San Remo Fes­ti­val 2019: Go down, Moses

Es kann als eine klei­ne Kul­tur­re­vo­lu­ti­on bezeich­net wer­den: mit Ales­san­dro Mah­moud gewann heu­te Nacht ein Ein­wan­de­rer­kind das tra­di­ti­ons­rei­che ita­lie­ni­sche Lie­der­fes­ti­val. Und dazu noch einer, der die­se Wur­zeln in sei­nem Künst­ler­na­men Mah­mood bewusst unter­streicht und des­sen in der Gesamt­wer­tung sieg­rei­cher, von ihm selbst getex­te­ter und mit­kom­po­nier­ter Song ‘Sol­di’ (‘Geld’) eine bit­te­re per­sön­li­che Abrech­nung mit eben jenem ägyp­ti­schen Vater dar­stellt, der ihn und sei­ne ita­lie­ni­sche Mut­ter sit­zen­ließ, um zurück in die ara­bi­sche Hei­mat zu gehen und der ihn nun, so jeden­falls die Erzäh­lung des 26jährigen, bei einem zur Spu­ren­su­che unter­nom­me­nen Besuch im Land der Pha­rao­nen auch noch dreist um Geld anhaut. Beim Final­auf­tritt am Sams­tag muss­te der cha­ris­ma­ti­sche ehe­ma­li­ge X‑Factor-Teil­neh­mer mit einem kur­zen ‘Ban­di­do’-Moment kämp­fen, als zunächst weder sein Ohr­mo­ni­tor noch das Mikro funk­tio­nier­ten. Den meis­ter­te er jedoch sou­ve­rän. Im Super­fi­na­le der bes­ten Drei erziel­te Ales­san­dro zwar mit 14,5% die gerings­te Zustim­mung im Tele­vo­ting, gewann aber im Gesamt­klas­se­ment der über alle fünf San-Remo-Aben­de lau­fen­den Jury‑, Pres­se- und Zuschau­er­ab­stim­mung. Noch in der Nacht erklär­te er, das ange­bo­te­ne Ticket für Tel Aviv anneh­men und Ita­li­en beim Euro­vi­si­on Song Con­test ver­tre­ten zu wollen.

Der Sie­ger­song, hier als offi­zi­el­ler Video­clip. Den San­re­mo-Auf­tritt hat die kom­plett ver­blö­de­te Rai aus uner­find­li­chen Grün­den sper­ren las­sen. Sterbt! 

Das Publi­kum im Aris­ton-Thea­ter zeig­te sich über die Krö­nung Mah­moods zum San-Remo-Sie­ger nicht ent­zückt. Wüten­de Buh-Rufe und fort­dau­ern­de “Lore­da­na”-Sprech­chö­re waren zu ver­neh­men, als das 68jährige ita­lie­ni­sche Natio­nal­hei­lig­tum Lore­da­na Ber­tè bei ihrer mitt­ler­wei­le zehn­ten San-Remo-Teil­nah­me knapp am Ein­zug ins Super­fi­na­le schei­ter­te. Die Schwes­ter der ver­stor­be­nen zwei­fa­chen Euro­vi­si­ons­ver­tre­te­rin Mia Mar­ti­ni prä­sen­tier­te ihren Song ‘Cosa ti aspet­ti da me’ mit einer unter die Haut gehen­den Reib­ei­sen­stim­me und sorg­te auch optisch für unver­gess­li­che Momen­te: die Kom­bi­na­ti­on aus blau­ge­schei­tel­ten Haa­ren, ihrer in vie­len plas­ti­schen Ope­ra­tio­nen mumi­fi­zier­ten Gesichts­rui­ne und einem gewag­ten Röck­chen lie­ßen einen als Zuschau­er in einer Mischung aus leich­tem Gru­sel und Ehr­furcht vor dem Bild­schirm erstar­ren. Ins Super­fi­na­le kamen neben Mah­mood die wah­ren Sie­ger des Grand Prix 2015, die jun­gen und dan­kens­wer­ter­wei­se mitt­ler­wei­le alle drei mit einem ordent­li­chen Bart aus­ge­stat­te­ten Tenö­re Il Volo, deren aktu­el­ler Pope­ra-Rie­men ‘Musi­ca che res­ta’ aller­dings mit dem unbe­zwing­ba­ren Schla­ger­schmacht ihres dama­li­gen Gewin­ner­lie­des ‘Gran­de Amo­re’ bei Wei­tem nicht mit­hal­ten konnte.

