommen werden, so wie sie es ist.” Und so sehr mich ein solches persönliches Verstecken annervt, so verständlich erscheint es andererseits, dass der von den Rechten angefeindete junge Sänger derzeit nicht auch noch an einer weiteren Front kämpfen möchte. So oder so hoffe ich, dass er der italienische Vertreter beim ESC 2019 wird, denn sein Song ist berührend und gehört zu meinen wenigen diesjährigen Favoriten.
https://www.instagram.com/p/BtyFvLHHmku/
[UPDATE] Das ging ja schnell: nur wenige Minuten nach der Veröffentlichung des obenstehenden Artikels gab Mahmood via Instagram bekannt, dass er sein Heimatland beim Eurovision Song Contest 2019 in Israel mit dem Lied ‘Soldi’ vertreten wird. “Ich kann es kaum erwarten,” so der Künstler. Hurra!
Es wäre sehr schade, wenn er nicht am ESC teilnimmt. Ich finde das Lied bisher das beste…es sind zwar noch nicht alle Lieder veröffentlicht, aber Mahmood hätte, denke ich, gute Chancen auf eine gute Top 10 Platzierung. Allerdings bin ich seit Francesco Gabbani ein bisschen vorischtiger mit vorschnellen Urteilen 😉
Die Schwul-oder-nicht Thematik finde ich seltsam… Ich dachte, er wäre hetero bzw. hab mir diese Frage gar nicht gestellt. Erst als ein Freund gleich meinte, dass der schwul sei, hab ich a bissl recherchiert und bin dann auch auf den queer.de artikel gestoßen… Im Grunde ists ja auch egal. Er tut mir a bissl leid, denn jetzt ist er in einer doofen Situation und “muss” sich für seine Sexualität rechtfertigen. Ich hoffe für ihn, dass das Thema einfach nicht mehr sooft angesprochen wird und er sich für den ESC entscheidet 🙂
Er ist es, hat er soeben auf Instagram verkündet. Eine fantastische Nachricht!
https://www.instagram.com/p/BtyFvLHHmku/
Und jetzt stelle man sich vor, er gewinnt den ESC. Was dann wohl bei Italiens Politikern los ist?
@Oliver
Ein sehr gut recherchierter Artikel zu “Soldi” und seinem Protagonisten Mahmood in San Remo. Ich bin froh, dass er in Tel Aviv diesen sehr persönlichen Song der breiten Öffentlichkeit vorstellen darf. Und Mahmood wünsche ich nicht nur viel Erfolg beim ESC, sondern vor allem die Kraft den ganzen Böswilligkeiten, die ihm begegnen zu trotzen. Kein Mensch muss sich für seine Herkunft und seine Sexualität (ob hetero oder homo, oder was auch immer) rechtfertigen. Ich dachte, wir wären in Europa schon weiter.
Erneut ein Topbeitrag aus Italien !!!!!!
Das ist Balsam nach den jüngsten Katastrophen in Australien und Montenegro für die geschundenen ESC-Fanohren.
Bisherige Bewertungen
Italien 9/10
Albanien 8/10
Spanien 7/10
GB 3/10
Tschechien 2/10
Frankreich 1/10
Australien 0/10
Montenegro 0/10
Falls es noch nicht allen aufgefallen ist: Zum dritten Man in der ESC-Geschichte gibt es die arabische Sprache zu hören, wenngleich nur zwei Zeilen.
Die Antwort auf die Sexualitätsfrage erinnert übrigens frappant an die Reaktion von Marco Mengoni…
@porsteinn – allgemein ist es in Italien ja so, dass es bis zum Zeitpunkt des ESC 2020 mindestens eine neue Regierung geben wird.
@Cal X – diese Formulierungen Richtung “Sexualität ist persönlich, jeder muss selber entscheiden, wie er damit umgeht” hört man genauso oft von Heteros wie den Satz “ich definier mich nicht als top oder bottom, ich finde das wichtige ist, dass man Spaß hat” von (selbst-definierten) Tops.
Ich hätte gerne die reaktionen gelesen, wenn das ganze umgekehrt gelaufen wäre. D.h., wenn mahmood das zuschauervoting mit fast 50% gewonnen hätte und er von der presse und jury dermassen bestraft worden wäre. Dann wäre das geschrei riesengross gewesen.…..hätte hätte fahrradkette.
Aah, jetzt will ich unbedingt, dass er Italien vertritt. War ja klar, dass da irgendein rechtsextremer Politiker wieder zündeln muss. Dennoch regt mich dieses italienische Rumgeeiere auf, wenn nachher niemand weiß, ob der Sieger jetzt ja sagt zum ESC oder nicht. Mir ist zwar klar, dass man in Italien den ESC als Abklatsch betrachtet, aber nerven tut es mich trotzdem.
Und mit dem Song kann ich bislang auch nicht viel anfangen. Aber vermutlich wird er trotzdem Erfolg haben, sobald ihm alle erliegen dank seines italienischen Charms… das war ja auch 2013 so. Ich befürchte, dass es einen genialen Banger wie 2017 nicht mehr so schnell geben wird.
Wunderschönes LIED! – und ein toller Artikel, Oliver – das liebe ich an deiner Seite.
Gut recherchierter ESC “Klatsch” und Balsam für die ausgehungerte ESC Seele.
BRAVISSIMA!
Und trotzdem großer Trauer , da mir dieses Lied wieder einmal zeigt wie toll das
Orchester dieses Lied einrahmt bzw. für dieses Lied das I‑Tüpfelchen ist.