Ein ausdrückliches Lob muss ich an dieser Stelle einmal an den rumänischen Sender TVR richten. Nach dem hektischen Irrsinn des mit Vorentscheidungen komplett überfrachteten vergangenen Supersamstags (an den kommenden darf ich erst gar nicht denken!) gestaltete sich der Sonntagabend mit dem Genuss des zweiten Semis der Selecția Națională geradezu kuschlig-kommod. Vielen Dank für diese Entzerrung! Freundlicherweise stellte TVR einen ruckelfreien Youtube-Livestream in HD-Qualität zur Verfügung, und die aus der Kleinstadt Arad übertragene Show glänzte mit einem deutlich besseren Line-up als noch das erste SN-Semi vor 14 Tagen. Selbst die Fehlurteilsquote der Jury, die fünf der sechs Finalisten alleine bestimmen durfte, hielt sich in Grenzen. Lediglich der Verlust des den Auftakt gebenden, zweckmäßig benannten Männerduos 2 Gents ist zu beklagen, deren flotter Turbofolk-Schlager ‘Lelele’ exakt das lieferte, was der Titel versprach, allerdings arg unter der katastrophalen Soundabmischung litt: die viel zu leise ausgesteuerten Vocals versanken zu einem matschigen Brei, während die Drums (handgespielt auf einem pittoresken Zwitterinstrument, einer Art Alphorntrommel) zeitversetzt doppelt zu hören waren, was extrem irritierte.
The grabbing Hands / grab all they can / Lelele counts / in small Amounts.
Es folgte eine nicht weiter beachtliche Balladesse, die sich aus unbekanntem Grunde ein großes weißes Tischtuch über den Wams geschnallt hatte, gefolgt von einem nicht weiter beachtlichen Belgier sowie einem musikalisch nicht weiter beachtlichen Midtempo-Gewimmer namens ‘Discrete’ auf Startplatz 4. Um so beachtlicher indes die Interpretin Xonia: die offenbar asiatischstämmige Sängerin tippelte als Schlange verkleidet auf die Bühne. Und mehr als tippeln konnte sie auch nicht in ihren nach innen gebogenen SM-Stiefeln. Von einem beeindruckend muskulösen schwarzen Tänzer ließ sich sich elegant über den Parcours lüpfen und verschränkte so den hochkulturellen Flair des Balletts mit der reizüberflutenden Anmutung eines Table-Dance-Schuppens. Derart stark lenkte die Optik vom Beitrag ab, dass nur den Wenigsten der peinliche Faux-Pas im Songtitel auffiel: ‘discrete’ meint im Englischen nämlich “separat, getrennt”. Xonias weinerliche Klage galt aber dem von ihr nicht mehr länger befolgt werden wollenden Zwang zur Diskretion bezüglich ihrer geheimen Affäre, und diese Zeile hieße korrekt “I’m tired of being discreet”. Oops!
Vorsicht vor dem Weib, der alten Schlange: Xonia.
Eine Gestalt, die aussah wie Mick Jagger nach mehrfacher Gesichtsstraffung, enterte als nächstes die Bühne und röhrte seine optisch mehrere Ligen über ihm spielenden Chordamen an, ihn doch bitte ihr Mann sein zu lassen, wofür ich mich selbst als Homo vor dem Bildschirm fremdschämte. Der so fleißige wie tragische SN-Teilnehmer Johnny Bădulescu hingegen hätte sich seinen Songtitel ‘Give up now’ mal besser zu Herzen genommen. Mit den Echoes und dem fistelig vorgesungenen, plodderig-poprockigen ‘High Heels on’ folgte eine der wohl heterosexuellsten Darbietungen der letzen Jahre. Der putzige Aldo Blaga performte mit ‘Your Journey’ eine schmalztriefend kitschige Selbstermächtigungsballade, die sich jedoch aufgrund seines ergriffenen und absolut überzeugenden Vortrags in die Herzen der Zuschauer/innen spielte: sie wählten den von der Jury Aussortierten per Televoting weiter ins Finale. Mit Letiția Moisescu und dem Ziganquartett Sensibil Balkan offerierte TVR dann das zweite Bonbon für den Hausherrn: ‘Daina’ fingt zunächst etwas verhalten an, entpuppte sich nach anderthalb Minuten aber als astreiner, unwiderstehlicher Balkanstampfer mit druckvollem Beat und zum befreiten Mitgröhlen einladenden “Hoppa, hoppa“s. Also genau dem, was ich von Ländern wie Rumänien beim ESC will!