Auch bei Lore­da­na Ber­tè betrügt uns die Rai um den Live-Auf­tritt. Fickt Euch!

Wäre es aus­schließ­lich nach den anru­fen­den Zuschauer/innen gegan­gen, hät­te der 22jährige Nic­colò Morico­ni ali­as Ulti­mo das Ticket nach Tel Aviv erhal­ten: der letzt­jäh­ri­ge Sie­ger des San-Remo-Nach­wuchs­fes­ti­vals konn­te im Super­fi­na­le fast die Hälf­te aller Stim­men auf sich und sei­ne dezent ange­rock­te Kla­vier­bal­la­de ‘I tuoi par­ti­co­la­ri’ ver­ei­nen, die er im Lau­fe der Fes­ti­val­wo­che auch im Duett mit Fabri­zio Moro dar­bot und die mir den­noch nicht mehr als ein müdes Schul­ter­zu­cken zu ent­lo­cken ver­moch­te. Und so muss ich gegen mei­ne sons­ti­ge inne­re Über­zeu­gung geste­hen, dass ich froh bin, dass die diver­sen Juror/innen in die­sem Fall das Publi­kum über­stimm­ten, denn zum einen setzt das Ent­sen­den von Mah­mood gera­de nach Isra­el posi­ti­ve Zei­chen, und zum ande­ren bin ich nach den gan­zen him­mel­schrei­en­den Fehl­ent­schei­dun­gen der letz­ten Tage heil­froh, dass es end­lich mal wie­der ein Bei­trag und ein Inter­pret geschafft hat, der mein Herz höher schla­gen und mich auf den dies­jäh­ri­gen Wett­be­werb freu­en lässt. Gra­zie, Italia!

Medu­sa rief an und will ihre Haa­re zurück: die eben­falls legen­dä­re, aller­dings etwas unsyn­chro­ne Pet­ty Pra­vo lan­de­te auf den hin­te­ren Plät­zen. Nicht ganz zu Unrecht.

Vor­ent­scheid IT 2019

Fes­ti­val del­la Can­zo­ne ita­lia­na di San­re­mo. Sams­tag, 9. Febru­ar 2019, aus dem Tea­t­ro Aris­ton in San Remo. 24 Teilnehmer/innen. Mode­ra­ti­on: Clau­dio Bagli­o­ni, Vir­gi­nia Raf­fae­le und Clau­dio Bisio.
#Interpret/inTitelPres­seJuryTV %Platz
01Danie­le SilvestriArgen­to vivo030203,1906
02Anna Tat­an­ge­loLe nost­re Ani­me di Notte181801,2422
03Ghe­monRose vio­la090501,4212
04Negri­taI Ragaz­zi stan­no bene181001,1220
05Ulti­mo I tuoi particolari06 | 0206 | 0219,25 | 48,8002
06NekMi farò tro­va­re pronto201701,9819
07Lore­da­na BertèCosa ti aspet­ti da me010609,4904
08Fran­ces­co RengaAspet­to che torni171802,1915
09Mah­moodSol­di13 | 0121 | 0103,49 | 20,9501
10Ex Oga­toSono una Canzone110801,5413
11Il VoloMusi­ca che resta13 | 0321 | 0217,65 | 30,2503
12Pao­la TurciL’ul­ti­mo Ostacolo160901,7216
13Zen Cir­cusL’A­mo­re è una Dittatura121201,2417
14Pat­ty Pra­vo + BrigaUn po’ come la vita211801,1121
15Ari­saMi sen­to bene040302,5108
16Ira­maLa Ragaz­za col cuo­re di Latta101208,3607
17Achil­le LauroRolls Roy­ce071203,4509
18Nino d’An­ge­lo + Livio CoriUn’al­tra luce232101,1824
19Fede­ri­ca Car­ta + ShadeSen­za far­lo apposta212102,6518
20Simo­ne CristicchiAbbi cura di me041206,7005
21Enri­co NigiottiNon­no Hollywood081203,7010
22Boomda­bashPer un Millione151102,9411
23EinarCen­to­mi­la volte232101,1023
24Mot­taDov’è l’I­ta­lia140400,7914

6 Comments

  • Abso­lut fan­tas­ti­sches Ergeb­nis. Ein star­ker, eigen­stän­di­ger Song, inhalt­lich wie musi­ka­lisch. Ich bin fest davon über­zeugt, dass auch er vom ESC-Publi­kum mit einer hohen Punkt­zahl gewür­digt und von den Juries sträf­lich unter­be­wer­tet wird. Wie schön, dass Ita­li­en am ESC teilnimmt.

  • Ich bin über das San Remo Fes­ti­val jedes Jahr sehr erfreut, gibt es doch immer wie­der inter­es­san­tes zu ent­de­cken. Für Ita­li­en ist die­ses Fes­ti­val sozu­sa­gen der Nabel der Musik­welt und somit sind auch die Bes­ten Künst­ler am Start. Und das ist doch somit auch eine Wert­schät­zung für den ESC. Ich bin ganz ehr­lich , mir gefällt der Sie­ger­ti­tel auch nach mehr­fa­chem hören nicht so gut. Ich höre aber auch schon die gan­ze Woche die Songs von Ulti­mo und Ira­ma , für mich wären bei­de Songs für den ESC wie gemacht gewe­sen. Bei­de Künst­ler fand ich zudem sehr cha­ris­ma­tisch und sym­pa­thisch. Somit war ich natür­lich entäuscht und bin der­zeit nicht so objektiv.…Was ich aber tat­säch­lich übel fin­de ist das der Sie­ger nur 14% Tele­vo­ter begeis­tern konn­te und trotz­dem gewinnt…eigenartig.…zumal doch die Zuschau­er­stim­men am stärks­ten gewer­tet wurden.…

  • Bin eben­falls mit dem Ergeb­nis hoch­zu­frie­den. Und es war ja klar, dass Signo­re Sal­vi­ni auch gleich was zu meckern hat­te. Eher pein­lich fand ich das Saal­pu­bli­kum mit sei­nen Lore­da­na-Sprech­chö­ren. Man stel­le sich vor,die geschie­de­ne Frau Borg hät­te gewon­nen. Stim­me und Optik ähnel­ten eher einem gegrill­ten Frosch denn einer gestan­de­nen End­sech­zi­ge­rin. Da blieb einem noch­mal das Fremd­schä­men erspart.

  • Mich hat die­ses Ergeb­nis auch mit die­sem kata­stro­pha­len Wochen­en­de ver­söhnt. Auf Ita­li­en ist eben Ver­lass! *clap* *clap*

  • Kann mich den all­ge­mei­nen Jubel­ari­en nur anschlie­ßen, das ers­te High­light die­ses Jahr­gangs! Läs­si­ger Song und eine super Stimme!

    Lore­da­na fand ich aber auch klas­se, ich hät­te mich im Saal den Sprech­chö­ren ange­schlos­sen. Hät­te m.M. auch unbe­dingt ins Fina­le gehört, tol­le Frau!

  • Gar nicht schlecht. Das Hän­de­klatsch-Ele­ment ist durch­aus catchy.
    Jetzt wird es für Ita­li­en dar­auf ankom­men, das The­ma des Songs irgend­wie zu visua­li­sie­ren. Ist halt das Pro­blem bei nicht eng­lisch­spra­chi­gen Tex­ten, wenn es nicht gera­de um Amo­re oder Par­ty, Par­ty, Par­ty geht. Wäre aber m.E. wich­tig, weil sonst die meis­ten der TV-Zuschau­er nicht wis­sen, war­um der Bur­sche so böse guckt. Sonst wirkt er unge­wollt unsympathisch.

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