Über das M I H A I‑mäßige Sperren des Songtitels wollen wir mal gnädig hinwegsehen.
Es steht jedoch zu befürchten, dass die sensiblen Balkanesen im Finale am kommenden Sonntag nicht die geringste Chance haben werden gegen die leider haushohe Favoritin der diesjährigen SN, der sechzehnjährigen Laura Bretan, bekannt durch ihre Teilnahme sowohl an der US-amerikanischen wie an der rumänischen Variante der Castingshow Das Supertalent. Die in Chicago geborene und von ihren streng evangelikalen Eltern zu Hause unterrichtete Laura positionierte sich vergangenen Oktober öffentlich als Gegnerin der Homo-Ehe und unterstützte das – glücklicherweise gescheiterte – rumänische Referendum, mit dem die Ehe per Verfassung als ausschließliche Verbindung von Mann und Frau zementiert werden sollte. “So, wie Gott die Familie gewollt hat” in den Worten der Sängerin. Ihm widmet sie – jedenfalls offiziell – auch ihre mit kreischiger Operettenstimme intonierte Beton-Ballade ‘Oh Father’. Warum nur beschleicht mich dabei der nagende und gruselige Verdacht, es könne sich ebenso gut um eine Ode auf den Inzest handeln? Allerdings ist der Markt für knallhart konservative Heile-Welt-Idylle gerade so groß wie nie. Machen wir uns also schon mal auf das Schlimmste gefasst.
Eine neue Dana National ist geboren: Laura Bretan verkörpert den Typus der natürlichen Unschuld auf geradezu raffinierte Weise.
Selbst, wenn wir annehmen, dass Laura hier nur nachplappert, was ihre religiotischen Eltern ihr eintrichterten: so eine hat beim Eurovision Song Contest nichts verloren!
Auf die schreckliche Hass-Göre folgten schließlich noch eine mit Kohle und Goldfarbe angemalte Interpretin mit dem tollen Namen Ester Peony und die in Köln gebürtige Linda Teodosiu. Die ein wenig pferdegesichtige 27jährige hat in Deutschland mittlerweile so ziemlich alles durch: Auftritte im Phantasialand, eine DSDS-Teilnahme, eine Handvoll absteigend erfolgreicher Singles, Nebenrollen bei Alarm für Cobra 11 und Rennschwein Rudi Rüssel sowie TV-Gigs im Perfekten Promi-Dinner und bei Promi Shopping Queen. Oh, und im Chor von Peter Maffay durfte sie auch schon singen. Nun also der Versuch, im Herkunftsland der Eltern Fuß zu fassen: mit der völlig belanglosen Midtempoproduktion ‘Renegades’ lieferte sie indessen genau das ab, was in den vergangenen Jahren in großer Zahl den deutschen Vorentscheid bevölkerte: von jeglicher Melodie, Wärme und Inhalt befreiten Hintergrundlärm zur Beschallung von Sonnenstudios und KiK-Filialen nämlich. Interessanterweise begleitete sie sich mit überlebensgroßen, an die LED-Wand hinter ihr projizierten Videoaufnahmen selbst, und der optische Altersunterschied zwischen der digitalen, jugendlich wirkenden Linda und der im Cocktailkleid ihrer Großmutter auf der Bühne stehenden realen Linda hätte nicht größer sein können.
Abgehärmt, schrecklich onduliert und mit toten Augen: die echte Linda wirkte extrem künstlich gealtert.